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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Illusion von Saloniki

fuhrmöglichkeit abgeschnitten war, wenn Österreich-Ungarn seine Grenzen
schloß.

Die Tatsache, daß unser Handel am Balkan mit dem österreichischen kon¬
kurriert, geht besonders deutlich aus den Ergebnissen der Handelsverträge von
1893 und 1894 hervor. Nachdem die österreichisch-serbische Grenzerleichterung
auf das richtige Maß beschränkt war, und wir in den vollen Genuß unseres
Meistbegünstigungsrechts gelangten, ging die österreichische Einfuhr, die jetzt jenes
Schutzes entbehren mußte, zurück, und zwar nicht nur zugunsten der französischen
und englischen, sondern auch ganz ebenso zugunsten der deutschen Einfuhr. Und
ebenso wie in Serbien, sind wir die Handelskonkurrenten Österreichs in Bulgarien
und Rumänien.

Man vergleiche folgende Ziffern: im Jahre 1884 fielen von der Ge¬
samteinfuhr Serbiens 62 Prozent auf Österreich-Ungarn und 15 Prozent auf
Deutschland; im Jahre 1910 kamen auf Österreich 20 Prozent und auf Deutsch¬
land 41 Prozent. Von der Gesamteinfuhr Rumäniens fielen im Jahre 1884
auf Österreich-Ungarn 44 Prozent, auf England 19 Prozent, auf Deutsch¬
land 14 Prozent und auf Italien 1 Prozent; dagegen im Jahre 1910 auf
Österreich-Ungarn 23 Prozent, auf Deutschland 33 Prozent, auf England
13 Prozent und auf Italien 5 Prozent. Von der Gesamteinfuhr Bulgariens
kamen 1886 auf Österreich-Ungarn 26.50 Prozent und auf Deutschland
3,30 Prozent und im Jahre 1910 auf Österreich-Ungarn 26,80 Prozent und
auf Deut'estand 19,20 Prozent.

Nun haben wir gesehen, daß Frhr. von Chlumetzky bei seiner Beurteilung
der Bedeutung Salonikis weit über diesen Hafen selbst hinansblickt, indem er
ihm durch seine nahe Seeverbindung mit Smyrna eine entscheidende Stellung
in dem Landverkehr zwischen "Mitteleuropa" und Vorderasien zusichert. (Wobei
übrigens gar nicht ersichtlich ist, weshalb der große "Überlandverkehr" nicht
über Konstantinopel gehen sollte, sondern statt dessen die geringe Ersparnis --
bei zweimaliger Umladung -- des Wasserweges Saloniki--Smyrna nehmen
sollte.) Dieser große "Überlandverkehr" ist eine völlige Utopie.

Wenn schon der Handel zwischen Deutschland und Rumänien, soweit Massen¬
güter in betracht kommen, den Wasserweg über Hamburg und Gibraltar
wählt, so wird er noch viel mehr die etwa 2500 Kilometer lange Strecke der
Bagdadbahn scheuen. Der Handel ivird immer nur Teilstrecken der Bagdad¬
bahn benutzen -- was übrigens keineswegs ausschließt, daß diese Benutzung
der Teilstrecken erheblichen Gewinn abwerfen wird. Aber der Verkehr mit
Massengütern wird immer den Wasserweg nach Smyrna, Adana, Alexandrette
oder Basra nehmen, und niemals die direkte Landstrecke der orientalischen und
der Bagdadbahn benutzen. Die "Ausfallstore" werden für den österreichischen
Handel Trieft und für den deutschen Handel Hamburg bleiben, und Saloniki
wird schwerlich jemals die große Rolle des Vermittlers im europäischen Handels¬
verkehr erreichen, die die österreichischen Expansionspolitiker ihm erträumt haben.




Die Illusion von Saloniki

fuhrmöglichkeit abgeschnitten war, wenn Österreich-Ungarn seine Grenzen
schloß.

Die Tatsache, daß unser Handel am Balkan mit dem österreichischen kon¬
kurriert, geht besonders deutlich aus den Ergebnissen der Handelsverträge von
1893 und 1894 hervor. Nachdem die österreichisch-serbische Grenzerleichterung
auf das richtige Maß beschränkt war, und wir in den vollen Genuß unseres
Meistbegünstigungsrechts gelangten, ging die österreichische Einfuhr, die jetzt jenes
Schutzes entbehren mußte, zurück, und zwar nicht nur zugunsten der französischen
und englischen, sondern auch ganz ebenso zugunsten der deutschen Einfuhr. Und
ebenso wie in Serbien, sind wir die Handelskonkurrenten Österreichs in Bulgarien
und Rumänien.

Man vergleiche folgende Ziffern: im Jahre 1884 fielen von der Ge¬
samteinfuhr Serbiens 62 Prozent auf Österreich-Ungarn und 15 Prozent auf
Deutschland; im Jahre 1910 kamen auf Österreich 20 Prozent und auf Deutsch¬
land 41 Prozent. Von der Gesamteinfuhr Rumäniens fielen im Jahre 1884
auf Österreich-Ungarn 44 Prozent, auf England 19 Prozent, auf Deutsch¬
land 14 Prozent und auf Italien 1 Prozent; dagegen im Jahre 1910 auf
Österreich-Ungarn 23 Prozent, auf Deutschland 33 Prozent, auf England
13 Prozent und auf Italien 5 Prozent. Von der Gesamteinfuhr Bulgariens
kamen 1886 auf Österreich-Ungarn 26.50 Prozent und auf Deutschland
3,30 Prozent und im Jahre 1910 auf Österreich-Ungarn 26,80 Prozent und
auf Deut'estand 19,20 Prozent.

Nun haben wir gesehen, daß Frhr. von Chlumetzky bei seiner Beurteilung
der Bedeutung Salonikis weit über diesen Hafen selbst hinansblickt, indem er
ihm durch seine nahe Seeverbindung mit Smyrna eine entscheidende Stellung
in dem Landverkehr zwischen „Mitteleuropa" und Vorderasien zusichert. (Wobei
übrigens gar nicht ersichtlich ist, weshalb der große „Überlandverkehr" nicht
über Konstantinopel gehen sollte, sondern statt dessen die geringe Ersparnis —
bei zweimaliger Umladung — des Wasserweges Saloniki—Smyrna nehmen
sollte.) Dieser große „Überlandverkehr" ist eine völlige Utopie.

Wenn schon der Handel zwischen Deutschland und Rumänien, soweit Massen¬
güter in betracht kommen, den Wasserweg über Hamburg und Gibraltar
wählt, so wird er noch viel mehr die etwa 2500 Kilometer lange Strecke der
Bagdadbahn scheuen. Der Handel ivird immer nur Teilstrecken der Bagdad¬
bahn benutzen — was übrigens keineswegs ausschließt, daß diese Benutzung
der Teilstrecken erheblichen Gewinn abwerfen wird. Aber der Verkehr mit
Massengütern wird immer den Wasserweg nach Smyrna, Adana, Alexandrette
oder Basra nehmen, und niemals die direkte Landstrecke der orientalischen und
der Bagdadbahn benutzen. Die „Ausfallstore" werden für den österreichischen
Handel Trieft und für den deutschen Handel Hamburg bleiben, und Saloniki
wird schwerlich jemals die große Rolle des Vermittlers im europäischen Handels¬
verkehr erreichen, die die österreichischen Expansionspolitiker ihm erträumt haben.




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[0518] Die Illusion von Saloniki fuhrmöglichkeit abgeschnitten war, wenn Österreich-Ungarn seine Grenzen schloß. Die Tatsache, daß unser Handel am Balkan mit dem österreichischen kon¬ kurriert, geht besonders deutlich aus den Ergebnissen der Handelsverträge von 1893 und 1894 hervor. Nachdem die österreichisch-serbische Grenzerleichterung auf das richtige Maß beschränkt war, und wir in den vollen Genuß unseres Meistbegünstigungsrechts gelangten, ging die österreichische Einfuhr, die jetzt jenes Schutzes entbehren mußte, zurück, und zwar nicht nur zugunsten der französischen und englischen, sondern auch ganz ebenso zugunsten der deutschen Einfuhr. Und ebenso wie in Serbien, sind wir die Handelskonkurrenten Österreichs in Bulgarien und Rumänien. Man vergleiche folgende Ziffern: im Jahre 1884 fielen von der Ge¬ samteinfuhr Serbiens 62 Prozent auf Österreich-Ungarn und 15 Prozent auf Deutschland; im Jahre 1910 kamen auf Österreich 20 Prozent und auf Deutsch¬ land 41 Prozent. Von der Gesamteinfuhr Rumäniens fielen im Jahre 1884 auf Österreich-Ungarn 44 Prozent, auf England 19 Prozent, auf Deutsch¬ land 14 Prozent und auf Italien 1 Prozent; dagegen im Jahre 1910 auf Österreich-Ungarn 23 Prozent, auf Deutschland 33 Prozent, auf England 13 Prozent und auf Italien 5 Prozent. Von der Gesamteinfuhr Bulgariens kamen 1886 auf Österreich-Ungarn 26.50 Prozent und auf Deutschland 3,30 Prozent und im Jahre 1910 auf Österreich-Ungarn 26,80 Prozent und auf Deut'estand 19,20 Prozent. Nun haben wir gesehen, daß Frhr. von Chlumetzky bei seiner Beurteilung der Bedeutung Salonikis weit über diesen Hafen selbst hinansblickt, indem er ihm durch seine nahe Seeverbindung mit Smyrna eine entscheidende Stellung in dem Landverkehr zwischen „Mitteleuropa" und Vorderasien zusichert. (Wobei übrigens gar nicht ersichtlich ist, weshalb der große „Überlandverkehr" nicht über Konstantinopel gehen sollte, sondern statt dessen die geringe Ersparnis — bei zweimaliger Umladung — des Wasserweges Saloniki—Smyrna nehmen sollte.) Dieser große „Überlandverkehr" ist eine völlige Utopie. Wenn schon der Handel zwischen Deutschland und Rumänien, soweit Massen¬ güter in betracht kommen, den Wasserweg über Hamburg und Gibraltar wählt, so wird er noch viel mehr die etwa 2500 Kilometer lange Strecke der Bagdadbahn scheuen. Der Handel ivird immer nur Teilstrecken der Bagdad¬ bahn benutzen — was übrigens keineswegs ausschließt, daß diese Benutzung der Teilstrecken erheblichen Gewinn abwerfen wird. Aber der Verkehr mit Massengütern wird immer den Wasserweg nach Smyrna, Adana, Alexandrette oder Basra nehmen, und niemals die direkte Landstrecke der orientalischen und der Bagdadbahn benutzen. Die „Ausfallstore" werden für den österreichischen Handel Trieft und für den deutschen Handel Hamburg bleiben, und Saloniki wird schwerlich jemals die große Rolle des Vermittlers im europäischen Handels¬ verkehr erreichen, die die österreichischen Expansionspolitiker ihm erträumt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/518>, abgerufen am 24.07.2024.