Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

und Farben aufbauen zu wollen. Beide weisen zu wenig objektive Bestimmtheit
auf, um sich zu konventionellen Trägern dieser Symbolik entwickeln zu können.

Was aus den Bestrebungen des Expressionismus für die gesamte Kunst
Bleibendes erwachsen kann, ist eines nur. Es kann durch sie das Gefühl für
die Symbolik, für die Ausdruckskraft der Formen und Farben geschärft und
höher kultiviert werden, aber nicht für die Symbolik der reinen Form, der
reinen Farbe für sich allein, sondern der Form und der Farbe am Gegenstande,
für Form und Farbe als Bestandteil der Naturerscheinung.

Nur auf diesem Wege kann auch der Expressionismus zur Bereicherung
der Ausdrucksmittel in der Kunst, zur weiteren Ausgestaltung ihrer Symbolik
beitragen und so an seinem Teile mitarbeiten bei der Lösung der künstlerischen
Aufgabe unserer Zeit, an der symbolisch-anschaulichen Gestaltung des vertieften
Fühlens und des heimlichen Sehnens unserer Zeit.




Zur Geschichte
der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt
Heinrich Göhring von in
(Schluß)

Entsprechend dem impulsiver Temperament der lateinischen Nasse gibt es
für die französischen sowie für die anarchistischen Gewerkschaften überhaupt keine
Ziele und keine Programme; es gibt vielmehr nur eine Aktion und alle Theorie
läuft darauf hinaus, diese Aktion möglichst gewaltig zu machen. Man verzichtet
auf alle kleinen erreichbaren Vorteile, auf alle Kompromisse mit den Gegnern.
Man will daß der Feind Feind bleibe, damit der Kampfeseifer im eigenen
Lager nicht erlahme, sondern immer mächtiger anschwelle. Man liebt den Kampf
um des Kampfes willen. So kam es bei den Arbeitskämpfen in Frankreich in
den letzten Jahren gar nicht selten vor, daß erst nach der Arbeitseinstellung die
Forderungen der Streitenden überhaupt formuliert wurden. Man verlangt
ferner die Proklamierung des Generalstreiks als Mittel der sozialen Revolution
und die Sabotage, das Kampfmittel der Verzweiflung. Wohin diese Theorie
führt, zeigt so recht das Beispiel der französischen Industrie. Die französische
Industrie hat unter den leidenschaftlichen Gewaltakten und unter der Sabotage
so erheblich gelitten, daß sie in ihrer Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt
worden ist.


Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung

und Farben aufbauen zu wollen. Beide weisen zu wenig objektive Bestimmtheit
auf, um sich zu konventionellen Trägern dieser Symbolik entwickeln zu können.

Was aus den Bestrebungen des Expressionismus für die gesamte Kunst
Bleibendes erwachsen kann, ist eines nur. Es kann durch sie das Gefühl für
die Symbolik, für die Ausdruckskraft der Formen und Farben geschärft und
höher kultiviert werden, aber nicht für die Symbolik der reinen Form, der
reinen Farbe für sich allein, sondern der Form und der Farbe am Gegenstande,
für Form und Farbe als Bestandteil der Naturerscheinung.

Nur auf diesem Wege kann auch der Expressionismus zur Bereicherung
der Ausdrucksmittel in der Kunst, zur weiteren Ausgestaltung ihrer Symbolik
beitragen und so an seinem Teile mitarbeiten bei der Lösung der künstlerischen
Aufgabe unserer Zeit, an der symbolisch-anschaulichen Gestaltung des vertieften
Fühlens und des heimlichen Sehnens unserer Zeit.




Zur Geschichte
der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt
Heinrich Göhring von in
(Schluß)

Entsprechend dem impulsiver Temperament der lateinischen Nasse gibt es
für die französischen sowie für die anarchistischen Gewerkschaften überhaupt keine
Ziele und keine Programme; es gibt vielmehr nur eine Aktion und alle Theorie
läuft darauf hinaus, diese Aktion möglichst gewaltig zu machen. Man verzichtet
auf alle kleinen erreichbaren Vorteile, auf alle Kompromisse mit den Gegnern.
Man will daß der Feind Feind bleibe, damit der Kampfeseifer im eigenen
Lager nicht erlahme, sondern immer mächtiger anschwelle. Man liebt den Kampf
um des Kampfes willen. So kam es bei den Arbeitskämpfen in Frankreich in
den letzten Jahren gar nicht selten vor, daß erst nach der Arbeitseinstellung die
Forderungen der Streitenden überhaupt formuliert wurden. Man verlangt
ferner die Proklamierung des Generalstreiks als Mittel der sozialen Revolution
und die Sabotage, das Kampfmittel der Verzweiflung. Wohin diese Theorie
führt, zeigt so recht das Beispiel der französischen Industrie. Die französische
Industrie hat unter den leidenschaftlichen Gewaltakten und unter der Sabotage
so erheblich gelitten, daß sie in ihrer Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt
worden ist.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326245"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_304" prev="#ID_303"> und Farben aufbauen zu wollen. Beide weisen zu wenig objektive Bestimmtheit<lb/>
auf, um sich zu konventionellen Trägern dieser Symbolik entwickeln zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_305"> Was aus den Bestrebungen des Expressionismus für die gesamte Kunst<lb/>
Bleibendes erwachsen kann, ist eines nur. Es kann durch sie das Gefühl für<lb/>
die Symbolik, für die Ausdruckskraft der Formen und Farben geschärft und<lb/>
höher kultiviert werden, aber nicht für die Symbolik der reinen Form, der<lb/>
reinen Farbe für sich allein, sondern der Form und der Farbe am Gegenstande,<lb/>
für Form und Farbe als Bestandteil der Naturerscheinung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_306"> Nur auf diesem Wege kann auch der Expressionismus zur Bereicherung<lb/>
der Ausdrucksmittel in der Kunst, zur weiteren Ausgestaltung ihrer Symbolik<lb/>
beitragen und so an seinem Teile mitarbeiten bei der Lösung der künstlerischen<lb/>
Aufgabe unserer Zeit, an der symbolisch-anschaulichen Gestaltung des vertieften<lb/>
Fühlens und des heimlichen Sehnens unserer Zeit.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Geschichte<lb/>
der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt<lb/><note type="byline"> Heinrich Göhring</note> von in<lb/>
(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_307"> Entsprechend dem impulsiver Temperament der lateinischen Nasse gibt es<lb/>
für die französischen sowie für die anarchistischen Gewerkschaften überhaupt keine<lb/>
Ziele und keine Programme; es gibt vielmehr nur eine Aktion und alle Theorie<lb/>
läuft darauf hinaus, diese Aktion möglichst gewaltig zu machen. Man verzichtet<lb/>
auf alle kleinen erreichbaren Vorteile, auf alle Kompromisse mit den Gegnern.<lb/>
Man will daß der Feind Feind bleibe, damit der Kampfeseifer im eigenen<lb/>
Lager nicht erlahme, sondern immer mächtiger anschwelle. Man liebt den Kampf<lb/>
um des Kampfes willen. So kam es bei den Arbeitskämpfen in Frankreich in<lb/>
den letzten Jahren gar nicht selten vor, daß erst nach der Arbeitseinstellung die<lb/>
Forderungen der Streitenden überhaupt formuliert wurden. Man verlangt<lb/>
ferner die Proklamierung des Generalstreiks als Mittel der sozialen Revolution<lb/>
und die Sabotage, das Kampfmittel der Verzweiflung. Wohin diese Theorie<lb/>
führt, zeigt so recht das Beispiel der französischen Industrie. Die französische<lb/>
Industrie hat unter den leidenschaftlichen Gewaltakten und unter der Sabotage<lb/>
so erheblich gelitten, daß sie in ihrer Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt<lb/>
worden ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung und Farben aufbauen zu wollen. Beide weisen zu wenig objektive Bestimmtheit auf, um sich zu konventionellen Trägern dieser Symbolik entwickeln zu können. Was aus den Bestrebungen des Expressionismus für die gesamte Kunst Bleibendes erwachsen kann, ist eines nur. Es kann durch sie das Gefühl für die Symbolik, für die Ausdruckskraft der Formen und Farben geschärft und höher kultiviert werden, aber nicht für die Symbolik der reinen Form, der reinen Farbe für sich allein, sondern der Form und der Farbe am Gegenstande, für Form und Farbe als Bestandteil der Naturerscheinung. Nur auf diesem Wege kann auch der Expressionismus zur Bereicherung der Ausdrucksmittel in der Kunst, zur weiteren Ausgestaltung ihrer Symbolik beitragen und so an seinem Teile mitarbeiten bei der Lösung der künstlerischen Aufgabe unserer Zeit, an der symbolisch-anschaulichen Gestaltung des vertieften Fühlens und des heimlichen Sehnens unserer Zeit. Zur Geschichte der modernen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt Heinrich Göhring von in (Schluß) Entsprechend dem impulsiver Temperament der lateinischen Nasse gibt es für die französischen sowie für die anarchistischen Gewerkschaften überhaupt keine Ziele und keine Programme; es gibt vielmehr nur eine Aktion und alle Theorie läuft darauf hinaus, diese Aktion möglichst gewaltig zu machen. Man verzichtet auf alle kleinen erreichbaren Vorteile, auf alle Kompromisse mit den Gegnern. Man will daß der Feind Feind bleibe, damit der Kampfeseifer im eigenen Lager nicht erlahme, sondern immer mächtiger anschwelle. Man liebt den Kampf um des Kampfes willen. So kam es bei den Arbeitskämpfen in Frankreich in den letzten Jahren gar nicht selten vor, daß erst nach der Arbeitseinstellung die Forderungen der Streitenden überhaupt formuliert wurden. Man verlangt ferner die Proklamierung des Generalstreiks als Mittel der sozialen Revolution und die Sabotage, das Kampfmittel der Verzweiflung. Wohin diese Theorie führt, zeigt so recht das Beispiel der französischen Industrie. Die französische Industrie hat unter den leidenschaftlichen Gewaltakten und unter der Sabotage so erheblich gelitten, daß sie in ihrer Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt worden ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/75>, abgerufen am 26.12.2024.