Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr."I^'nomme maenine" im zwanzigsten Jahrhundert Anfänge einer Wirtschaftspsychologie Dr. M. Relchner i vonn is Julien Offray de Lamettrie in der Eigenschaft eines Militär¬ Mehr als hundertundfunfzig Jahre sind verflossen, seit die gebildete Welt sich „I^'nomme maenine" im zwanzigsten Jahrhundert Anfänge einer Wirtschaftspsychologie Dr. M. Relchner i vonn is Julien Offray de Lamettrie in der Eigenschaft eines Militär¬ Mehr als hundertundfunfzig Jahre sind verflossen, seit die gebildete Welt sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326349"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341897_326169/figures/grenzboten_341897_326169_326349_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> „I^'nomme maenine" im zwanzigsten Jahrhundert<lb/> Anfänge einer Wirtschaftspsychologie<lb/><note type="byline"> Dr. M. Relchner i</note> vonn</head><lb/> <p xml:id="ID_809"> is Julien Offray de Lamettrie in der Eigenschaft eines Militär¬<lb/> arztes einen Feldzug in Deutschland mitmachte, warf ihn ein<lb/> hitziges Fieber auf das Krankenlager. Das Blut raste in seinem<lb/> Körper und zum erstenmal beobachtete er bei dieser Gelegenheit<lb/> den Einfluß körperlicher Vorgänge auf die Seelentätigkeit. Da<lb/> kam ihm der Gedanke, daß das Denken nichts sei als eine Folge unserer<lb/> körperlichen Organisation und von nun an galt sein Bemühen der Ausgestaltung<lb/> eines radikalen anthropologischen Materialismus. Ausgerüstet mit dem medizinischen<lb/> Wissen seiner Zeit, geht er. der Schüler des berühmten Leydener Arztes Boer-<lb/> haave, der die Grundsätze der Cartesianischen Naturlehre auf das Studium des<lb/> organischen Lebens anwandte, daran, mit den Hilfsmitteln sinnlicher Erfahrung<lb/> und Beobachtung die Abhängigkeit der Seele vom Körper zu beweisen. Was<lb/> hätte es, so fragt er, bei Cajus Julius, bei Seneca, bei Petronius bedurft, um<lb/> ihre Furchtlosigkeit in Kleinmütigkeit oder Prahlerei zu verwandeln? Eine Ob¬<lb/> struktion in der Milz, der Leber oder der Pfortader. Denn die Einbildungs¬<lb/> kraft hängt mit diesen Eingeweiden zusammen. Die Seele ist das materielle<lb/> Bewußtsein, der Mensch ein Mechanismus — eine Maschine.</p><lb/> <p xml:id="ID_810" next="#ID_811"> Mehr als hundertundfunfzig Jahre sind verflossen, seit die gebildete Welt sich<lb/> über de Lamettries Werk, dessen Titel „I'Komms maenilis" den Inhalt treffend<lb/> kennzeichnet, entrüstete und trotz aller Proteste viel beachtete. Heute gehört<lb/> de Lamettrie zu den wenig gelesenen Schriftstellern, obgleich er, wie namentlich<lb/> Albert Lange und Du Bois-Raymond hervorgehoben haben, zweifellos besser<lb/> war als sein Ruf und zu unrecht der Vergessenheit preisgegeben wird, da er<lb/> manchen guten Gedanken geäußert hat. Trotz dieser Nichtachtung liegt die<lb/> Gesamttendenz der menschlichen Entwicklung gleichsam in der Verlängerung jener<lb/> Linien, die de Lamettrie mit dem Griffel des naiven Radikalen damals zu<lb/> ziehen versuchte. Nicht daß gegenwärtig der Materialismus Triumphe feierte,<lb/> im Gegenteil, er ist erkenntnistheoretisch gründlich überwunden worden und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
[Abbildung]
„I^'nomme maenine" im zwanzigsten Jahrhundert
Anfänge einer Wirtschaftspsychologie
Dr. M. Relchner i vonn
is Julien Offray de Lamettrie in der Eigenschaft eines Militär¬
arztes einen Feldzug in Deutschland mitmachte, warf ihn ein
hitziges Fieber auf das Krankenlager. Das Blut raste in seinem
Körper und zum erstenmal beobachtete er bei dieser Gelegenheit
den Einfluß körperlicher Vorgänge auf die Seelentätigkeit. Da
kam ihm der Gedanke, daß das Denken nichts sei als eine Folge unserer
körperlichen Organisation und von nun an galt sein Bemühen der Ausgestaltung
eines radikalen anthropologischen Materialismus. Ausgerüstet mit dem medizinischen
Wissen seiner Zeit, geht er. der Schüler des berühmten Leydener Arztes Boer-
haave, der die Grundsätze der Cartesianischen Naturlehre auf das Studium des
organischen Lebens anwandte, daran, mit den Hilfsmitteln sinnlicher Erfahrung
und Beobachtung die Abhängigkeit der Seele vom Körper zu beweisen. Was
hätte es, so fragt er, bei Cajus Julius, bei Seneca, bei Petronius bedurft, um
ihre Furchtlosigkeit in Kleinmütigkeit oder Prahlerei zu verwandeln? Eine Ob¬
struktion in der Milz, der Leber oder der Pfortader. Denn die Einbildungs¬
kraft hängt mit diesen Eingeweiden zusammen. Die Seele ist das materielle
Bewußtsein, der Mensch ein Mechanismus — eine Maschine.
Mehr als hundertundfunfzig Jahre sind verflossen, seit die gebildete Welt sich
über de Lamettries Werk, dessen Titel „I'Komms maenilis" den Inhalt treffend
kennzeichnet, entrüstete und trotz aller Proteste viel beachtete. Heute gehört
de Lamettrie zu den wenig gelesenen Schriftstellern, obgleich er, wie namentlich
Albert Lange und Du Bois-Raymond hervorgehoben haben, zweifellos besser
war als sein Ruf und zu unrecht der Vergessenheit preisgegeben wird, da er
manchen guten Gedanken geäußert hat. Trotz dieser Nichtachtung liegt die
Gesamttendenz der menschlichen Entwicklung gleichsam in der Verlängerung jener
Linien, die de Lamettrie mit dem Griffel des naiven Radikalen damals zu
ziehen versuchte. Nicht daß gegenwärtig der Materialismus Triumphe feierte,
im Gegenteil, er ist erkenntnistheoretisch gründlich überwunden worden und
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