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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Russische Briefe
George Lleinow von

le Notwendigkeit, das Material für historische Studien über
Rußland zu ergänzen, ermöglichte es mir auch einem Wunsche
nachzugeben, den ich als Herausgeber dieser Zeitschrift hegte, dem
Wunsche, durch persönlichen Augenschein und persönliche Aus¬
sprache mit leitenden Staatsmännern und Politikern festzustellen,
was hinter dem Zeitungskriege steckt, der im Februar und März unter Voran¬
tritt der Kölnischen Zeitung zwischen Deutschland und Rußland geführt wurde.
Nun bin ich in der zwar als charakterlos verlästerten, aber doch recht an¬
ziehenden Stadt des großen Peter, die Dragutin Prohaska in diesen Heften so
geistvoll geschildert hat, und habe mich schon einige Wochen hindurch umgesehen.

Wenn ich die russische Grenze überschreite, wird mir immer von neuem
klar, warum so viele Deutsche restlos im Russentum aufgegangen sind, welche
Gefahr uns Deutschen in Rußland und durch das Russentum droht. Nicht
im politischen Sinne; auch nicht deshalb, weil uns die Panslawisten oder
solche Originalrussen wie Herr Goldstein, Schulz, von Sack und andere feindlich
gesinnt wären, sondern gerade wegen der vielen, uns so sympathisch anmutenden
Eigenschaften derjenigen rein russischen Kreise, mit denen der Deutsche, ins¬
besondere der deutsche Gelehrte und Schriftsteller in Berührung kommt. Es
wird uns, sind wir nicht sehr auf der Hut, zu leicht gemacht, uns dem Russen¬
tum anzuschließen. Das Leben in Rußland kann ganz allgemein für den Deutschen
leichter sein als in Deutschland, nicht weil er dem Russen besonders überlegen wäre,
wie manche von uns gern behaupten, sondern weil der Russe, wenn er sich
überhaupt entschließt den Ausländer aufzunehmen, eine Gastfreundschaft übt,
die dem Fremden das Leben und Wirken so angenehm wie nur möglich, das
Arbeiten so leicht wie möglich machen will, solange dieser nicht nach ausschlag"




Russische Briefe
George Lleinow von

le Notwendigkeit, das Material für historische Studien über
Rußland zu ergänzen, ermöglichte es mir auch einem Wunsche
nachzugeben, den ich als Herausgeber dieser Zeitschrift hegte, dem
Wunsche, durch persönlichen Augenschein und persönliche Aus¬
sprache mit leitenden Staatsmännern und Politikern festzustellen,
was hinter dem Zeitungskriege steckt, der im Februar und März unter Voran¬
tritt der Kölnischen Zeitung zwischen Deutschland und Rußland geführt wurde.
Nun bin ich in der zwar als charakterlos verlästerten, aber doch recht an¬
ziehenden Stadt des großen Peter, die Dragutin Prohaska in diesen Heften so
geistvoll geschildert hat, und habe mich schon einige Wochen hindurch umgesehen.

Wenn ich die russische Grenze überschreite, wird mir immer von neuem
klar, warum so viele Deutsche restlos im Russentum aufgegangen sind, welche
Gefahr uns Deutschen in Rußland und durch das Russentum droht. Nicht
im politischen Sinne; auch nicht deshalb, weil uns die Panslawisten oder
solche Originalrussen wie Herr Goldstein, Schulz, von Sack und andere feindlich
gesinnt wären, sondern gerade wegen der vielen, uns so sympathisch anmutenden
Eigenschaften derjenigen rein russischen Kreise, mit denen der Deutsche, ins¬
besondere der deutsche Gelehrte und Schriftsteller in Berührung kommt. Es
wird uns, sind wir nicht sehr auf der Hut, zu leicht gemacht, uns dem Russen¬
tum anzuschließen. Das Leben in Rußland kann ganz allgemein für den Deutschen
leichter sein als in Deutschland, nicht weil er dem Russen besonders überlegen wäre,
wie manche von uns gern behaupten, sondern weil der Russe, wenn er sich
überhaupt entschließt den Ausländer aufzunehmen, eine Gastfreundschaft übt,
die dem Fremden das Leben und Wirken so angenehm wie nur möglich, das
Arbeiten so leicht wie möglich machen will, solange dieser nicht nach ausschlag»


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[0160] [Abbildung] Russische Briefe George Lleinow von le Notwendigkeit, das Material für historische Studien über Rußland zu ergänzen, ermöglichte es mir auch einem Wunsche nachzugeben, den ich als Herausgeber dieser Zeitschrift hegte, dem Wunsche, durch persönlichen Augenschein und persönliche Aus¬ sprache mit leitenden Staatsmännern und Politikern festzustellen, was hinter dem Zeitungskriege steckt, der im Februar und März unter Voran¬ tritt der Kölnischen Zeitung zwischen Deutschland und Rußland geführt wurde. Nun bin ich in der zwar als charakterlos verlästerten, aber doch recht an¬ ziehenden Stadt des großen Peter, die Dragutin Prohaska in diesen Heften so geistvoll geschildert hat, und habe mich schon einige Wochen hindurch umgesehen. Wenn ich die russische Grenze überschreite, wird mir immer von neuem klar, warum so viele Deutsche restlos im Russentum aufgegangen sind, welche Gefahr uns Deutschen in Rußland und durch das Russentum droht. Nicht im politischen Sinne; auch nicht deshalb, weil uns die Panslawisten oder solche Originalrussen wie Herr Goldstein, Schulz, von Sack und andere feindlich gesinnt wären, sondern gerade wegen der vielen, uns so sympathisch anmutenden Eigenschaften derjenigen rein russischen Kreise, mit denen der Deutsche, ins¬ besondere der deutsche Gelehrte und Schriftsteller in Berührung kommt. Es wird uns, sind wir nicht sehr auf der Hut, zu leicht gemacht, uns dem Russen¬ tum anzuschließen. Das Leben in Rußland kann ganz allgemein für den Deutschen leichter sein als in Deutschland, nicht weil er dem Russen besonders überlegen wäre, wie manche von uns gern behaupten, sondern weil der Russe, wenn er sich überhaupt entschließt den Ausländer aufzunehmen, eine Gastfreundschaft übt, die dem Fremden das Leben und Wirken so angenehm wie nur möglich, das Arbeiten so leicht wie möglich machen will, solange dieser nicht nach ausschlag»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/160>, abgerufen am 13.11.2024.