Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Litauische Volkslieder Aufgezeichnet und ins Deutsche übertragen Hans Foerfter-Pellnoat von Rauten*) säte ich und Nelken, Säle sie mit Fleiß; Säle meine jungen Tage Ohne Lust und ohne Klage Zu den Lilien weiß. Die Rauten gieße ich, die Lilien, Trank' auch die Salbein; Gieße mir die jungen Tage Mit den Tränen mein. Rauten pflücke ich und Lilien Und auch rote Nelken; Wer pflückt meine jungen Tage? Ohne Lust und ohne Klage Einsam sie verwelken. 2 Ach, heiße, heiße Tagel Wie scheint die Sonne glühend! -- Mir machen Schmerzen Plage. [Beginn Spaltensatz] Und Mutter hat viel Sorgen, [Spaltenumbruch]
Viel Sorgen hat Weißköpfchen: Wo bleibt meine Tochter morgen? Fährt sie mit buntem Wagen Zum Liebsten? Ob die Burschen Zum hohen Berg**) sie tragen? Ach. Mütterchen, nicht denket [Ende Spaltensatz]
An Hochzeit jetzt und Freuden! -- Mich in die Grub' man senket. Wenn Brüderchen die Pferde Im nächsten Frühling hütet, Lieg' ich schon in der Erde; *) Die Raute kehrt in fast allen litauischen Volksliedern (äainos) wieder; sie entspricht, ihrer symbolischen Bedeutung nach, unserer Myrrhe. "Der hohe Berg" bezeichnet in Litauen immer den Friedhof. Stets ist für diesen dort eine der geringen Bodenerhebungen als Platz gewählt. Wie völlig die Vorstellungen von Berg und Friedhof ineinander verwachsen find, zeigt köstlich die Äußerung einer alten Litauerin: als ich ihr von Gebirgen erzählte, meinte sie kopfschüttelnd: "Aber das muß doch schrecklich schwer sein, jedesmal mit dem Sarg da hinauf zu klettern." (Vgl. auch Lied 4,> * 30
Litauische Volkslieder Aufgezeichnet und ins Deutsche übertragen Hans Foerfter-Pellnoat von Rauten*) säte ich und Nelken, Säle sie mit Fleiß; Säle meine jungen Tage Ohne Lust und ohne Klage Zu den Lilien weiß. Die Rauten gieße ich, die Lilien, Trank' auch die Salbein; Gieße mir die jungen Tage Mit den Tränen mein. Rauten pflücke ich und Lilien Und auch rote Nelken; Wer pflückt meine jungen Tage? Ohne Lust und ohne Klage Einsam sie verwelken. 2 Ach, heiße, heiße Tagel Wie scheint die Sonne glühend! — Mir machen Schmerzen Plage. [Beginn Spaltensatz] Und Mutter hat viel Sorgen, [Spaltenumbruch]
Viel Sorgen hat Weißköpfchen: Wo bleibt meine Tochter morgen? Fährt sie mit buntem Wagen Zum Liebsten? Ob die Burschen Zum hohen Berg**) sie tragen? Ach. Mütterchen, nicht denket [Ende Spaltensatz]
An Hochzeit jetzt und Freuden! — Mich in die Grub' man senket. Wenn Brüderchen die Pferde Im nächsten Frühling hütet, Lieg' ich schon in der Erde; *) Die Raute kehrt in fast allen litauischen Volksliedern (äainos) wieder; sie entspricht, ihrer symbolischen Bedeutung nach, unserer Myrrhe. „Der hohe Berg" bezeichnet in Litauen immer den Friedhof. Stets ist für diesen dort eine der geringen Bodenerhebungen als Platz gewählt. Wie völlig die Vorstellungen von Berg und Friedhof ineinander verwachsen find, zeigt köstlich die Äußerung einer alten Litauerin: als ich ihr von Gebirgen erzählte, meinte sie kopfschüttelnd: „Aber das muß doch schrecklich schwer sein, jedesmal mit dem Sarg da hinauf zu klettern." (Vgl. auch Lied 4,> * 30
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328579"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_328099/figures/grenzboten_341899_328099_328579_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Litauische Volkslieder<lb/> Aufgezeichnet und ins Deutsche übertragen<lb/><note type="byline"> Hans Foerfter-Pellnoat</note> von</head><lb/> <div n="2"> <head/><lb/> <lg xml:id="POEMID_23" type="poem" next="#POEMID_24"> <l> Rauten*) säte ich und Nelken,<lb/> Säle sie mit Fleiß;<lb/> Säle meine jungen Tage<lb/> Ohne Lust und ohne Klage<lb/> Zu den Lilien weiß.</l> </lg><lb/> <lg xml:id="POEMID_24" prev="#POEMID_23" type="poem" next="#POEMID_25"> <l> Die Rauten gieße ich, die Lilien,<lb/> Trank' auch die Salbein;<lb/> Gieße mir die jungen Tage<lb/> Mit den Tränen mein.</l> </lg><lb/> <lg xml:id="POEMID_25" prev="#POEMID_24" type="poem"> <l> Rauten pflücke ich und Lilien<lb/> Und auch rote Nelken;<lb/> Wer pflückt meine jungen Tage?<lb/> Ohne Lust und ohne Klage<lb/> Einsam sie verwelken.</l> </lg><lb/> </div> <div n="2"> <head> 2</head><lb/> <lg xml:id="POEMID_26" type="poem" next="#POEMID_27"> <l> Ach, heiße, heiße Tagel<lb/> Wie scheint die Sonne glühend! —<lb/> Mir machen Schmerzen Plage.</l> </lg><lb/> <cb type="start"/> <lg xml:id="POEMID_27" prev="#POEMID_26" type="poem" next="#POEMID_28"> <l> Und Mutter hat viel Sorgen,<lb/> Viel Sorgen hat Weißköpfchen:<lb/> Wo bleibt meine Tochter morgen?<lb/> Fährt sie mit buntem Wagen<lb/> Zum Liebsten? Ob die Burschen<lb/> Zum hohen Berg**) sie tragen?</l> </lg> <cb/><lb/> <lg xml:id="POEMID_28" prev="#POEMID_27" type="poem"> <l> Ach. Mütterchen, nicht denket<lb/> An Hochzeit jetzt und Freuden! —<lb/> Mich in die Grub' man senket.<lb/> Wenn Brüderchen die Pferde<lb/> Im nächsten Frühling hütet,<lb/> Lieg' ich schon in der Erde;</l> </lg> <cb type="end"/><lb/> <note xml:id="FID_99" place="foot"> *) Die Raute kehrt in fast allen litauischen Volksliedern (äainos) wieder; sie entspricht,<lb/> ihrer symbolischen Bedeutung nach, unserer Myrrhe.</note><lb/> <note xml:id="FID_100" place="foot"> „Der hohe Berg" bezeichnet in Litauen immer den Friedhof. Stets ist für diesen<lb/> dort eine der geringen Bodenerhebungen als Platz gewählt. Wie völlig die Vorstellungen<lb/> von Berg und Friedhof ineinander verwachsen find, zeigt köstlich die Äußerung einer alten<lb/> Litauerin: als ich ihr von Gebirgen erzählte, meinte sie kopfschüttelnd: „Aber das muß doch<lb/> schrecklich schwer sein, jedesmal mit dem Sarg da hinauf zu klettern." (Vgl. auch Lied 4,><lb/> *</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 30</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
[Abbildung]
Litauische Volkslieder
Aufgezeichnet und ins Deutsche übertragen
Hans Foerfter-Pellnoat von
Rauten*) säte ich und Nelken,
Säle sie mit Fleiß;
Säle meine jungen Tage
Ohne Lust und ohne Klage
Zu den Lilien weiß.
Die Rauten gieße ich, die Lilien,
Trank' auch die Salbein;
Gieße mir die jungen Tage
Mit den Tränen mein.
Rauten pflücke ich und Lilien
Und auch rote Nelken;
Wer pflückt meine jungen Tage?
Ohne Lust und ohne Klage
Einsam sie verwelken.
2
Ach, heiße, heiße Tagel
Wie scheint die Sonne glühend! —
Mir machen Schmerzen Plage.
Und Mutter hat viel Sorgen,
Viel Sorgen hat Weißköpfchen:
Wo bleibt meine Tochter morgen?
Fährt sie mit buntem Wagen
Zum Liebsten? Ob die Burschen
Zum hohen Berg**) sie tragen?
Ach. Mütterchen, nicht denket
An Hochzeit jetzt und Freuden! —
Mich in die Grub' man senket.
Wenn Brüderchen die Pferde
Im nächsten Frühling hütet,
Lieg' ich schon in der Erde;
*) Die Raute kehrt in fast allen litauischen Volksliedern (äainos) wieder; sie entspricht,
ihrer symbolischen Bedeutung nach, unserer Myrrhe.
„Der hohe Berg" bezeichnet in Litauen immer den Friedhof. Stets ist für diesen
dort eine der geringen Bodenerhebungen als Platz gewählt. Wie völlig die Vorstellungen
von Berg und Friedhof ineinander verwachsen find, zeigt köstlich die Äußerung einer alten
Litauerin: als ich ihr von Gebirgen erzählte, meinte sie kopfschüttelnd: „Aber das muß doch
schrecklich schwer sein, jedesmal mit dem Sarg da hinauf zu klettern." (Vgl. auch Lied 4,>
*
30
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |