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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Nachwahlen

Etwas ist mir in unserem innerpolitischen Leben immer unverständlich ge¬
blieben und wird es mir auch wohl bleiben: die einem jeden politischen Kampfe
folgenden, weit ausgesponnenen Zeitungspolemiken auch zwischen solchen Par¬
teien, die aus dem Zwange der Verhältnisse heraus aufeinander angewiesen
sind und die daher vermeiden sollten, das sie Trennende unnötig zu betonen.

Es werden Gelegenheiten zur Anbahnung vertrauensvoller Beziehungen,
wie die BeHandlungsweise der angefochtenen Mandate im Reichstage und die
Nachwahlen sie bieten, nicht nur verpaßt, sondern dazu benutzt, die Gegensätze
zu verschärfen. Besonders unsere konservative Presse kann sich gar nicht daran
gewöhnen, ältere Kämpfe zu vergessen und nach geschlagener Schlacht die Toten
ruhen zu lassen. Den Sieg des Sozialdemokraten bei der Nachwahl in Borna-
Pegau haben die Freisinnigen und die Sozialdemokraten erwirkt; der National¬
liberalen bedürfte es zu diesem Ergebnis gar nicht. Es erscheint mir daher
zwecklos und unangebracht, die nationalliberalen Wähler wegen ihrer Stimm¬
abgabe zu verdächtigen. Angesichts der feindseligen Haltung der Konservativen
stellen sich die Nationalliberalen wiederum auf den Standpunkt der Machtfrage,
wie es aus Anlaß der Kassierung der Wahl des Konservativen Hochab geschehen
ist. So ergibt es sich, daß diese Korrekturen der Hauptwahl nicht unter große
einigende Gesichtspunkte gestellt werden, sondern unter den Einfluß des zer¬
splitternden Parteigeistes; und daß trotzdem zweifellos die wichtigste und weit¬
tragendste Aufgabe, die dem Reichstag augenblicklich bevorsteht, in der politischen
Vorbereitung der neuen Handelsvertragskämpfe liegt, was für die bürgerlichen
Parteien soviel bedeutet, wie die Sicherstellung einer Schutzzollmehrheit im
Reichstage. Also die Sammlung der auf dem Boden des Schutzes der gewerb¬
lichen Arbeit stehenden Parteien ist die gemeinsame natürliche Aufgabe der Kon¬
servativen, der Nationalliberalen und des Zentrums. Die Aufgabe ist so klar,




Reichsspiegel
Nachwahlen

Etwas ist mir in unserem innerpolitischen Leben immer unverständlich ge¬
blieben und wird es mir auch wohl bleiben: die einem jeden politischen Kampfe
folgenden, weit ausgesponnenen Zeitungspolemiken auch zwischen solchen Par¬
teien, die aus dem Zwange der Verhältnisse heraus aufeinander angewiesen
sind und die daher vermeiden sollten, das sie Trennende unnötig zu betonen.

Es werden Gelegenheiten zur Anbahnung vertrauensvoller Beziehungen,
wie die BeHandlungsweise der angefochtenen Mandate im Reichstage und die
Nachwahlen sie bieten, nicht nur verpaßt, sondern dazu benutzt, die Gegensätze
zu verschärfen. Besonders unsere konservative Presse kann sich gar nicht daran
gewöhnen, ältere Kämpfe zu vergessen und nach geschlagener Schlacht die Toten
ruhen zu lassen. Den Sieg des Sozialdemokraten bei der Nachwahl in Borna-
Pegau haben die Freisinnigen und die Sozialdemokraten erwirkt; der National¬
liberalen bedürfte es zu diesem Ergebnis gar nicht. Es erscheint mir daher
zwecklos und unangebracht, die nationalliberalen Wähler wegen ihrer Stimm¬
abgabe zu verdächtigen. Angesichts der feindseligen Haltung der Konservativen
stellen sich die Nationalliberalen wiederum auf den Standpunkt der Machtfrage,
wie es aus Anlaß der Kassierung der Wahl des Konservativen Hochab geschehen
ist. So ergibt es sich, daß diese Korrekturen der Hauptwahl nicht unter große
einigende Gesichtspunkte gestellt werden, sondern unter den Einfluß des zer¬
splitternden Parteigeistes; und daß trotzdem zweifellos die wichtigste und weit¬
tragendste Aufgabe, die dem Reichstag augenblicklich bevorsteht, in der politischen
Vorbereitung der neuen Handelsvertragskämpfe liegt, was für die bürgerlichen
Parteien soviel bedeutet, wie die Sicherstellung einer Schutzzollmehrheit im
Reichstage. Also die Sammlung der auf dem Boden des Schutzes der gewerb¬
lichen Arbeit stehenden Parteien ist die gemeinsame natürliche Aufgabe der Kon¬
servativen, der Nationalliberalen und des Zentrums. Die Aufgabe ist so klar,


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[0622] [Abbildung] Reichsspiegel Nachwahlen Etwas ist mir in unserem innerpolitischen Leben immer unverständlich ge¬ blieben und wird es mir auch wohl bleiben: die einem jeden politischen Kampfe folgenden, weit ausgesponnenen Zeitungspolemiken auch zwischen solchen Par¬ teien, die aus dem Zwange der Verhältnisse heraus aufeinander angewiesen sind und die daher vermeiden sollten, das sie Trennende unnötig zu betonen. Es werden Gelegenheiten zur Anbahnung vertrauensvoller Beziehungen, wie die BeHandlungsweise der angefochtenen Mandate im Reichstage und die Nachwahlen sie bieten, nicht nur verpaßt, sondern dazu benutzt, die Gegensätze zu verschärfen. Besonders unsere konservative Presse kann sich gar nicht daran gewöhnen, ältere Kämpfe zu vergessen und nach geschlagener Schlacht die Toten ruhen zu lassen. Den Sieg des Sozialdemokraten bei der Nachwahl in Borna- Pegau haben die Freisinnigen und die Sozialdemokraten erwirkt; der National¬ liberalen bedürfte es zu diesem Ergebnis gar nicht. Es erscheint mir daher zwecklos und unangebracht, die nationalliberalen Wähler wegen ihrer Stimm¬ abgabe zu verdächtigen. Angesichts der feindseligen Haltung der Konservativen stellen sich die Nationalliberalen wiederum auf den Standpunkt der Machtfrage, wie es aus Anlaß der Kassierung der Wahl des Konservativen Hochab geschehen ist. So ergibt es sich, daß diese Korrekturen der Hauptwahl nicht unter große einigende Gesichtspunkte gestellt werden, sondern unter den Einfluß des zer¬ splitternden Parteigeistes; und daß trotzdem zweifellos die wichtigste und weit¬ tragendste Aufgabe, die dem Reichstag augenblicklich bevorsteht, in der politischen Vorbereitung der neuen Handelsvertragskämpfe liegt, was für die bürgerlichen Parteien soviel bedeutet, wie die Sicherstellung einer Schutzzollmehrheit im Reichstage. Also die Sammlung der auf dem Boden des Schutzes der gewerb¬ lichen Arbeit stehenden Parteien ist die gemeinsame natürliche Aufgabe der Kon¬ servativen, der Nationalliberalen und des Zentrums. Die Aufgabe ist so klar,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/622>, abgerufen am 28.12.2024.