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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Diplomatie und internationales Vertrauen

Mit welchem Mißtrauen mag die Welt gegen Rußland erfüllt sein, wenn
die einfache Tatsache eines Ministerwechsels, wie er jüngst in der Stadt Peters
des Großen vollzogen wurde, genügt, die Frage aufzuwerfen, ob Rußland
auf einen Krieg losgehe, ob die Politik Rußlands in den nächsten Monaten
kriegerisch sein oder in friedlichen Bahnen wandeln werde. Um es gleich voraus-
zuschicken, Schuld an diesem Mißtrauen ist in erster Linie die russische
Diplomatie, die, in den Bahnen Jgnatjews wandelnd, nicht nur während
der letzten Balkankrise, sondern auch früher schon eine Politik der Kniffe
und Pfiffe getrieben hat, eine Politik, die nicht geeignet ist, Vertrauen zu
werben. Möge man nun das Verhalten der russischen Diplomaten, wie
Massow es in der Täglichen Rundschau tut, Prestigepolitik nennen, möge man es
lediglich auf das Konto einzelner intriganter Naturen schieben, wie Gortschakow,
Jgnatjew, Jswolski und andere es gewesen sind, -- Tatsache bleibt, daß das
Auftreten der russischen Diplomatie besonders in den letzten Jahren vieles an
Vertrauen im Auslande vernichtet hat, was die Regierung durch ihr Verhalten
im Innern, sei es in der Finanzpolitik, sei es in der Wirtschaftspolitik, mühsam
aufbauend geschaffen hat. Die Rüstungen Rußlands an seiner Westgrenze als
besonderes Zeichen seiner Kriegslust hinstellen zu wollen, scheint mir verfehlt, und
daß Nußland gegen Deutschland und Österreich-Ungarn rüstet, ist so selbst¬
verständlich, wie es selbstverständlich ist, daß wir an unserer Ostgrenze rüsten.
Sivis pacem para belluml Das Abhängen des internationalen Vertrauens von
der Betätigung der Diplomatie, wie eS gegenwärtig mit Bezug aus Rußland
an die Oberfläche tritt, ist ein Schulbeispiel dafür, welch außerordentlich große
Bedeutung für den allgemeinen Kredit, den ein Volk in der Welt genießt, die
Haltung seiner Diplomaten in sich schließt. Gilt eine Diplomatie für unauf¬
richtig, so liegt ihr gegenüber auch der Gedanke nahe, daß sie allen ihren fried¬
lichen Beteuerungen zum Trotz stets irgend etwas im Schilde führt und es in einem
ihr günstig scheinenden Augenblick zum Kriege kommen läßt. Neben dem Mißtrauen




Reichsspiegel
Diplomatie und internationales Vertrauen

Mit welchem Mißtrauen mag die Welt gegen Rußland erfüllt sein, wenn
die einfache Tatsache eines Ministerwechsels, wie er jüngst in der Stadt Peters
des Großen vollzogen wurde, genügt, die Frage aufzuwerfen, ob Rußland
auf einen Krieg losgehe, ob die Politik Rußlands in den nächsten Monaten
kriegerisch sein oder in friedlichen Bahnen wandeln werde. Um es gleich voraus-
zuschicken, Schuld an diesem Mißtrauen ist in erster Linie die russische
Diplomatie, die, in den Bahnen Jgnatjews wandelnd, nicht nur während
der letzten Balkankrise, sondern auch früher schon eine Politik der Kniffe
und Pfiffe getrieben hat, eine Politik, die nicht geeignet ist, Vertrauen zu
werben. Möge man nun das Verhalten der russischen Diplomaten, wie
Massow es in der Täglichen Rundschau tut, Prestigepolitik nennen, möge man es
lediglich auf das Konto einzelner intriganter Naturen schieben, wie Gortschakow,
Jgnatjew, Jswolski und andere es gewesen sind, — Tatsache bleibt, daß das
Auftreten der russischen Diplomatie besonders in den letzten Jahren vieles an
Vertrauen im Auslande vernichtet hat, was die Regierung durch ihr Verhalten
im Innern, sei es in der Finanzpolitik, sei es in der Wirtschaftspolitik, mühsam
aufbauend geschaffen hat. Die Rüstungen Rußlands an seiner Westgrenze als
besonderes Zeichen seiner Kriegslust hinstellen zu wollen, scheint mir verfehlt, und
daß Nußland gegen Deutschland und Österreich-Ungarn rüstet, ist so selbst¬
verständlich, wie es selbstverständlich ist, daß wir an unserer Ostgrenze rüsten.
Sivis pacem para belluml Das Abhängen des internationalen Vertrauens von
der Betätigung der Diplomatie, wie eS gegenwärtig mit Bezug aus Rußland
an die Oberfläche tritt, ist ein Schulbeispiel dafür, welch außerordentlich große
Bedeutung für den allgemeinen Kredit, den ein Volk in der Welt genießt, die
Haltung seiner Diplomaten in sich schließt. Gilt eine Diplomatie für unauf¬
richtig, so liegt ihr gegenüber auch der Gedanke nahe, daß sie allen ihren fried¬
lichen Beteuerungen zum Trotz stets irgend etwas im Schilde führt und es in einem
ihr günstig scheinenden Augenblick zum Kriege kommen läßt. Neben dem Mißtrauen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/480>, abgerufen am 28.12.2024.