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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Illusion von Saloniki

esterreichischen Expansionspolitikern hatte die Erwerbung von
Saloniki so lange als ein politisches Ideal vorgeschwebt, daß sie
seinem Verlust nachgetrauert und kaum bemerkt haben, daß sie
nichts als ein falsches Ideal verloren haben. Man hatte sich
von der Bedeutung, die Saloniki für die Monarchie haben sollte,
ein Trugbild gemacht, das nicht nur das öffentliche Urteil Österreichs und
Deutschlands, sondern auch das anderer Mächte stark beeinflußt hat, und das
den tatsächlichen Verhältnissen gar wenig entsprach.

Für die Ansicht, daß Österreich-Ungarn die Erwerbung Salonikis erstrebte,
werden unter anderen häufig Äußerungen angeführt, die der verstorbene Kron
prinz Rudolf bald nach dem Berliner Kongreß getan zu haben scheint. Aber
diese Äußerungen des unglücklichen Prinzen wird man für die wirkliche Politik
der Monarchie kaum als beweiskräftig annehmen, wenn man bedenkt, daß er
im Jahre 1878 gerade zwanzig Jahre alt war, und daß er noch sechs Jahre
später, als er seine Orientreise machte, in den dortigen Hauptstädten fremde
Diplomaten durch seine große Unkenntnis der Verhältnisse überraschte. Die
amtliche Politik der Monarchie kommt vielmehr in den? Vertrag zum Ausdruck,
den sie 188l mit Serbien abschloß, und worin sie diesem die Anwartschaft auf
das Vilajet Kossowo und das Vardartal zuerkannte, während sie Saloniki davou
ausschloß, weil sie diesen Hafenplatz den Griechen zudachte.

Auf die politische Phantasie indessen hat Saloniki bis zum letzten Balkan¬
kriege eine gewisse Faszination ausgeübt. Doch der Gesichtspunkt, aus dem
man die Frage betrachtete, blieb nicht derselbe. Anfänglich hatte man an
Saloniki von dem Gesichtspunkt einer politischen Kompensation gedacht, für den
Fall, daß die Russen Konstantinopel nähmen. Später betonte man die wirt¬
schaftliche Bedeutung Salonikis, und in dem neuen Jahrhundert tritt diese
Betrachtung bei weitem in den Vordergrund. Unter diesen zahlreichen Dar¬
stellungen dessen, was sich österreichische Expansionspolitiker in dem letzten
Jahrzehnt von Saloniki versprachen, wählen wir die des angesehenen Wiener
Publizisten Leopold Frh. von Chlumetzky, und zwar greisen wir auf sein
1906 erschienenes Buch "Österreich-Ungarn und Italien" zurück, in dem wir
diese Gedanken noch unbeeinflußt von den letzten Balkanereignissen dargelegt
finden. Chlumetzky betont, daß das Interesse der Monarchie sowohl in Albanien
als in Mazedonien in erster Linie ein negatives sei, nämlich zu verhindern.




Die Illusion von Saloniki

esterreichischen Expansionspolitikern hatte die Erwerbung von
Saloniki so lange als ein politisches Ideal vorgeschwebt, daß sie
seinem Verlust nachgetrauert und kaum bemerkt haben, daß sie
nichts als ein falsches Ideal verloren haben. Man hatte sich
von der Bedeutung, die Saloniki für die Monarchie haben sollte,
ein Trugbild gemacht, das nicht nur das öffentliche Urteil Österreichs und
Deutschlands, sondern auch das anderer Mächte stark beeinflußt hat, und das
den tatsächlichen Verhältnissen gar wenig entsprach.

Für die Ansicht, daß Österreich-Ungarn die Erwerbung Salonikis erstrebte,
werden unter anderen häufig Äußerungen angeführt, die der verstorbene Kron
prinz Rudolf bald nach dem Berliner Kongreß getan zu haben scheint. Aber
diese Äußerungen des unglücklichen Prinzen wird man für die wirkliche Politik
der Monarchie kaum als beweiskräftig annehmen, wenn man bedenkt, daß er
im Jahre 1878 gerade zwanzig Jahre alt war, und daß er noch sechs Jahre
später, als er seine Orientreise machte, in den dortigen Hauptstädten fremde
Diplomaten durch seine große Unkenntnis der Verhältnisse überraschte. Die
amtliche Politik der Monarchie kommt vielmehr in den? Vertrag zum Ausdruck,
den sie 188l mit Serbien abschloß, und worin sie diesem die Anwartschaft auf
das Vilajet Kossowo und das Vardartal zuerkannte, während sie Saloniki davou
ausschloß, weil sie diesen Hafenplatz den Griechen zudachte.

Auf die politische Phantasie indessen hat Saloniki bis zum letzten Balkan¬
kriege eine gewisse Faszination ausgeübt. Doch der Gesichtspunkt, aus dem
man die Frage betrachtete, blieb nicht derselbe. Anfänglich hatte man an
Saloniki von dem Gesichtspunkt einer politischen Kompensation gedacht, für den
Fall, daß die Russen Konstantinopel nähmen. Später betonte man die wirt¬
schaftliche Bedeutung Salonikis, und in dem neuen Jahrhundert tritt diese
Betrachtung bei weitem in den Vordergrund. Unter diesen zahlreichen Dar¬
stellungen dessen, was sich österreichische Expansionspolitiker in dem letzten
Jahrzehnt von Saloniki versprachen, wählen wir die des angesehenen Wiener
Publizisten Leopold Frh. von Chlumetzky, und zwar greisen wir auf sein
1906 erschienenes Buch „Österreich-Ungarn und Italien" zurück, in dem wir
diese Gedanken noch unbeeinflußt von den letzten Balkanereignissen dargelegt
finden. Chlumetzky betont, daß das Interesse der Monarchie sowohl in Albanien
als in Mazedonien in erster Linie ein negatives sei, nämlich zu verhindern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/512>, abgerufen am 13.11.2024.