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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ihres Daseins im europäischen Zusammen¬
hang, den größten Vorteil ihres sonst in vielem
benachteiligten Landes, antasteten; zweitens
sei das Gefühl der Zusammengehörigkeit
zwischen Deutsch- und Welschschweizern ein
weit innigeres, kräftigeres, als man im Reiche
annehme. Die Richtigkeit dieser Beobachtung
kann tatsächlich keinem, der im Lande lebt
und tätig ist, entgehen. Von der unbeweg¬
lichen Mitte des Neutralitätsgrundsatzes geht
Oeri auf die Behandlung der Uitländerfrage
über und spricht die Hoffnung aus, daß
Deutschland und die anderen Nachbarn einer
Zwangseinbürgerung der Uitländer sich nicht
widersetzen würden. Tatsächlich ist die glück¬
liche Lösung der Uitländerfrage für die Schweiz
eine überaus ernste, und die sachlichen, klaren
Ausführungen Oeris bilden eine rühmliche
Ausnahme im Stimmengewirr eines verblen¬
deten Parteigezänks, das in schweizerischen
Schriften um diese Frage tobt, und einer
ruhigen, ernsten Lösung nur im Wege
steht. Eigentümlich ist dabei, daß im Gezänk
uni die Zwangseinbürgerung die freiwillige
ganz außer acht gelassen ist. Man sollte
meinen, daß für Ermöglichung und Erleichte¬
rung der freiwilligen Einbürgerung bereits
längst alles geschehen sei, da die Schweizer
sich so viel mit der zwangsweisen beschäftigen.

Dein ist nicht so. Die Einbürgerung in
der Schweiz ist selbst für den Uitlander, der
seit vielen Jahren im Lande lebt, da tätig
ist, da wurzelt, ein überaus kompliziertes und
sehr kostspieliges Verfahren, das in jedem
Kanton verschieden einem förmlichen Handel
rin teueren und billigeren Gemeindezuständig¬
keiten Vorschub leistet. Man kann die Kosten
zur Erwerbung der Gemeindezuständigkeit
auf S00 bis 2000 Franken und noch mehr
veranschlagen. Aber ein weiteres und viel¬
leicht ernsteres Hindernis für die freiwillige
Einbürgerung -- die ich für viel wichtiger
und ersprießlicher halte, als die zwangsweise
-- liegt besonders für die gebildeteren und
naturgemäß auch empfindlicheren Schichten
-- in der Beschaffenheit und in der Eigen¬
art der einheimischen Gesellschaft und Ge¬
selligkeit. Solange selbst der gebildete Schweizer
nicht aushört -- trotz der zahlreichen Aus¬
nahmen, die er zu machen gezwungen ist --
mit dem Begriff "Uitländer" zugleich den Be¬

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griff der Minderwertigkeit oder mindestens
des von vornherein Auszuschließenden zu
verbinden, solange die administrativen
Schwierigkeiten einer freiwilligen Einbürge¬
rung, die man mit Fug als Ausdruck dieser
Stinimung betrachten kann, nicht beseitigt
werden, so lange wird der Uitländer selbst
die freiwillige Einbürgerung nicht anstreben.

Bezüglich des sittlichen, nationalen und
Praktischen Wertes einer Zwangseinbürgerung
aber kann man verschiedener Meinung sein.

Richard Uleßleny
Lrziehungsfragen

Zur Geschichte des staatsbürgerlichen
Unterrichts. In Ur. 34 des Jahrganges 1913
der Grenzboten wird auf die Ansichten Mösers
über staatsbürgerlichen Unterricht hingewiesen,
insbesondere auf seinen "Vorschlag zu einer
Practim für das Landvolk" (1772), einer "in
kurzen und deutlichen Sätzen vorgetragenen
amtlichen Zusammenstellung allerLandesgesetze,
Gewohnheiten und Rechtsregeln" usw. Am
Schluß wird hinzugefügt, daß die Ansichten
Mösers in seiner Zeit Wohl keine Verwirk¬
lichung gefunden haben.

DaS ist indes doch geschehen, und zwar
noch bei Lebzeiten Mösers im Anfang der
neunziger Jahre im Fürstentum Lippe, durch
den Leiter des lippischen Volksschulwesens,
den Generalsuperintendenten Ewald, einen
bedeutenden Mann, den Goethe als heiteren
und geistreichen Menschen kennen lernte und
der durch zahlreiche geistvolle, gelehrte und
volkstümliche Bücher auf die Politischen Zu¬
stände und Begebenheiten seiner Zeit einzu¬
wirken versuchte. Er war im Jahre 1781
von Darmstadt, wo er sicher auch den in
Ur. 34 der Grenzboten erwähnten Peter
Helferich Sturz und dessen Aufsatz "Über die
Verbesserung der Landschulen" kennen lernte,
worin im Sinne Mösers ein faßlicher Aus¬
zug aus den Landesgesetzen verlangt wird,
nach Detmold berufen worden. Auf seine
Veranlassung jedenfalls beauftragte die
lippische Regierung den Archivrat Kloster¬
meier mit der Abfassung eines "Auszuges
aus den lippischen Landesgesetzen für den
Bürger und Landmann", der im Jahre 1791
in Lemgo erschien und bisher ganz unbekannt

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ihres Daseins im europäischen Zusammen¬
hang, den größten Vorteil ihres sonst in vielem
benachteiligten Landes, antasteten; zweitens
sei das Gefühl der Zusammengehörigkeit
zwischen Deutsch- und Welschschweizern ein
weit innigeres, kräftigeres, als man im Reiche
annehme. Die Richtigkeit dieser Beobachtung
kann tatsächlich keinem, der im Lande lebt
und tätig ist, entgehen. Von der unbeweg¬
lichen Mitte des Neutralitätsgrundsatzes geht
Oeri auf die Behandlung der Uitländerfrage
über und spricht die Hoffnung aus, daß
Deutschland und die anderen Nachbarn einer
Zwangseinbürgerung der Uitländer sich nicht
widersetzen würden. Tatsächlich ist die glück¬
liche Lösung der Uitländerfrage für die Schweiz
eine überaus ernste, und die sachlichen, klaren
Ausführungen Oeris bilden eine rühmliche
Ausnahme im Stimmengewirr eines verblen¬
deten Parteigezänks, das in schweizerischen
Schriften um diese Frage tobt, und einer
ruhigen, ernsten Lösung nur im Wege
steht. Eigentümlich ist dabei, daß im Gezänk
uni die Zwangseinbürgerung die freiwillige
ganz außer acht gelassen ist. Man sollte
meinen, daß für Ermöglichung und Erleichte¬
rung der freiwilligen Einbürgerung bereits
längst alles geschehen sei, da die Schweizer
sich so viel mit der zwangsweisen beschäftigen.

Dein ist nicht so. Die Einbürgerung in
der Schweiz ist selbst für den Uitlander, der
seit vielen Jahren im Lande lebt, da tätig
ist, da wurzelt, ein überaus kompliziertes und
sehr kostspieliges Verfahren, das in jedem
Kanton verschieden einem förmlichen Handel
rin teueren und billigeren Gemeindezuständig¬
keiten Vorschub leistet. Man kann die Kosten
zur Erwerbung der Gemeindezuständigkeit
auf S00 bis 2000 Franken und noch mehr
veranschlagen. Aber ein weiteres und viel¬
leicht ernsteres Hindernis für die freiwillige
Einbürgerung — die ich für viel wichtiger
und ersprießlicher halte, als die zwangsweise
— liegt besonders für die gebildeteren und
naturgemäß auch empfindlicheren Schichten
— in der Beschaffenheit und in der Eigen¬
art der einheimischen Gesellschaft und Ge¬
selligkeit. Solange selbst der gebildete Schweizer
nicht aushört — trotz der zahlreichen Aus¬
nahmen, die er zu machen gezwungen ist —
mit dem Begriff „Uitländer" zugleich den Be¬

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griff der Minderwertigkeit oder mindestens
des von vornherein Auszuschließenden zu
verbinden, solange die administrativen
Schwierigkeiten einer freiwilligen Einbürge¬
rung, die man mit Fug als Ausdruck dieser
Stinimung betrachten kann, nicht beseitigt
werden, so lange wird der Uitländer selbst
die freiwillige Einbürgerung nicht anstreben.

Bezüglich des sittlichen, nationalen und
Praktischen Wertes einer Zwangseinbürgerung
aber kann man verschiedener Meinung sein.

Richard Uleßleny
Lrziehungsfragen

Zur Geschichte des staatsbürgerlichen
Unterrichts. In Ur. 34 des Jahrganges 1913
der Grenzboten wird auf die Ansichten Mösers
über staatsbürgerlichen Unterricht hingewiesen,
insbesondere auf seinen „Vorschlag zu einer
Practim für das Landvolk" (1772), einer „in
kurzen und deutlichen Sätzen vorgetragenen
amtlichen Zusammenstellung allerLandesgesetze,
Gewohnheiten und Rechtsregeln" usw. Am
Schluß wird hinzugefügt, daß die Ansichten
Mösers in seiner Zeit Wohl keine Verwirk¬
lichung gefunden haben.

DaS ist indes doch geschehen, und zwar
noch bei Lebzeiten Mösers im Anfang der
neunziger Jahre im Fürstentum Lippe, durch
den Leiter des lippischen Volksschulwesens,
den Generalsuperintendenten Ewald, einen
bedeutenden Mann, den Goethe als heiteren
und geistreichen Menschen kennen lernte und
der durch zahlreiche geistvolle, gelehrte und
volkstümliche Bücher auf die Politischen Zu¬
stände und Begebenheiten seiner Zeit einzu¬
wirken versuchte. Er war im Jahre 1781
von Darmstadt, wo er sicher auch den in
Ur. 34 der Grenzboten erwähnten Peter
Helferich Sturz und dessen Aufsatz „Über die
Verbesserung der Landschulen" kennen lernte,
worin im Sinne Mösers ein faßlicher Aus¬
zug aus den Landesgesetzen verlangt wird,
nach Detmold berufen worden. Auf seine
Veranlassung jedenfalls beauftragte die
lippische Regierung den Archivrat Kloster¬
meier mit der Abfassung eines „Auszuges
aus den lippischen Landesgesetzen für den
Bürger und Landmann", der im Jahre 1791
in Lemgo erschien und bisher ganz unbekannt

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[0538] Maßgebliches und Unmaßgebliches ihres Daseins im europäischen Zusammen¬ hang, den größten Vorteil ihres sonst in vielem benachteiligten Landes, antasteten; zweitens sei das Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Deutsch- und Welschschweizern ein weit innigeres, kräftigeres, als man im Reiche annehme. Die Richtigkeit dieser Beobachtung kann tatsächlich keinem, der im Lande lebt und tätig ist, entgehen. Von der unbeweg¬ lichen Mitte des Neutralitätsgrundsatzes geht Oeri auf die Behandlung der Uitländerfrage über und spricht die Hoffnung aus, daß Deutschland und die anderen Nachbarn einer Zwangseinbürgerung der Uitländer sich nicht widersetzen würden. Tatsächlich ist die glück¬ liche Lösung der Uitländerfrage für die Schweiz eine überaus ernste, und die sachlichen, klaren Ausführungen Oeris bilden eine rühmliche Ausnahme im Stimmengewirr eines verblen¬ deten Parteigezänks, das in schweizerischen Schriften um diese Frage tobt, und einer ruhigen, ernsten Lösung nur im Wege steht. Eigentümlich ist dabei, daß im Gezänk uni die Zwangseinbürgerung die freiwillige ganz außer acht gelassen ist. Man sollte meinen, daß für Ermöglichung und Erleichte¬ rung der freiwilligen Einbürgerung bereits längst alles geschehen sei, da die Schweizer sich so viel mit der zwangsweisen beschäftigen. Dein ist nicht so. Die Einbürgerung in der Schweiz ist selbst für den Uitlander, der seit vielen Jahren im Lande lebt, da tätig ist, da wurzelt, ein überaus kompliziertes und sehr kostspieliges Verfahren, das in jedem Kanton verschieden einem förmlichen Handel rin teueren und billigeren Gemeindezuständig¬ keiten Vorschub leistet. Man kann die Kosten zur Erwerbung der Gemeindezuständigkeit auf S00 bis 2000 Franken und noch mehr veranschlagen. Aber ein weiteres und viel¬ leicht ernsteres Hindernis für die freiwillige Einbürgerung — die ich für viel wichtiger und ersprießlicher halte, als die zwangsweise — liegt besonders für die gebildeteren und naturgemäß auch empfindlicheren Schichten — in der Beschaffenheit und in der Eigen¬ art der einheimischen Gesellschaft und Ge¬ selligkeit. Solange selbst der gebildete Schweizer nicht aushört — trotz der zahlreichen Aus¬ nahmen, die er zu machen gezwungen ist — mit dem Begriff „Uitländer" zugleich den Be¬ griff der Minderwertigkeit oder mindestens des von vornherein Auszuschließenden zu verbinden, solange die administrativen Schwierigkeiten einer freiwilligen Einbürge¬ rung, die man mit Fug als Ausdruck dieser Stinimung betrachten kann, nicht beseitigt werden, so lange wird der Uitländer selbst die freiwillige Einbürgerung nicht anstreben. Bezüglich des sittlichen, nationalen und Praktischen Wertes einer Zwangseinbürgerung aber kann man verschiedener Meinung sein. Richard Uleßleny Lrziehungsfragen Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts. In Ur. 34 des Jahrganges 1913 der Grenzboten wird auf die Ansichten Mösers über staatsbürgerlichen Unterricht hingewiesen, insbesondere auf seinen „Vorschlag zu einer Practim für das Landvolk" (1772), einer „in kurzen und deutlichen Sätzen vorgetragenen amtlichen Zusammenstellung allerLandesgesetze, Gewohnheiten und Rechtsregeln" usw. Am Schluß wird hinzugefügt, daß die Ansichten Mösers in seiner Zeit Wohl keine Verwirk¬ lichung gefunden haben. DaS ist indes doch geschehen, und zwar noch bei Lebzeiten Mösers im Anfang der neunziger Jahre im Fürstentum Lippe, durch den Leiter des lippischen Volksschulwesens, den Generalsuperintendenten Ewald, einen bedeutenden Mann, den Goethe als heiteren und geistreichen Menschen kennen lernte und der durch zahlreiche geistvolle, gelehrte und volkstümliche Bücher auf die Politischen Zu¬ stände und Begebenheiten seiner Zeit einzu¬ wirken versuchte. Er war im Jahre 1781 von Darmstadt, wo er sicher auch den in Ur. 34 der Grenzboten erwähnten Peter Helferich Sturz und dessen Aufsatz „Über die Verbesserung der Landschulen" kennen lernte, worin im Sinne Mösers ein faßlicher Aus¬ zug aus den Landesgesetzen verlangt wird, nach Detmold berufen worden. Auf seine Veranlassung jedenfalls beauftragte die lippische Regierung den Archivrat Kloster¬ meier mit der Abfassung eines „Auszuges aus den lippischen Landesgesetzen für den Bürger und Landmann", der im Jahre 1791 in Lemgo erschien und bisher ganz unbekannt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/538>, abgerufen am 28.12.2024.