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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Eine Wanderung zur Gralsburg
Richard Freyen von

ewiß hat Lohengrin recht, wenn er angibt, im fernen Land,
unnahbar unsern Schritten läge die Burg des heiligen Gral.
Und dennoch hat Wagner in seinem Parsifal später, im Einklang
mit mittelalterlichen Sagen und Legenden, dies ferne Land genauer
bezeichnet. Er gibt als Szenenanweisung: "Gegend im Charakter
der nördlichen Gebirge des gotischen Spanien" und zeigt damit in die rechte
Richtung. Denn wir wissen heute, zwar nicht dokumentarisch genau, aber doch
mit jener Sicherheit, die uns die Szylla und Charybdis der Alten, die uns
den Jsenstein Brünhildes mit gewissen Gegenden der Wirklichkeit in eins setzen
läßt, daß ein Urbild der Gralsburg vorhanden ist, und zwar im Montserrat
in Katalonien, unweit von Barzelona. Und steht auch der Tempel des Am-
fortas nicht mehr, senkt sich nicht mehr alljährlich vom Himmel eine Taube,
um des Grates Wunderkraft zu stärken, ein Märchenberg ist er doch, und es
ist wohl zu verstehen, daß die Gralslegende die einzige nicht ist, die sich um
sein vielzackiges Haupt gewoben hat.

"Monsalvat" nennt Wagner die Gralsburg, und hat dem Munsalvatsch
des Mittelalters nach seiner Art durch eine kleine Namensänderung eine Be¬
ziehung auf den Erlöser gegeben. Ursprünglich war der "Montsalvage" das
"wilde, waldige Gebirge" und ist identisch mit dem Montserrat, dessen heutigen
Namen die einen als Monteserrado, den gesägten Berg, die anderen als Monte-
sagrado, den heiligen Berg, deuten. Wie dem auch sei, in jedem dieser Namen
steckt ein Körnchen echter Beziehung, und aus mehr als einem Grunde kann der
Berg als eine der seltsamsten Stellen des alten Europa gelten.

Als wir, wie weiland Parsifal, aufbrachen zur Wanderung nach der
Gralsburg, war der Himmel über Barzelona mit Wolken verhangen. Nicht
ohne Bangen zogen wir aus, denn blickte auch zuweilen die südliche Sonne warm
und goldig durch einen Spalt im Gewölk, so war es doch möglich, daß sich
der Gipfel des immerhin 1240 Meter hoch anfragenden Berges unseren Blicken




Eine Wanderung zur Gralsburg
Richard Freyen von

ewiß hat Lohengrin recht, wenn er angibt, im fernen Land,
unnahbar unsern Schritten läge die Burg des heiligen Gral.
Und dennoch hat Wagner in seinem Parsifal später, im Einklang
mit mittelalterlichen Sagen und Legenden, dies ferne Land genauer
bezeichnet. Er gibt als Szenenanweisung: „Gegend im Charakter
der nördlichen Gebirge des gotischen Spanien" und zeigt damit in die rechte
Richtung. Denn wir wissen heute, zwar nicht dokumentarisch genau, aber doch
mit jener Sicherheit, die uns die Szylla und Charybdis der Alten, die uns
den Jsenstein Brünhildes mit gewissen Gegenden der Wirklichkeit in eins setzen
läßt, daß ein Urbild der Gralsburg vorhanden ist, und zwar im Montserrat
in Katalonien, unweit von Barzelona. Und steht auch der Tempel des Am-
fortas nicht mehr, senkt sich nicht mehr alljährlich vom Himmel eine Taube,
um des Grates Wunderkraft zu stärken, ein Märchenberg ist er doch, und es
ist wohl zu verstehen, daß die Gralslegende die einzige nicht ist, die sich um
sein vielzackiges Haupt gewoben hat.

„Monsalvat" nennt Wagner die Gralsburg, und hat dem Munsalvatsch
des Mittelalters nach seiner Art durch eine kleine Namensänderung eine Be¬
ziehung auf den Erlöser gegeben. Ursprünglich war der „Montsalvage" das
„wilde, waldige Gebirge" und ist identisch mit dem Montserrat, dessen heutigen
Namen die einen als Monteserrado, den gesägten Berg, die anderen als Monte-
sagrado, den heiligen Berg, deuten. Wie dem auch sei, in jedem dieser Namen
steckt ein Körnchen echter Beziehung, und aus mehr als einem Grunde kann der
Berg als eine der seltsamsten Stellen des alten Europa gelten.

Als wir, wie weiland Parsifal, aufbrachen zur Wanderung nach der
Gralsburg, war der Himmel über Barzelona mit Wolken verhangen. Nicht
ohne Bangen zogen wir aus, denn blickte auch zuweilen die südliche Sonne warm
und goldig durch einen Spalt im Gewölk, so war es doch möglich, daß sich
der Gipfel des immerhin 1240 Meter hoch anfragenden Berges unseren Blicken


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[0286] [Abbildung] Eine Wanderung zur Gralsburg Richard Freyen von ewiß hat Lohengrin recht, wenn er angibt, im fernen Land, unnahbar unsern Schritten läge die Burg des heiligen Gral. Und dennoch hat Wagner in seinem Parsifal später, im Einklang mit mittelalterlichen Sagen und Legenden, dies ferne Land genauer bezeichnet. Er gibt als Szenenanweisung: „Gegend im Charakter der nördlichen Gebirge des gotischen Spanien" und zeigt damit in die rechte Richtung. Denn wir wissen heute, zwar nicht dokumentarisch genau, aber doch mit jener Sicherheit, die uns die Szylla und Charybdis der Alten, die uns den Jsenstein Brünhildes mit gewissen Gegenden der Wirklichkeit in eins setzen läßt, daß ein Urbild der Gralsburg vorhanden ist, und zwar im Montserrat in Katalonien, unweit von Barzelona. Und steht auch der Tempel des Am- fortas nicht mehr, senkt sich nicht mehr alljährlich vom Himmel eine Taube, um des Grates Wunderkraft zu stärken, ein Märchenberg ist er doch, und es ist wohl zu verstehen, daß die Gralslegende die einzige nicht ist, die sich um sein vielzackiges Haupt gewoben hat. „Monsalvat" nennt Wagner die Gralsburg, und hat dem Munsalvatsch des Mittelalters nach seiner Art durch eine kleine Namensänderung eine Be¬ ziehung auf den Erlöser gegeben. Ursprünglich war der „Montsalvage" das „wilde, waldige Gebirge" und ist identisch mit dem Montserrat, dessen heutigen Namen die einen als Monteserrado, den gesägten Berg, die anderen als Monte- sagrado, den heiligen Berg, deuten. Wie dem auch sei, in jedem dieser Namen steckt ein Körnchen echter Beziehung, und aus mehr als einem Grunde kann der Berg als eine der seltsamsten Stellen des alten Europa gelten. Als wir, wie weiland Parsifal, aufbrachen zur Wanderung nach der Gralsburg, war der Himmel über Barzelona mit Wolken verhangen. Nicht ohne Bangen zogen wir aus, denn blickte auch zuweilen die südliche Sonne warm und goldig durch einen Spalt im Gewölk, so war es doch möglich, daß sich der Gipfel des immerhin 1240 Meter hoch anfragenden Berges unseren Blicken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/286>, abgerufen am 13.11.2024.