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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kinematograph und Zeitgeschichte

erhebt wohl keinen Anspruch auf tiefergreifendes Interesse, erzählt aber recht
Hübsches über Beschaffenheit und Leben der geheimnisvollen Stadt am Vorabend
ihres Niederganges, als Goethes Besuch die glorreiche Geschichte der Adria-
republik schließend, gleichsam das Wappen am Grabe umgedreht.

Das Fertige überschauend wollen wir das Kommende noch kurz begrüßen.
Im Verlag Steinicke, München erscheint demnächst eine kühn und großzügig
angelegte Ausgabe von Goethes Briefwechsel, der es unter der Leitung Prof.
von der Leyens vermutlich gelingen wird, den in den 50 Bänden der Weimarer
Ausgabe erstarrten Schatz flüssig zu machen.




Ainematograph und Zeitgeschichte
Dr. Albrecht Hellwig von in

o berechtigt auch die Klagen über die Auswüchse der Kmemato-
graphenindustrie find, so sehr man auch mit Recht noch heute über
die Unmasse von Schundfilms klagt, welche hergestellt und zum
Teil auch vorgeführt werden, so berechtigt auch der Ruf nach
energischen Nepressivmaßregeln gegen diese Auswüchse ist -- nur
über die geeigneten Mittel in diesem Kampfe und über ihre Ausdehnung kann
ernstlich diskutiert werden -- so wenig wäre es zu billigen, wenn man das
Kind mit dem Bade ausschütten und dem Kinematographen, ja auch nur seiner
jetzigen Anwendungsweise in den Kinematographentheatern, jeden Bildungswert
absprechen wollte.

In den kinematographischen Fachzeitschriften, die im allgemeinen gegen
jeden, der der Kinematographenindustrie etwas Unliebsames zu sagen sich erdreistet,
sachlich und der Form nach maßlos zu Felde zu ziehen pflegen, in einer Art
und Weise, wie sie unter gebildeten Leuten nicht üblich ist, kann man freilich
nicht selten lesen, daß dieser oder jener, der sich durch seinen Kampf gegen den
Schundfilm verdient gemacht hat, so borniert sei, dem Kinematographen jeden
Kulturwert abzusprechen. In Wirklichkeit denkt aber niemand daran, den Kine¬
matographen in Bausch und Bogen zu verdammen, und wer die Schriften und
Aufsätze von Ernst Schultze, Seitenarm, Häfker, Lange, Gaupp, Brunner, Warstat
und all den andern durchliest, welche in den letzten Jahren gegen die Auswüchse
der Kinematographie zu Felde gezogen find, der wird finden, daß ihnen nichts
ferner liegt, als die Bedeutung, welche gute belehrende Films und selbst ein¬
wandfrei unterhaltende Films haben können, gering einzuschätzen. Man denkt


Kinematograph und Zeitgeschichte

erhebt wohl keinen Anspruch auf tiefergreifendes Interesse, erzählt aber recht
Hübsches über Beschaffenheit und Leben der geheimnisvollen Stadt am Vorabend
ihres Niederganges, als Goethes Besuch die glorreiche Geschichte der Adria-
republik schließend, gleichsam das Wappen am Grabe umgedreht.

Das Fertige überschauend wollen wir das Kommende noch kurz begrüßen.
Im Verlag Steinicke, München erscheint demnächst eine kühn und großzügig
angelegte Ausgabe von Goethes Briefwechsel, der es unter der Leitung Prof.
von der Leyens vermutlich gelingen wird, den in den 50 Bänden der Weimarer
Ausgabe erstarrten Schatz flüssig zu machen.




Ainematograph und Zeitgeschichte
Dr. Albrecht Hellwig von in

o berechtigt auch die Klagen über die Auswüchse der Kmemato-
graphenindustrie find, so sehr man auch mit Recht noch heute über
die Unmasse von Schundfilms klagt, welche hergestellt und zum
Teil auch vorgeführt werden, so berechtigt auch der Ruf nach
energischen Nepressivmaßregeln gegen diese Auswüchse ist — nur
über die geeigneten Mittel in diesem Kampfe und über ihre Ausdehnung kann
ernstlich diskutiert werden — so wenig wäre es zu billigen, wenn man das
Kind mit dem Bade ausschütten und dem Kinematographen, ja auch nur seiner
jetzigen Anwendungsweise in den Kinematographentheatern, jeden Bildungswert
absprechen wollte.

In den kinematographischen Fachzeitschriften, die im allgemeinen gegen
jeden, der der Kinematographenindustrie etwas Unliebsames zu sagen sich erdreistet,
sachlich und der Form nach maßlos zu Felde zu ziehen pflegen, in einer Art
und Weise, wie sie unter gebildeten Leuten nicht üblich ist, kann man freilich
nicht selten lesen, daß dieser oder jener, der sich durch seinen Kampf gegen den
Schundfilm verdient gemacht hat, so borniert sei, dem Kinematographen jeden
Kulturwert abzusprechen. In Wirklichkeit denkt aber niemand daran, den Kine¬
matographen in Bausch und Bogen zu verdammen, und wer die Schriften und
Aufsätze von Ernst Schultze, Seitenarm, Häfker, Lange, Gaupp, Brunner, Warstat
und all den andern durchliest, welche in den letzten Jahren gegen die Auswüchse
der Kinematographie zu Felde gezogen find, der wird finden, daß ihnen nichts
ferner liegt, als die Bedeutung, welche gute belehrende Films und selbst ein¬
wandfrei unterhaltende Films haben können, gering einzuschätzen. Man denkt


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[0624] Kinematograph und Zeitgeschichte erhebt wohl keinen Anspruch auf tiefergreifendes Interesse, erzählt aber recht Hübsches über Beschaffenheit und Leben der geheimnisvollen Stadt am Vorabend ihres Niederganges, als Goethes Besuch die glorreiche Geschichte der Adria- republik schließend, gleichsam das Wappen am Grabe umgedreht. Das Fertige überschauend wollen wir das Kommende noch kurz begrüßen. Im Verlag Steinicke, München erscheint demnächst eine kühn und großzügig angelegte Ausgabe von Goethes Briefwechsel, der es unter der Leitung Prof. von der Leyens vermutlich gelingen wird, den in den 50 Bänden der Weimarer Ausgabe erstarrten Schatz flüssig zu machen. Ainematograph und Zeitgeschichte Dr. Albrecht Hellwig von in o berechtigt auch die Klagen über die Auswüchse der Kmemato- graphenindustrie find, so sehr man auch mit Recht noch heute über die Unmasse von Schundfilms klagt, welche hergestellt und zum Teil auch vorgeführt werden, so berechtigt auch der Ruf nach energischen Nepressivmaßregeln gegen diese Auswüchse ist — nur über die geeigneten Mittel in diesem Kampfe und über ihre Ausdehnung kann ernstlich diskutiert werden — so wenig wäre es zu billigen, wenn man das Kind mit dem Bade ausschütten und dem Kinematographen, ja auch nur seiner jetzigen Anwendungsweise in den Kinematographentheatern, jeden Bildungswert absprechen wollte. In den kinematographischen Fachzeitschriften, die im allgemeinen gegen jeden, der der Kinematographenindustrie etwas Unliebsames zu sagen sich erdreistet, sachlich und der Form nach maßlos zu Felde zu ziehen pflegen, in einer Art und Weise, wie sie unter gebildeten Leuten nicht üblich ist, kann man freilich nicht selten lesen, daß dieser oder jener, der sich durch seinen Kampf gegen den Schundfilm verdient gemacht hat, so borniert sei, dem Kinematographen jeden Kulturwert abzusprechen. In Wirklichkeit denkt aber niemand daran, den Kine¬ matographen in Bausch und Bogen zu verdammen, und wer die Schriften und Aufsätze von Ernst Schultze, Seitenarm, Häfker, Lange, Gaupp, Brunner, Warstat und all den andern durchliest, welche in den letzten Jahren gegen die Auswüchse der Kinematographie zu Felde gezogen find, der wird finden, daß ihnen nichts ferner liegt, als die Bedeutung, welche gute belehrende Films und selbst ein¬ wandfrei unterhaltende Films haben können, gering einzuschätzen. Man denkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/624>, abgerufen am 19.10.2024.