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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nach einem hohen Problem und führt dieses
Problem stark und klar zu seiner Entwicklung
durch; außerdem ist es für ein Erstlingswerk
merkwürdig glatt und frei von Verstößen gegen
die dramatische Tabulatur. Der "Krone", dein
zweiten 1909 erschienenen Werk, geht leider
ein einheitliches, dramatisches Grundmotiv zu
sehr ab. Die zahlreichen starken Bühneneffekte
verpuffen nach allzu viel Seiten, als daß sie
eine kräftige Gesamtwirkung erzwingen könnten.
Dieses und noch mancherlei andere noch zu
erwähnende Bedenken werden nicht durch die
Tatsache aus der Welt geschafft, daß dem
Verfasser einige Figuren, vor allem die wirk¬
lich entzückende Viviane ausgezeichnet ge¬
lungen sind.

Mit dem "Heim im Walde" hat er dann,
äußerlich wenigstens, das Feld eines modernen
Vorwurfes betreten. Äußerlich freilich nur:
er hat seine Technik (vgl. den ersten Akt, der
zugleich der weitaus stärkste ist) an Ibsen ge¬
schult und führt nun seine Handlungen so
straff, so energisch durch, daß der Mann der
Bühne, der heute seltener denn je gerade mit
dieser Gilde verwöhnt wird, seine helle Freude
daran haben muß. Innerlich bleibt er
übrigens dem Naturalismus sehr fern, zeichnet
seine Menschen mit einer geradezu altväter¬
lichen Einfachheit. Ich bin selbstverständlich
sehr weit davon entfernt, ihm einen auch nur
ganz geringen Vorwurf aus dieser Altväter¬
lichkeit zu machen: im Gegenteil, diese Schlicht¬
heit wirkt sehr wohltuend. Was ich an diesem
Werk auszusetzen habe, haftet nicht an dem
"Was", sondern an dem "Wie". Bezieht sich
auf gewisse Schwächen, die mir schon in der
"Krone" aufgefallen waren. Schwächen, die
dort, dem mittelalterlichen Stoff entsprechend,
mehr nach der Butzenscheibenpocfie neigten,
hier nach dem verwandten Gebiet des Senti¬
mentalen. Ich glaube, wir vertragen es heute
nicht mehr recht, wenn als Aktschluß eine
Frau ihrem Gatten das "süße Geheimnis"
ins Ohr flüstert und dann "in holder Scham
davoneilt und ihr Antlitz verbirgt". Mich
persönlich überläuft es auch, wenn ein Ober¬
förster, der sonst ein verständiger Kerl ist
und mit beiden Füßen auf der Erde steht,
von seinem Waldleben flötet: "Die sinkende
Sonne übergießt die Gipfel der Buchen mit
rosiger Glut. Noch ein paar Schritte, und

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vor uns liegt im Purpurglanz des Abends,
Mefcrbedeckt und efeubewachsen, ein Haus"
usw. Oder: "Der Hund, schon vorausgeeilt,
bespricht sich mit Frau Pankock" usw. Unter
der stattlichen Anzahl mir bekannter Wald¬
menschen ist mir keiner gegenwärtig, der seinen
Hund so literarisch in einer Paranthese vor¬
auseilen läßt.

Wenn man bedenkt, daß Löser wirklich
etwas kann, sind es gewiß Kleinigkeiten.
Kleinigkeiten aber, die nicht gerade selten bei
ihm vorkommen und die zudem gefährlich
sind: weil sie schon stärkeres Können auf die
Dauer zersetzt haben. Ich habe das Gefühl,
der Verfasser müßte hinaus aus dem engeren
Kreis, dem er offenbar angehört, niüßte ein¬
mal durch andere Lebensfelder gehen, als er
sie bisher durchschritten hat. Müßte Wohl
auch einmal seiner engeren Heimat den Rücken
kehren. Nicht um ihr fremd zu werden, meine
ich: sie hat ihm zu ein paar lebensvollen
Figuren in seinem letzten Werk verholfen und
schlägt vielleicht später einmal die reinsten Töne
in ihm an. Aber zunächst soll er lernen, mit
anderen Farben zu malen, mit kräftigeren,
derberen -- echterer.

Er besitzt gewiß viel als Dramatiker, wahr¬
scheinlich auch als (im engeren Wortsinn)
Dichter. Es wäre schade, wenn er es ver¬
zuckern ließe.

Paul Goldmann: Literatenstücke und
Ausstattungsregie. Frankfurt a. Main bei
Rütten u. Löning.

Herr Dr. Paul Goldmann, bekanntlich
Berliner Theaterkritiker der Wiener Neuen
Freien Presse, hat mit seinem Buch dem
Naturalismus und der modernen Bühnen¬
regie scharfe Fehde angesagt. Nicht ganz ohne
nachhaltigen Erfolg: nämlich überall da, wo
Herr Goldmann Literat bleibt und sich nicht
theoretisierend an Bühnenfragen vergreift.
Was er über die Wirkungen "der großen Re¬
volution" von 1889 sagt (im wesentlichen:
der Naturalismus trägt die Schuld an der
Theatermüdigkeit des deutschen Publikums
und der Dekadenz deutscher Schauspielkunst),
stimmt nachdenklich. Auch solche Leser, die in
Gerhart Hauptmann immerhin mehr sehen,
wie Goldmann (nämlich einen routinierten

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nach einem hohen Problem und führt dieses
Problem stark und klar zu seiner Entwicklung
durch; außerdem ist es für ein Erstlingswerk
merkwürdig glatt und frei von Verstößen gegen
die dramatische Tabulatur. Der „Krone", dein
zweiten 1909 erschienenen Werk, geht leider
ein einheitliches, dramatisches Grundmotiv zu
sehr ab. Die zahlreichen starken Bühneneffekte
verpuffen nach allzu viel Seiten, als daß sie
eine kräftige Gesamtwirkung erzwingen könnten.
Dieses und noch mancherlei andere noch zu
erwähnende Bedenken werden nicht durch die
Tatsache aus der Welt geschafft, daß dem
Verfasser einige Figuren, vor allem die wirk¬
lich entzückende Viviane ausgezeichnet ge¬
lungen sind.

Mit dem „Heim im Walde" hat er dann,
äußerlich wenigstens, das Feld eines modernen
Vorwurfes betreten. Äußerlich freilich nur:
er hat seine Technik (vgl. den ersten Akt, der
zugleich der weitaus stärkste ist) an Ibsen ge¬
schult und führt nun seine Handlungen so
straff, so energisch durch, daß der Mann der
Bühne, der heute seltener denn je gerade mit
dieser Gilde verwöhnt wird, seine helle Freude
daran haben muß. Innerlich bleibt er
übrigens dem Naturalismus sehr fern, zeichnet
seine Menschen mit einer geradezu altväter¬
lichen Einfachheit. Ich bin selbstverständlich
sehr weit davon entfernt, ihm einen auch nur
ganz geringen Vorwurf aus dieser Altväter¬
lichkeit zu machen: im Gegenteil, diese Schlicht¬
heit wirkt sehr wohltuend. Was ich an diesem
Werk auszusetzen habe, haftet nicht an dem
„Was", sondern an dem „Wie". Bezieht sich
auf gewisse Schwächen, die mir schon in der
„Krone" aufgefallen waren. Schwächen, die
dort, dem mittelalterlichen Stoff entsprechend,
mehr nach der Butzenscheibenpocfie neigten,
hier nach dem verwandten Gebiet des Senti¬
mentalen. Ich glaube, wir vertragen es heute
nicht mehr recht, wenn als Aktschluß eine
Frau ihrem Gatten das „süße Geheimnis"
ins Ohr flüstert und dann „in holder Scham
davoneilt und ihr Antlitz verbirgt". Mich
persönlich überläuft es auch, wenn ein Ober¬
förster, der sonst ein verständiger Kerl ist
und mit beiden Füßen auf der Erde steht,
von seinem Waldleben flötet: „Die sinkende
Sonne übergießt die Gipfel der Buchen mit
rosiger Glut. Noch ein paar Schritte, und

[Spaltenumbruch]

vor uns liegt im Purpurglanz des Abends,
Mefcrbedeckt und efeubewachsen, ein Haus"
usw. Oder: „Der Hund, schon vorausgeeilt,
bespricht sich mit Frau Pankock" usw. Unter
der stattlichen Anzahl mir bekannter Wald¬
menschen ist mir keiner gegenwärtig, der seinen
Hund so literarisch in einer Paranthese vor¬
auseilen läßt.

Wenn man bedenkt, daß Löser wirklich
etwas kann, sind es gewiß Kleinigkeiten.
Kleinigkeiten aber, die nicht gerade selten bei
ihm vorkommen und die zudem gefährlich
sind: weil sie schon stärkeres Können auf die
Dauer zersetzt haben. Ich habe das Gefühl,
der Verfasser müßte hinaus aus dem engeren
Kreis, dem er offenbar angehört, niüßte ein¬
mal durch andere Lebensfelder gehen, als er
sie bisher durchschritten hat. Müßte Wohl
auch einmal seiner engeren Heimat den Rücken
kehren. Nicht um ihr fremd zu werden, meine
ich: sie hat ihm zu ein paar lebensvollen
Figuren in seinem letzten Werk verholfen und
schlägt vielleicht später einmal die reinsten Töne
in ihm an. Aber zunächst soll er lernen, mit
anderen Farben zu malen, mit kräftigeren,
derberen — echterer.

Er besitzt gewiß viel als Dramatiker, wahr¬
scheinlich auch als (im engeren Wortsinn)
Dichter. Es wäre schade, wenn er es ver¬
zuckern ließe.

Paul Goldmann: Literatenstücke und
Ausstattungsregie. Frankfurt a. Main bei
Rütten u. Löning.

Herr Dr. Paul Goldmann, bekanntlich
Berliner Theaterkritiker der Wiener Neuen
Freien Presse, hat mit seinem Buch dem
Naturalismus und der modernen Bühnen¬
regie scharfe Fehde angesagt. Nicht ganz ohne
nachhaltigen Erfolg: nämlich überall da, wo
Herr Goldmann Literat bleibt und sich nicht
theoretisierend an Bühnenfragen vergreift.
Was er über die Wirkungen „der großen Re¬
volution" von 1889 sagt (im wesentlichen:
der Naturalismus trägt die Schuld an der
Theatermüdigkeit des deutschen Publikums
und der Dekadenz deutscher Schauspielkunst),
stimmt nachdenklich. Auch solche Leser, die in
Gerhart Hauptmann immerhin mehr sehen,
wie Goldmann (nämlich einen routinierten

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[0298] Maßgebliches und Unmaßgebliches nach einem hohen Problem und führt dieses Problem stark und klar zu seiner Entwicklung durch; außerdem ist es für ein Erstlingswerk merkwürdig glatt und frei von Verstößen gegen die dramatische Tabulatur. Der „Krone", dein zweiten 1909 erschienenen Werk, geht leider ein einheitliches, dramatisches Grundmotiv zu sehr ab. Die zahlreichen starken Bühneneffekte verpuffen nach allzu viel Seiten, als daß sie eine kräftige Gesamtwirkung erzwingen könnten. Dieses und noch mancherlei andere noch zu erwähnende Bedenken werden nicht durch die Tatsache aus der Welt geschafft, daß dem Verfasser einige Figuren, vor allem die wirk¬ lich entzückende Viviane ausgezeichnet ge¬ lungen sind. Mit dem „Heim im Walde" hat er dann, äußerlich wenigstens, das Feld eines modernen Vorwurfes betreten. Äußerlich freilich nur: er hat seine Technik (vgl. den ersten Akt, der zugleich der weitaus stärkste ist) an Ibsen ge¬ schult und führt nun seine Handlungen so straff, so energisch durch, daß der Mann der Bühne, der heute seltener denn je gerade mit dieser Gilde verwöhnt wird, seine helle Freude daran haben muß. Innerlich bleibt er übrigens dem Naturalismus sehr fern, zeichnet seine Menschen mit einer geradezu altväter¬ lichen Einfachheit. Ich bin selbstverständlich sehr weit davon entfernt, ihm einen auch nur ganz geringen Vorwurf aus dieser Altväter¬ lichkeit zu machen: im Gegenteil, diese Schlicht¬ heit wirkt sehr wohltuend. Was ich an diesem Werk auszusetzen habe, haftet nicht an dem „Was", sondern an dem „Wie". Bezieht sich auf gewisse Schwächen, die mir schon in der „Krone" aufgefallen waren. Schwächen, die dort, dem mittelalterlichen Stoff entsprechend, mehr nach der Butzenscheibenpocfie neigten, hier nach dem verwandten Gebiet des Senti¬ mentalen. Ich glaube, wir vertragen es heute nicht mehr recht, wenn als Aktschluß eine Frau ihrem Gatten das „süße Geheimnis" ins Ohr flüstert und dann „in holder Scham davoneilt und ihr Antlitz verbirgt". Mich persönlich überläuft es auch, wenn ein Ober¬ förster, der sonst ein verständiger Kerl ist und mit beiden Füßen auf der Erde steht, von seinem Waldleben flötet: „Die sinkende Sonne übergießt die Gipfel der Buchen mit rosiger Glut. Noch ein paar Schritte, und vor uns liegt im Purpurglanz des Abends, Mefcrbedeckt und efeubewachsen, ein Haus" usw. Oder: „Der Hund, schon vorausgeeilt, bespricht sich mit Frau Pankock" usw. Unter der stattlichen Anzahl mir bekannter Wald¬ menschen ist mir keiner gegenwärtig, der seinen Hund so literarisch in einer Paranthese vor¬ auseilen läßt. Wenn man bedenkt, daß Löser wirklich etwas kann, sind es gewiß Kleinigkeiten. Kleinigkeiten aber, die nicht gerade selten bei ihm vorkommen und die zudem gefährlich sind: weil sie schon stärkeres Können auf die Dauer zersetzt haben. Ich habe das Gefühl, der Verfasser müßte hinaus aus dem engeren Kreis, dem er offenbar angehört, niüßte ein¬ mal durch andere Lebensfelder gehen, als er sie bisher durchschritten hat. Müßte Wohl auch einmal seiner engeren Heimat den Rücken kehren. Nicht um ihr fremd zu werden, meine ich: sie hat ihm zu ein paar lebensvollen Figuren in seinem letzten Werk verholfen und schlägt vielleicht später einmal die reinsten Töne in ihm an. Aber zunächst soll er lernen, mit anderen Farben zu malen, mit kräftigeren, derberen — echterer. Er besitzt gewiß viel als Dramatiker, wahr¬ scheinlich auch als (im engeren Wortsinn) Dichter. Es wäre schade, wenn er es ver¬ zuckern ließe. Paul Goldmann: Literatenstücke und Ausstattungsregie. Frankfurt a. Main bei Rütten u. Löning. Herr Dr. Paul Goldmann, bekanntlich Berliner Theaterkritiker der Wiener Neuen Freien Presse, hat mit seinem Buch dem Naturalismus und der modernen Bühnen¬ regie scharfe Fehde angesagt. Nicht ganz ohne nachhaltigen Erfolg: nämlich überall da, wo Herr Goldmann Literat bleibt und sich nicht theoretisierend an Bühnenfragen vergreift. Was er über die Wirkungen „der großen Re¬ volution" von 1889 sagt (im wesentlichen: der Naturalismus trägt die Schuld an der Theatermüdigkeit des deutschen Publikums und der Dekadenz deutscher Schauspielkunst), stimmt nachdenklich. Auch solche Leser, die in Gerhart Hauptmann immerhin mehr sehen, wie Goldmann (nämlich einen routinierten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/298>, abgerufen am 26.12.2024.