Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


"Freideutsche Iugendkultur"
Linige Raxitel aus der jüngsten Jugendbewegung
von Schulrat Eberhard (Schluß)
Der Ansturm der neuen Jugend richtet sich zunächst gegen das
Elternhaus

Das Elternhaus hat in den Augen des Wvnekenschen Kreises von vornherein
seine Unfähigkeit zur Erziehung bewiesen, darum muß nun das Erziehungs¬
problem ohne es gelöst werden. "Wir dürfen nur nicht mehr so viel falsches
Mitleid mit unseren Eltern haben, dürfen sie nicht mehr zu ängstlich schonen.
Wir haben sie schon viel zu sehr verwöhnt. . . Man stellt sich aus Gewohnheit
die offene Rebellion so ungeheuerlich vor; in Wahrheit wird sie vielleicht fast
banal verlaufen. Wir müssen bei jeder Gelegenheit Szenen heraufbeschwören,
die Alten werden es schon müde werden. Sie müssen vor allem empfinden,
daß es sich nicht um unser Privatvergnügen, sondern um eine Idee handelt. ..
Es ist nicht unsere Schuld, sondern unser Verdienst, wenn wir dem Bild, daß
(sie) sich unsere Eltern von uns machen, nicht entsprechen. Wir müssen sie eben
beizeiten daran gewöhnen. Und Sie glauben gar nicht, wie leicht man Eltern
mit ein wenig Energie erziehen kann... Im Ernst, durch die schrankenlose
Offenheit wird das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern endlich einiger¬
maßen anständig werden. Wir zwingen zu einem anständigen Kampfe, eben
durch Offenheit... Sie wissen, ich achte meine Eltern viel mehr, seit ich sie
für würdig befinde, um mein Leben zu wissen," so räsonniert ein "moderner",
"freier" Jüngling "Gregor" im Zwiegespräch mit einer modernen "Lisaweta".
Und die "Elfte" aus Berlin schämt sich nicht, über ihre "langweiligen"
Sonntagnachmittage zu orakeln: "Wie ernst und schwer ein solcher Tag für
einen jungen Menschen ist, der sich krank sehnt nach irgendeinem gleichgesinnten
Menschen. Wie bitter und vergreisend dieses Gefühl ist: dazusitzen zwischen
Eltern und Verwandten. Ihrem Gespräch zuhören müssen, da soviel anderes
ans Licht Wollende uns beschäftigt, und zu denken: was in aller Welt habe
ich mit all diesen Leuten (!) zu tun? Was sie mit mir?"




„Freideutsche Iugendkultur"
Linige Raxitel aus der jüngsten Jugendbewegung
von Schulrat Eberhard (Schluß)
Der Ansturm der neuen Jugend richtet sich zunächst gegen das
Elternhaus

Das Elternhaus hat in den Augen des Wvnekenschen Kreises von vornherein
seine Unfähigkeit zur Erziehung bewiesen, darum muß nun das Erziehungs¬
problem ohne es gelöst werden. „Wir dürfen nur nicht mehr so viel falsches
Mitleid mit unseren Eltern haben, dürfen sie nicht mehr zu ängstlich schonen.
Wir haben sie schon viel zu sehr verwöhnt. . . Man stellt sich aus Gewohnheit
die offene Rebellion so ungeheuerlich vor; in Wahrheit wird sie vielleicht fast
banal verlaufen. Wir müssen bei jeder Gelegenheit Szenen heraufbeschwören,
die Alten werden es schon müde werden. Sie müssen vor allem empfinden,
daß es sich nicht um unser Privatvergnügen, sondern um eine Idee handelt. ..
Es ist nicht unsere Schuld, sondern unser Verdienst, wenn wir dem Bild, daß
(sie) sich unsere Eltern von uns machen, nicht entsprechen. Wir müssen sie eben
beizeiten daran gewöhnen. Und Sie glauben gar nicht, wie leicht man Eltern
mit ein wenig Energie erziehen kann... Im Ernst, durch die schrankenlose
Offenheit wird das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern endlich einiger¬
maßen anständig werden. Wir zwingen zu einem anständigen Kampfe, eben
durch Offenheit... Sie wissen, ich achte meine Eltern viel mehr, seit ich sie
für würdig befinde, um mein Leben zu wissen," so räsonniert ein „moderner",
„freier" Jüngling „Gregor" im Zwiegespräch mit einer modernen „Lisaweta".
Und die „Elfte" aus Berlin schämt sich nicht, über ihre „langweiligen"
Sonntagnachmittage zu orakeln: „Wie ernst und schwer ein solcher Tag für
einen jungen Menschen ist, der sich krank sehnt nach irgendeinem gleichgesinnten
Menschen. Wie bitter und vergreisend dieses Gefühl ist: dazusitzen zwischen
Eltern und Verwandten. Ihrem Gespräch zuhören müssen, da soviel anderes
ans Licht Wollende uns beschäftigt, und zu denken: was in aller Welt habe
ich mit all diesen Leuten (!) zu tun? Was sie mit mir?"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328509"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_328099/figures/grenzboten_341899_328099_328509_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> &#x201E;Freideutsche Iugendkultur"<lb/>
Linige Raxitel aus der jüngsten Jugendbewegung<lb/><note type="byline"> von Schulrat Eberhard</note> (Schluß)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Der Ansturm der neuen Jugend richtet sich zunächst gegen das<lb/>
Elternhaus</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1643" prev="#ID_1642"> Das Elternhaus hat in den Augen des Wvnekenschen Kreises von vornherein<lb/>
seine Unfähigkeit zur Erziehung bewiesen, darum muß nun das Erziehungs¬<lb/>
problem ohne es gelöst werden. &#x201E;Wir dürfen nur nicht mehr so viel falsches<lb/>
Mitleid mit unseren Eltern haben, dürfen sie nicht mehr zu ängstlich schonen.<lb/>
Wir haben sie schon viel zu sehr verwöhnt. . . Man stellt sich aus Gewohnheit<lb/>
die offene Rebellion so ungeheuerlich vor; in Wahrheit wird sie vielleicht fast<lb/>
banal verlaufen. Wir müssen bei jeder Gelegenheit Szenen heraufbeschwören,<lb/>
die Alten werden es schon müde werden. Sie müssen vor allem empfinden,<lb/>
daß es sich nicht um unser Privatvergnügen, sondern um eine Idee handelt. ..<lb/>
Es ist nicht unsere Schuld, sondern unser Verdienst, wenn wir dem Bild, daß<lb/>
(sie) sich unsere Eltern von uns machen, nicht entsprechen. Wir müssen sie eben<lb/>
beizeiten daran gewöhnen. Und Sie glauben gar nicht, wie leicht man Eltern<lb/>
mit ein wenig Energie erziehen kann... Im Ernst, durch die schrankenlose<lb/>
Offenheit wird das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern endlich einiger¬<lb/>
maßen anständig werden. Wir zwingen zu einem anständigen Kampfe, eben<lb/>
durch Offenheit... Sie wissen, ich achte meine Eltern viel mehr, seit ich sie<lb/>
für würdig befinde, um mein Leben zu wissen," so räsonniert ein &#x201E;moderner",<lb/>
&#x201E;freier" Jüngling &#x201E;Gregor" im Zwiegespräch mit einer modernen &#x201E;Lisaweta".<lb/>
Und die &#x201E;Elfte" aus Berlin schämt sich nicht, über ihre &#x201E;langweiligen"<lb/>
Sonntagnachmittage zu orakeln: &#x201E;Wie ernst und schwer ein solcher Tag für<lb/>
einen jungen Menschen ist, der sich krank sehnt nach irgendeinem gleichgesinnten<lb/>
Menschen. Wie bitter und vergreisend dieses Gefühl ist: dazusitzen zwischen<lb/>
Eltern und Verwandten. Ihrem Gespräch zuhören müssen, da soviel anderes<lb/>
ans Licht Wollende uns beschäftigt, und zu denken: was in aller Welt habe<lb/>
ich mit all diesen Leuten (!) zu tun? Was sie mit mir?"</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] [Abbildung] „Freideutsche Iugendkultur" Linige Raxitel aus der jüngsten Jugendbewegung von Schulrat Eberhard (Schluß) Der Ansturm der neuen Jugend richtet sich zunächst gegen das Elternhaus Das Elternhaus hat in den Augen des Wvnekenschen Kreises von vornherein seine Unfähigkeit zur Erziehung bewiesen, darum muß nun das Erziehungs¬ problem ohne es gelöst werden. „Wir dürfen nur nicht mehr so viel falsches Mitleid mit unseren Eltern haben, dürfen sie nicht mehr zu ängstlich schonen. Wir haben sie schon viel zu sehr verwöhnt. . . Man stellt sich aus Gewohnheit die offene Rebellion so ungeheuerlich vor; in Wahrheit wird sie vielleicht fast banal verlaufen. Wir müssen bei jeder Gelegenheit Szenen heraufbeschwören, die Alten werden es schon müde werden. Sie müssen vor allem empfinden, daß es sich nicht um unser Privatvergnügen, sondern um eine Idee handelt. .. Es ist nicht unsere Schuld, sondern unser Verdienst, wenn wir dem Bild, daß (sie) sich unsere Eltern von uns machen, nicht entsprechen. Wir müssen sie eben beizeiten daran gewöhnen. Und Sie glauben gar nicht, wie leicht man Eltern mit ein wenig Energie erziehen kann... Im Ernst, durch die schrankenlose Offenheit wird das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern endlich einiger¬ maßen anständig werden. Wir zwingen zu einem anständigen Kampfe, eben durch Offenheit... Sie wissen, ich achte meine Eltern viel mehr, seit ich sie für würdig befinde, um mein Leben zu wissen," so räsonniert ein „moderner", „freier" Jüngling „Gregor" im Zwiegespräch mit einer modernen „Lisaweta". Und die „Elfte" aus Berlin schämt sich nicht, über ihre „langweiligen" Sonntagnachmittage zu orakeln: „Wie ernst und schwer ein solcher Tag für einen jungen Menschen ist, der sich krank sehnt nach irgendeinem gleichgesinnten Menschen. Wie bitter und vergreisend dieses Gefühl ist: dazusitzen zwischen Eltern und Verwandten. Ihrem Gespräch zuhören müssen, da soviel anderes ans Licht Wollende uns beschäftigt, und zu denken: was in aller Welt habe ich mit all diesen Leuten (!) zu tun? Was sie mit mir?"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/409>, abgerufen am 04.07.2024.