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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Mit dem Kaiser auf Reisen

dann nach sorgfältiger Vorbereitung des Reiseprogramms durch den bekannten
Forschungsreisenden Dr. Güßfeldt der Zeitpunkt für die Nordlandsreise im Sommer
1889 festgelegt werden sollte, hat Bismarck kein Mittel unversucht gelassen, die Reise
doch noch im letzten Augenblick zu hintertreiben. Noch am 2. Juni 1889 hoffte
Bismarck, wie sein Sohn Herbert mitteilt, daß die Reise unterbleiben würde: der
Leibarzt des Kaisers wurde mit angespannt, das Ziel zu erreichen; der Kaiser sollte
in ein deutsches Bad gehen; Bismarck ließ kein Mittel unversucht! Als schließlich
der Kaiser seinen Willen dennoch durchsetzte, gab es "eine furchtbare Hatz" und
die erste Nordlandsreise mußte unter so ungünstigen Auspizien angetreten werden,
daß Kiderlen am 10. Juli notieren konnte: "der Zeitpunkt der Abreise war
allerdings ein recht kritischer ... es handelt sich um nichts weniger als um eine
Kanzlerkrise . . ." und ein Jahr später, als schon Caprivi Reichskanzler war:
" ... ich hoffe jedenfalls, daß diesmal sür mich die Reise dienstlich leichter
wird, als voriges Jahr, wo bereits die .Konflikte' anfingen. Schon sehr ernst!
Ich durfte damals den tampon machen, habe mich redlich für die Bismarcks
abgeschunden . . "

Aus der Stimmung der angedeuteten Kämpfe heraus gewinnen auch die
Worte des Kaisers vom 5. März 1890 eine besondere Bedeutung, mit denen
er seine Nordlandsreisen begründet:

"Bei Meinen Reisen habe Ich nicht allein den Zweck verfolgt, fremde Länder
und Staatseinrichtungen kennen zu lernen und mit den Herrschern benachbarter
Reiche freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, sondern diese Reisen, die ja viel¬
fach Mißdeutungen ausgesetzt waren, haben für Mich den hohen Wert gehabt, daß
Ich, entrückt dem Parteigetriebe des Tages, die heimischen Verhältnisse aus der
Ferne beobachten und in Ruhe einer Prüfung unterziehen konnte. Wer jemals
einsam auf hoher See, nur Gottes Sternenhimmel über sich, Einkehr in sich
selbst gehalten hat, der wird den Wert einer solchen Fahrt nicht verkennen.
Manchen von Meinen Landsleuten möchte Ich wünschen, solche Stunden zu
erleben, in denen der Mensch sich Rechenschaft ablegen kann, über das, was er
erstrebt und was er geleistet hat. Da kann man geheilt werden von Selbst¬
überschätzung, und das tut uns allen not."


2. Streiflichter

"Für die Dauer der Nordlandsreise," erzählt der schon erwähnte Geheimrat
Dr. Güßfeldt in Bongs Jubiläumswerk, "hat der Kaiser die Grenzen der Hof¬
etikette stark erweitert und gestattet seinen Fahrtgesellen eine große Bewegungs¬
freiheit im persönlichen Verkehr mit ihm." "Der Kaiser ist sehr nett und der
Verkehr äußerst zwanglos," bemerkte Kiderlen in dem schon erwähnten Schreiben
vom 10. Juli. "Der Kaiser sieht es nicht als Verstoß an, nimmt es vielmehr
freundlich auf, wenn man ihn an Deck -- falls die Umstände es zulassen --
anredet, und oft entwickeln sich daraus Gespräche, die eine bleibende Erinnerung
zurücklassen."


Mit dem Kaiser auf Reisen

dann nach sorgfältiger Vorbereitung des Reiseprogramms durch den bekannten
Forschungsreisenden Dr. Güßfeldt der Zeitpunkt für die Nordlandsreise im Sommer
1889 festgelegt werden sollte, hat Bismarck kein Mittel unversucht gelassen, die Reise
doch noch im letzten Augenblick zu hintertreiben. Noch am 2. Juni 1889 hoffte
Bismarck, wie sein Sohn Herbert mitteilt, daß die Reise unterbleiben würde: der
Leibarzt des Kaisers wurde mit angespannt, das Ziel zu erreichen; der Kaiser sollte
in ein deutsches Bad gehen; Bismarck ließ kein Mittel unversucht! Als schließlich
der Kaiser seinen Willen dennoch durchsetzte, gab es „eine furchtbare Hatz" und
die erste Nordlandsreise mußte unter so ungünstigen Auspizien angetreten werden,
daß Kiderlen am 10. Juli notieren konnte: „der Zeitpunkt der Abreise war
allerdings ein recht kritischer ... es handelt sich um nichts weniger als um eine
Kanzlerkrise . . ." und ein Jahr später, als schon Caprivi Reichskanzler war:
„ ... ich hoffe jedenfalls, daß diesmal sür mich die Reise dienstlich leichter
wird, als voriges Jahr, wo bereits die .Konflikte' anfingen. Schon sehr ernst!
Ich durfte damals den tampon machen, habe mich redlich für die Bismarcks
abgeschunden . . "

Aus der Stimmung der angedeuteten Kämpfe heraus gewinnen auch die
Worte des Kaisers vom 5. März 1890 eine besondere Bedeutung, mit denen
er seine Nordlandsreisen begründet:

„Bei Meinen Reisen habe Ich nicht allein den Zweck verfolgt, fremde Länder
und Staatseinrichtungen kennen zu lernen und mit den Herrschern benachbarter
Reiche freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, sondern diese Reisen, die ja viel¬
fach Mißdeutungen ausgesetzt waren, haben für Mich den hohen Wert gehabt, daß
Ich, entrückt dem Parteigetriebe des Tages, die heimischen Verhältnisse aus der
Ferne beobachten und in Ruhe einer Prüfung unterziehen konnte. Wer jemals
einsam auf hoher See, nur Gottes Sternenhimmel über sich, Einkehr in sich
selbst gehalten hat, der wird den Wert einer solchen Fahrt nicht verkennen.
Manchen von Meinen Landsleuten möchte Ich wünschen, solche Stunden zu
erleben, in denen der Mensch sich Rechenschaft ablegen kann, über das, was er
erstrebt und was er geleistet hat. Da kann man geheilt werden von Selbst¬
überschätzung, und das tut uns allen not."


2. Streiflichter

„Für die Dauer der Nordlandsreise," erzählt der schon erwähnte Geheimrat
Dr. Güßfeldt in Bongs Jubiläumswerk, „hat der Kaiser die Grenzen der Hof¬
etikette stark erweitert und gestattet seinen Fahrtgesellen eine große Bewegungs¬
freiheit im persönlichen Verkehr mit ihm." „Der Kaiser ist sehr nett und der
Verkehr äußerst zwanglos," bemerkte Kiderlen in dem schon erwähnten Schreiben
vom 10. Juli. „Der Kaiser sieht es nicht als Verstoß an, nimmt es vielmehr
freundlich auf, wenn man ihn an Deck — falls die Umstände es zulassen —
anredet, und oft entwickeln sich daraus Gespräche, die eine bleibende Erinnerung
zurücklassen."


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[0509] Mit dem Kaiser auf Reisen dann nach sorgfältiger Vorbereitung des Reiseprogramms durch den bekannten Forschungsreisenden Dr. Güßfeldt der Zeitpunkt für die Nordlandsreise im Sommer 1889 festgelegt werden sollte, hat Bismarck kein Mittel unversucht gelassen, die Reise doch noch im letzten Augenblick zu hintertreiben. Noch am 2. Juni 1889 hoffte Bismarck, wie sein Sohn Herbert mitteilt, daß die Reise unterbleiben würde: der Leibarzt des Kaisers wurde mit angespannt, das Ziel zu erreichen; der Kaiser sollte in ein deutsches Bad gehen; Bismarck ließ kein Mittel unversucht! Als schließlich der Kaiser seinen Willen dennoch durchsetzte, gab es „eine furchtbare Hatz" und die erste Nordlandsreise mußte unter so ungünstigen Auspizien angetreten werden, daß Kiderlen am 10. Juli notieren konnte: „der Zeitpunkt der Abreise war allerdings ein recht kritischer ... es handelt sich um nichts weniger als um eine Kanzlerkrise . . ." und ein Jahr später, als schon Caprivi Reichskanzler war: „ ... ich hoffe jedenfalls, daß diesmal sür mich die Reise dienstlich leichter wird, als voriges Jahr, wo bereits die .Konflikte' anfingen. Schon sehr ernst! Ich durfte damals den tampon machen, habe mich redlich für die Bismarcks abgeschunden . . " Aus der Stimmung der angedeuteten Kämpfe heraus gewinnen auch die Worte des Kaisers vom 5. März 1890 eine besondere Bedeutung, mit denen er seine Nordlandsreisen begründet: „Bei Meinen Reisen habe Ich nicht allein den Zweck verfolgt, fremde Länder und Staatseinrichtungen kennen zu lernen und mit den Herrschern benachbarter Reiche freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, sondern diese Reisen, die ja viel¬ fach Mißdeutungen ausgesetzt waren, haben für Mich den hohen Wert gehabt, daß Ich, entrückt dem Parteigetriebe des Tages, die heimischen Verhältnisse aus der Ferne beobachten und in Ruhe einer Prüfung unterziehen konnte. Wer jemals einsam auf hoher See, nur Gottes Sternenhimmel über sich, Einkehr in sich selbst gehalten hat, der wird den Wert einer solchen Fahrt nicht verkennen. Manchen von Meinen Landsleuten möchte Ich wünschen, solche Stunden zu erleben, in denen der Mensch sich Rechenschaft ablegen kann, über das, was er erstrebt und was er geleistet hat. Da kann man geheilt werden von Selbst¬ überschätzung, und das tut uns allen not." 2. Streiflichter „Für die Dauer der Nordlandsreise," erzählt der schon erwähnte Geheimrat Dr. Güßfeldt in Bongs Jubiläumswerk, „hat der Kaiser die Grenzen der Hof¬ etikette stark erweitert und gestattet seinen Fahrtgesellen eine große Bewegungs¬ freiheit im persönlichen Verkehr mit ihm." „Der Kaiser ist sehr nett und der Verkehr äußerst zwanglos," bemerkte Kiderlen in dem schon erwähnten Schreiben vom 10. Juli. „Der Kaiser sieht es nicht als Verstoß an, nimmt es vielmehr freundlich auf, wenn man ihn an Deck — falls die Umstände es zulassen — anredet, und oft entwickeln sich daraus Gespräche, die eine bleibende Erinnerung zurücklassen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/509>, abgerufen am 27.07.2024.