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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mozart re8urreetu8
Fritz Reck-Malleczeiven vonin

ohren wir heute einer Aufführung des "Figaro" oder des "Don
Juan" bei. möchten wir dem Werke dann nicht gönnen, es hätte
einmal voll und ganz gelebt, um uns die Erinnerung hieran als
schöne Sage zu hinterlassen, statt dessen wir es jetzt durch ein ihm
ganz fremdes Leben als zur Mißhandlung wiedererweckten hin¬
durchgetrieben sehen? In den Werken Mozarts vereinigen sich die Elemente
der Blütezeit des italienischen Kunstgeschmacks mit den Gegebenheiten der Räum¬
lichkeit des italienischen Operntheaters zu einem bestimmten Charakteristikon, in
welchem sich der Geist des vorigen Jahrhunderts schön und liebenswürdig aus¬
drückt. Außerhalb dieser Bedingungen, in unsere Zeit versetzt, erleidet das
Ewige dieser Kunstschöpfungen eine Entstellung. . . ."

Am 5. Mai 1886, just hundert Jahre nach der Uraufführung des "Figaro",
zitiert Hugo Wolf, damals Musikrezensent eines Wiener Winkelblättchens, die
eben angeführten (in der Schrift: "Das Publikum in Zeit und Raum" zu fin¬
denden) Sätze Richard Wagners und fährt dann weiter mit eigenen Worten
fort: "Die Richtigkeit dieser Behauptung ist kaum abzuleugnen. Ein Blick auf
das Publikum, das mit der größten Gemütsruhe den Vorgängen auf der Bühne
bei .Figaros Hochzeit' folgt, belehrt uns zur Genüge, wie uns das intimere
Verständnis für das Werk abhanden gekommen ist."

Das ist vor kurzem siebenundzwanzig Jahre her gewesen. Und heute?
Mozartfestspiele, Mozartneuinszenierungen auf jeder bedeutenden Bühne, im
Konzertsaal nach langem Todesschlaf wieder Mozartsche Kammermusik! Führt
mich in früher Morgenstunde mein Weg am Münchener Nesidenztheater vorbei,
so sehe ich dort lange, lange Reihen vor den Schaltern stehen, an denen man
vierzehn Tage vor der Aufführung Billetts zu den Vorabenden unserer
Mozartfestspiele feilhält. Das wartet, in hundertfältiger Schar, stundenlang.
Just das Publikum, das erweist, ob ein Künstler wirklich lebt, oder nur Herrn
Snob und einem Jntendantengeschmack zuliebe ein künstlich eratmetes Dasein




Mozart re8urreetu8
Fritz Reck-Malleczeiven vonin

ohren wir heute einer Aufführung des „Figaro" oder des „Don
Juan" bei. möchten wir dem Werke dann nicht gönnen, es hätte
einmal voll und ganz gelebt, um uns die Erinnerung hieran als
schöne Sage zu hinterlassen, statt dessen wir es jetzt durch ein ihm
ganz fremdes Leben als zur Mißhandlung wiedererweckten hin¬
durchgetrieben sehen? In den Werken Mozarts vereinigen sich die Elemente
der Blütezeit des italienischen Kunstgeschmacks mit den Gegebenheiten der Räum¬
lichkeit des italienischen Operntheaters zu einem bestimmten Charakteristikon, in
welchem sich der Geist des vorigen Jahrhunderts schön und liebenswürdig aus¬
drückt. Außerhalb dieser Bedingungen, in unsere Zeit versetzt, erleidet das
Ewige dieser Kunstschöpfungen eine Entstellung. . . ."

Am 5. Mai 1886, just hundert Jahre nach der Uraufführung des „Figaro",
zitiert Hugo Wolf, damals Musikrezensent eines Wiener Winkelblättchens, die
eben angeführten (in der Schrift: „Das Publikum in Zeit und Raum" zu fin¬
denden) Sätze Richard Wagners und fährt dann weiter mit eigenen Worten
fort: „Die Richtigkeit dieser Behauptung ist kaum abzuleugnen. Ein Blick auf
das Publikum, das mit der größten Gemütsruhe den Vorgängen auf der Bühne
bei .Figaros Hochzeit' folgt, belehrt uns zur Genüge, wie uns das intimere
Verständnis für das Werk abhanden gekommen ist."

Das ist vor kurzem siebenundzwanzig Jahre her gewesen. Und heute?
Mozartfestspiele, Mozartneuinszenierungen auf jeder bedeutenden Bühne, im
Konzertsaal nach langem Todesschlaf wieder Mozartsche Kammermusik! Führt
mich in früher Morgenstunde mein Weg am Münchener Nesidenztheater vorbei,
so sehe ich dort lange, lange Reihen vor den Schaltern stehen, an denen man
vierzehn Tage vor der Aufführung Billetts zu den Vorabenden unserer
Mozartfestspiele feilhält. Das wartet, in hundertfältiger Schar, stundenlang.
Just das Publikum, das erweist, ob ein Künstler wirklich lebt, oder nur Herrn
Snob und einem Jntendantengeschmack zuliebe ein künstlich eratmetes Dasein


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[0528] [Abbildung] Mozart re8urreetu8 Fritz Reck-Malleczeiven vonin ohren wir heute einer Aufführung des „Figaro" oder des „Don Juan" bei. möchten wir dem Werke dann nicht gönnen, es hätte einmal voll und ganz gelebt, um uns die Erinnerung hieran als schöne Sage zu hinterlassen, statt dessen wir es jetzt durch ein ihm ganz fremdes Leben als zur Mißhandlung wiedererweckten hin¬ durchgetrieben sehen? In den Werken Mozarts vereinigen sich die Elemente der Blütezeit des italienischen Kunstgeschmacks mit den Gegebenheiten der Räum¬ lichkeit des italienischen Operntheaters zu einem bestimmten Charakteristikon, in welchem sich der Geist des vorigen Jahrhunderts schön und liebenswürdig aus¬ drückt. Außerhalb dieser Bedingungen, in unsere Zeit versetzt, erleidet das Ewige dieser Kunstschöpfungen eine Entstellung. . . ." Am 5. Mai 1886, just hundert Jahre nach der Uraufführung des „Figaro", zitiert Hugo Wolf, damals Musikrezensent eines Wiener Winkelblättchens, die eben angeführten (in der Schrift: „Das Publikum in Zeit und Raum" zu fin¬ denden) Sätze Richard Wagners und fährt dann weiter mit eigenen Worten fort: „Die Richtigkeit dieser Behauptung ist kaum abzuleugnen. Ein Blick auf das Publikum, das mit der größten Gemütsruhe den Vorgängen auf der Bühne bei .Figaros Hochzeit' folgt, belehrt uns zur Genüge, wie uns das intimere Verständnis für das Werk abhanden gekommen ist." Das ist vor kurzem siebenundzwanzig Jahre her gewesen. Und heute? Mozartfestspiele, Mozartneuinszenierungen auf jeder bedeutenden Bühne, im Konzertsaal nach langem Todesschlaf wieder Mozartsche Kammermusik! Führt mich in früher Morgenstunde mein Weg am Münchener Nesidenztheater vorbei, so sehe ich dort lange, lange Reihen vor den Schaltern stehen, an denen man vierzehn Tage vor der Aufführung Billetts zu den Vorabenden unserer Mozartfestspiele feilhält. Das wartet, in hundertfältiger Schar, stundenlang. Just das Publikum, das erweist, ob ein Künstler wirklich lebt, oder nur Herrn Snob und einem Jntendantengeschmack zuliebe ein künstlich eratmetes Dasein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/528>, abgerufen am 26.12.2024.