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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Aindersreund
Die Geschichte einer Tierschaunacht
Margarete Ivindthorst von

le junge Frau Martha Driewer stand an der Maschine und hob
die braunen, kroß gebackenen Puffer aus dem dampfenden Öl der
Eisenpfanne in die weiße flache Porzellanschüssel. Der warme Tust,
welcher ans dem Gebäck emporstieg und sich angenehm dem ganzen
Hause mitteilte, lockte bald das Gesinde heran, das sich um den
Tisch im Flur an seine Plätze verteilte. Der letzte Knecht hatte die Dielentür
hinter sich geschlossen, eine der Mägde ließ noch den hochgeschürzten Rock herunter
und trat auf einer Matte den Stallmist von den guten Lederschuhen; damit,
und mit der ruhigen Feierlichkeit, die über Gesichtern und Kleidern aller lag,
beschlossen sie die Sonntags arbeit und freuten sich auf das Essen, das die junge
Bäuerin ihnen reichlich zuschob.

Die gewohnte Tischordnung war heute gestört durch das Fehlen des Bauern,
dessen oberster Platz neben Martha frei blieb. Die junge Frau suchte die Ab¬
wesenheit des unter seinen Leuten beliebten Bauern durch ihr eigenes Wohl¬
wollen zu ersetzen, indem sie hier und da eine Anrede an die Leute ergehen
ließ und ein paar schwächliche Kötterkinder zu reichlichem Zugreifen ermunterte,
die unten ihren Platz hatten, wo sie sich nach den, Willen ihres Mannes an
dem guten Bauerntisch mit durchessen sollten. Frau Martha. so herzlich sie es
meinte, hatte aber doch nicht das Geschick, mit Leuten umzugehen, wie Wilhelm
Driewer, denn wo ein Wort von ihm genügte, gebrauchte sie eine ganze Rede,
und man war heute nicht so frei beim Essen, wie wenn Wilhelm Driewer den
Leuten sein einziges Wort zurief.

So war es allen bei einer gewissen Befangenheit willkommen, als durch
eine der offenen Türen zum Hofe Nita Stratmann hereintrat, die als ein
Mädchen aus der nächsten Freundschaft und entfernten Verwandtschaft der Frau
Martha von allen wohl gekannt war. Dem Gesinde flog ein neuer Ausdruck
von Interesse über die Gesichter, und Frau Martha begrüßte die Freundin
und Verwandte mit einem wahrhaften Willkommen und nötigte den Gast, den
leeren Platz des Bauern einzunehmen, den das Mädchen aber nur ungern vor
aller Schau sich aufzwingen lich.

"Du wärest seit einem halben Jahre nicht mehr da." sagte Frau Martha
mit freundlichem Tadel und fügte bedauernd hinzu: "Und wenn du endlich
kommst, trifft es sich immer, daß Wilhelm aus ist,"


Grenzboten II ^


Wilhelm Driewer, der Aindersreund
Die Geschichte einer Tierschaunacht
Margarete Ivindthorst von

le junge Frau Martha Driewer stand an der Maschine und hob
die braunen, kroß gebackenen Puffer aus dem dampfenden Öl der
Eisenpfanne in die weiße flache Porzellanschüssel. Der warme Tust,
welcher ans dem Gebäck emporstieg und sich angenehm dem ganzen
Hause mitteilte, lockte bald das Gesinde heran, das sich um den
Tisch im Flur an seine Plätze verteilte. Der letzte Knecht hatte die Dielentür
hinter sich geschlossen, eine der Mägde ließ noch den hochgeschürzten Rock herunter
und trat auf einer Matte den Stallmist von den guten Lederschuhen; damit,
und mit der ruhigen Feierlichkeit, die über Gesichtern und Kleidern aller lag,
beschlossen sie die Sonntags arbeit und freuten sich auf das Essen, das die junge
Bäuerin ihnen reichlich zuschob.

Die gewohnte Tischordnung war heute gestört durch das Fehlen des Bauern,
dessen oberster Platz neben Martha frei blieb. Die junge Frau suchte die Ab¬
wesenheit des unter seinen Leuten beliebten Bauern durch ihr eigenes Wohl¬
wollen zu ersetzen, indem sie hier und da eine Anrede an die Leute ergehen
ließ und ein paar schwächliche Kötterkinder zu reichlichem Zugreifen ermunterte,
die unten ihren Platz hatten, wo sie sich nach den, Willen ihres Mannes an
dem guten Bauerntisch mit durchessen sollten. Frau Martha. so herzlich sie es
meinte, hatte aber doch nicht das Geschick, mit Leuten umzugehen, wie Wilhelm
Driewer, denn wo ein Wort von ihm genügte, gebrauchte sie eine ganze Rede,
und man war heute nicht so frei beim Essen, wie wenn Wilhelm Driewer den
Leuten sein einziges Wort zurief.

So war es allen bei einer gewissen Befangenheit willkommen, als durch
eine der offenen Türen zum Hofe Nita Stratmann hereintrat, die als ein
Mädchen aus der nächsten Freundschaft und entfernten Verwandtschaft der Frau
Martha von allen wohl gekannt war. Dem Gesinde flog ein neuer Ausdruck
von Interesse über die Gesichter, und Frau Martha begrüßte die Freundin
und Verwandte mit einem wahrhaften Willkommen und nötigte den Gast, den
leeren Platz des Bauern einzunehmen, den das Mädchen aber nur ungern vor
aller Schau sich aufzwingen lich.

„Du wärest seit einem halben Jahre nicht mehr da." sagte Frau Martha
mit freundlichem Tadel und fügte bedauernd hinzu: „Und wenn du endlich
kommst, trifft es sich immer, daß Wilhelm aus ist,"


Grenzboten II ^
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[0429] [Abbildung] Wilhelm Driewer, der Aindersreund Die Geschichte einer Tierschaunacht Margarete Ivindthorst von le junge Frau Martha Driewer stand an der Maschine und hob die braunen, kroß gebackenen Puffer aus dem dampfenden Öl der Eisenpfanne in die weiße flache Porzellanschüssel. Der warme Tust, welcher ans dem Gebäck emporstieg und sich angenehm dem ganzen Hause mitteilte, lockte bald das Gesinde heran, das sich um den Tisch im Flur an seine Plätze verteilte. Der letzte Knecht hatte die Dielentür hinter sich geschlossen, eine der Mägde ließ noch den hochgeschürzten Rock herunter und trat auf einer Matte den Stallmist von den guten Lederschuhen; damit, und mit der ruhigen Feierlichkeit, die über Gesichtern und Kleidern aller lag, beschlossen sie die Sonntags arbeit und freuten sich auf das Essen, das die junge Bäuerin ihnen reichlich zuschob. Die gewohnte Tischordnung war heute gestört durch das Fehlen des Bauern, dessen oberster Platz neben Martha frei blieb. Die junge Frau suchte die Ab¬ wesenheit des unter seinen Leuten beliebten Bauern durch ihr eigenes Wohl¬ wollen zu ersetzen, indem sie hier und da eine Anrede an die Leute ergehen ließ und ein paar schwächliche Kötterkinder zu reichlichem Zugreifen ermunterte, die unten ihren Platz hatten, wo sie sich nach den, Willen ihres Mannes an dem guten Bauerntisch mit durchessen sollten. Frau Martha. so herzlich sie es meinte, hatte aber doch nicht das Geschick, mit Leuten umzugehen, wie Wilhelm Driewer, denn wo ein Wort von ihm genügte, gebrauchte sie eine ganze Rede, und man war heute nicht so frei beim Essen, wie wenn Wilhelm Driewer den Leuten sein einziges Wort zurief. So war es allen bei einer gewissen Befangenheit willkommen, als durch eine der offenen Türen zum Hofe Nita Stratmann hereintrat, die als ein Mädchen aus der nächsten Freundschaft und entfernten Verwandtschaft der Frau Martha von allen wohl gekannt war. Dem Gesinde flog ein neuer Ausdruck von Interesse über die Gesichter, und Frau Martha begrüßte die Freundin und Verwandte mit einem wahrhaften Willkommen und nötigte den Gast, den leeren Platz des Bauern einzunehmen, den das Mädchen aber nur ungern vor aller Schau sich aufzwingen lich. „Du wärest seit einem halben Jahre nicht mehr da." sagte Frau Martha mit freundlichem Tadel und fügte bedauernd hinzu: „Und wenn du endlich kommst, trifft es sich immer, daß Wilhelm aus ist," Grenzboten II ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/429>, abgerufen am 13.11.2024.