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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen des Heimatschutzes zu den Fragen
des modernen ^taatslebens
Bauamtmann Rurt Hager Von in

!in Volk, das groß sein will, muß es auch im kleinen sein: in
jenen Nebensächlichkeiten, die nicht eben die Grundlagen seiner
Existenz bilden, die aber in ihrer Gesamtheit wie ein untrüglicher
Spiegel seiner Kultur wirken und als Wertmesser sür seine geistige
Reife gelten können. Wenn unser deutsches Volk nach dem
titanischen Ringen der letzten Jahrzehnte auf dem festen Untergrund realer
Existenz nunmehr beginnen kann, an der kulturellen Hebung des Volksganzen
zu arbeiten, so erfüllt es damit nur die Forderung der Zeit, die wie keine
andere zu intensivster Beschäftigung mit den Fragen der Volksbildung drängt.
Diese Bildung soll aber nicht so sehr ihr Schwergewicht in der Entwicklung
der reinen Verstandesfähigkeiten suchen, als vielmehr den gangbarsten Weg in
einer Befruchtung und Stimulierung der Gemütseigenschaften sehen. Denn
nicht der vernünftige Gedanke allein ist die herrschende Kraft in der Welt:
Vaterlandsliebe, Treue, Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit leiten ihre Triebe nicht
von ihm her.

Diese Anschauungen, die im modernen Staatsleben immer mehr als ein
wichtiger Faktor für die Vertiefung und Veredelung der nationalen Instinkte
erkannt werden, sind erst vor kurzem von dem neugewählten Präsidenten des
amerikanischen Volkes Woodrow Wilson in besonders prägnanter Weise zu
einem programmatischen Bekenntnis von überwältigender Durchschlagskraft er¬
hoben worden: ein Vorgang, der von symptomatischer Bedeutung ist, besonders
im Hinblick auf die Eigenschaften des amerikanischen Volkes, die uns immer
als Reinkultur materieller Gesinnung erscheinen. Um wieviel mehr mußten
bei uns in Deutschland, dem Lande der Dichter und Denker, nach der Ent¬
wicklung der letzten vierzig Jahre mit unbedingter Notwendigkeit jene Gedanken
mächtig werden, in denen sich eine neue Weltanschauung vorbereitet. Diese
Entwicklung, die uns seit den siebziger Jahren aus einem Agrar- zu einem
Industriestaat machte und uns zu einem Massenvolke von 65 Millionen Menschen
werden ließ, brachte uns auf einen solchen Höhepunkt nationalen Wohlstandes,




Die Beziehungen des Heimatschutzes zu den Fragen
des modernen ^taatslebens
Bauamtmann Rurt Hager Von in

!in Volk, das groß sein will, muß es auch im kleinen sein: in
jenen Nebensächlichkeiten, die nicht eben die Grundlagen seiner
Existenz bilden, die aber in ihrer Gesamtheit wie ein untrüglicher
Spiegel seiner Kultur wirken und als Wertmesser sür seine geistige
Reife gelten können. Wenn unser deutsches Volk nach dem
titanischen Ringen der letzten Jahrzehnte auf dem festen Untergrund realer
Existenz nunmehr beginnen kann, an der kulturellen Hebung des Volksganzen
zu arbeiten, so erfüllt es damit nur die Forderung der Zeit, die wie keine
andere zu intensivster Beschäftigung mit den Fragen der Volksbildung drängt.
Diese Bildung soll aber nicht so sehr ihr Schwergewicht in der Entwicklung
der reinen Verstandesfähigkeiten suchen, als vielmehr den gangbarsten Weg in
einer Befruchtung und Stimulierung der Gemütseigenschaften sehen. Denn
nicht der vernünftige Gedanke allein ist die herrschende Kraft in der Welt:
Vaterlandsliebe, Treue, Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit leiten ihre Triebe nicht
von ihm her.

Diese Anschauungen, die im modernen Staatsleben immer mehr als ein
wichtiger Faktor für die Vertiefung und Veredelung der nationalen Instinkte
erkannt werden, sind erst vor kurzem von dem neugewählten Präsidenten des
amerikanischen Volkes Woodrow Wilson in besonders prägnanter Weise zu
einem programmatischen Bekenntnis von überwältigender Durchschlagskraft er¬
hoben worden: ein Vorgang, der von symptomatischer Bedeutung ist, besonders
im Hinblick auf die Eigenschaften des amerikanischen Volkes, die uns immer
als Reinkultur materieller Gesinnung erscheinen. Um wieviel mehr mußten
bei uns in Deutschland, dem Lande der Dichter und Denker, nach der Ent¬
wicklung der letzten vierzig Jahre mit unbedingter Notwendigkeit jene Gedanken
mächtig werden, in denen sich eine neue Weltanschauung vorbereitet. Diese
Entwicklung, die uns seit den siebziger Jahren aus einem Agrar- zu einem
Industriestaat machte und uns zu einem Massenvolke von 65 Millionen Menschen
werden ließ, brachte uns auf einen solchen Höhepunkt nationalen Wohlstandes,


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[0346] [Abbildung] Die Beziehungen des Heimatschutzes zu den Fragen des modernen ^taatslebens Bauamtmann Rurt Hager Von in !in Volk, das groß sein will, muß es auch im kleinen sein: in jenen Nebensächlichkeiten, die nicht eben die Grundlagen seiner Existenz bilden, die aber in ihrer Gesamtheit wie ein untrüglicher Spiegel seiner Kultur wirken und als Wertmesser sür seine geistige Reife gelten können. Wenn unser deutsches Volk nach dem titanischen Ringen der letzten Jahrzehnte auf dem festen Untergrund realer Existenz nunmehr beginnen kann, an der kulturellen Hebung des Volksganzen zu arbeiten, so erfüllt es damit nur die Forderung der Zeit, die wie keine andere zu intensivster Beschäftigung mit den Fragen der Volksbildung drängt. Diese Bildung soll aber nicht so sehr ihr Schwergewicht in der Entwicklung der reinen Verstandesfähigkeiten suchen, als vielmehr den gangbarsten Weg in einer Befruchtung und Stimulierung der Gemütseigenschaften sehen. Denn nicht der vernünftige Gedanke allein ist die herrschende Kraft in der Welt: Vaterlandsliebe, Treue, Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit leiten ihre Triebe nicht von ihm her. Diese Anschauungen, die im modernen Staatsleben immer mehr als ein wichtiger Faktor für die Vertiefung und Veredelung der nationalen Instinkte erkannt werden, sind erst vor kurzem von dem neugewählten Präsidenten des amerikanischen Volkes Woodrow Wilson in besonders prägnanter Weise zu einem programmatischen Bekenntnis von überwältigender Durchschlagskraft er¬ hoben worden: ein Vorgang, der von symptomatischer Bedeutung ist, besonders im Hinblick auf die Eigenschaften des amerikanischen Volkes, die uns immer als Reinkultur materieller Gesinnung erscheinen. Um wieviel mehr mußten bei uns in Deutschland, dem Lande der Dichter und Denker, nach der Ent¬ wicklung der letzten vierzig Jahre mit unbedingter Notwendigkeit jene Gedanken mächtig werden, in denen sich eine neue Weltanschauung vorbereitet. Diese Entwicklung, die uns seit den siebziger Jahren aus einem Agrar- zu einem Industriestaat machte und uns zu einem Massenvolke von 65 Millionen Menschen werden ließ, brachte uns auf einen solchen Höhepunkt nationalen Wohlstandes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/346>, abgerufen am 27.07.2024.