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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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den Versuch, die mittleren Beamtenstellen
auch für tüchtige Volksschüler zu öffnen, ich
glaube schlechte Erfahrungen wird man kaum
machen,") Man kann ja die definitive Ein¬
stellung von einer Prüfung abhängig machen,
die etwa kurz vor Eintritt ins Militär an¬
zusetzen wäre. Vielleicht hält man mir ent¬
gegen, daß manche mittlere Beamtenkarrieren,
Wie z. B. bei der Post, im Kommunaldienst
usw. Anwärtern mit Volksschulvorbildung
offen stünden. Allerdings, solange aber
Anwärter mit Einjährigenzeugnis, mag dieses
auch auf noch so schwachen Füßen stehen,
unbedingt vor denen mit gutem Volksschul¬
zeugnis den Vorrang haben, ist eine solche
Öffnung der mittleren Beamtenkarriere für
die Volksschule illusorisch. In gleicher Weise
sollte bei möglichst allen Bemntcnkarricren,
die heute Primareife oder Abitur verlangen,
ein gutes Einjährigenzeugnis genügen, u/z. das
Zeugnis einer Realschule, die ihren Abiturienten
eine abgeschlossene, auf das Praktische Leben
zugeschnittene Allgemeinbildung zu geben ver¬
sucht, während das Gymnasium bei seinen
ganz anderen BildungSzielen den abgehenden
Untersekundanern eine vollständig unabge¬
schlossene Bildung übermittelt, die man fast
als wertlos bezeichnen möchte, da ja die
für das Gymnasium so überaus bedeutungs¬
vollen Overklassen fehlen. Für alle Beamten¬
kategorien schließlich, die unbedingt an einer
Vorbildung ihrer Anwärter auf einer neun-
klassigen höheren Schule festhalten zu müssen
glauben, ohne für ihre weitere Ausbildung
ein akademisches Studium zu verlangen,
scheint mir die Oberrealschule die am besten
geeignete Anstalt zu sein. Die Gymnasial¬
vorbildung bleibt nach meiner Ansicht immer
bis zum gewissen Grade unabgeschlossen,
wenn sie nicht durch ein akademisches Studium
ihre Krönung findet.

Dr. I. <!Znandt
Geschichte

Vom zweiten Napoleon. Läßt man die
Tatsachen allein zum Wort, so sieht es einen:

[Spaltenumbruch]

unziemlichen Scherz der Weltgeschichte gleich,
daß sie den vom Koi <Ze Kome zum Prinzen
von Parma und endlich zum Herzog von
Reichstadt umdekretierten Astycmar. seines
Hauses, der schon im Se. Lebensjahre hin¬
schied, als "Napoleon den Zweiten" führt. Steht
"der Sohn des Mannes" doch nicht einmal
mit seinem tragischen Schicksal isoliert da.
Als 1322 der Sohn Walter Scotts Berlin
besuchte, schrieb Heinrich Heine: "Dieser junge
Mensch, ein englischer Husarenoffizier, wird
sehr gefeiert und genießt hier den Ruhm
seines Vaters. Wo sind die Söhne Schillers?"
Ganz recht; aber ohne jene Notiz wäre in
Deutschland auch das Dasein von Sprossen
Sir Walter Scotts längst wieder unbekannt.
Napoleons einziges Kind wuchs kränkelnd
und gedrückt in einer vornehmen Haft auf,
von Furcht und Scham seiner Hüter mehr
als gut bewacht, draußen aber von den Partei¬
gängern des Vaters mit dessen Ruhm be¬
schwert, verehrt und begehrt. Weil die Person
des Jünglings ein Symbol ausmachte, schlössen
Freund und Feind mit höchst menschlicher Un¬
klarheit auf dieses armen Prinzen individuelle
Bedeutung. Wie das soeben in zweiter Auf¬
lage erschienene Lebensbild "Der Herzog von
Reichstadt" von Eduard von Wertheimer (Stutt¬
gart, Cotta; Preis br. S M.) zu erwägen
gibt, würde Napoleon der Erste wahrscheinlich
selber in mehrfacher Hinsicht ein Fiasko kaiser¬
licher Erzieherkunst herbeigeführt haben. Dem
Eroberer ging nichts schnell genug. Als im
Spätsommer 1816 der erbeutete Erbe seiner
Ansprüche zu Wien österreichischen Mentoren
unterstellt wurde, zeigte sich, daß man dem
viereinhalvjährigen Knaben nicht nur dreizehn
Lafontainesche Fabeln und mehrere Reden aus
Racine, sondern sogar grammatische Regeln
und Elemcntarsätze der Geographie sowie aus
der Geschichte eingetrichtert hatte. "Dieses
naturwidrige Vorgehen hatte die böse Folge,
daß der Prinz einen Ekel vor allem Lernen
bekam und es nun sehr schwer ward, ihn
dauernd für irgend einen Gegenstand zu
interessieren." Also zog man Arzte und
Pädagogen heran, um das von Vater und
Mutter so früh getrennte Kind erst zu kräftigen
und dann für die großelterliche Familie zu
erwärmen? Professor von Wertheimer erzählt
uns sehr ausführlich und begründungsreich,

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"j Z. B. bei der Post besteht die sogenannte
Sekretärprüfung ein verhältnismäßig großer
Prozentsatz von Assistenten mit nur Volks¬
schulvorbildung.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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den Versuch, die mittleren Beamtenstellen
auch für tüchtige Volksschüler zu öffnen, ich
glaube schlechte Erfahrungen wird man kaum
machen,") Man kann ja die definitive Ein¬
stellung von einer Prüfung abhängig machen,
die etwa kurz vor Eintritt ins Militär an¬
zusetzen wäre. Vielleicht hält man mir ent¬
gegen, daß manche mittlere Beamtenkarrieren,
Wie z. B. bei der Post, im Kommunaldienst
usw. Anwärtern mit Volksschulvorbildung
offen stünden. Allerdings, solange aber
Anwärter mit Einjährigenzeugnis, mag dieses
auch auf noch so schwachen Füßen stehen,
unbedingt vor denen mit gutem Volksschul¬
zeugnis den Vorrang haben, ist eine solche
Öffnung der mittleren Beamtenkarriere für
die Volksschule illusorisch. In gleicher Weise
sollte bei möglichst allen Bemntcnkarricren,
die heute Primareife oder Abitur verlangen,
ein gutes Einjährigenzeugnis genügen, u/z. das
Zeugnis einer Realschule, die ihren Abiturienten
eine abgeschlossene, auf das Praktische Leben
zugeschnittene Allgemeinbildung zu geben ver¬
sucht, während das Gymnasium bei seinen
ganz anderen BildungSzielen den abgehenden
Untersekundanern eine vollständig unabge¬
schlossene Bildung übermittelt, die man fast
als wertlos bezeichnen möchte, da ja die
für das Gymnasium so überaus bedeutungs¬
vollen Overklassen fehlen. Für alle Beamten¬
kategorien schließlich, die unbedingt an einer
Vorbildung ihrer Anwärter auf einer neun-
klassigen höheren Schule festhalten zu müssen
glauben, ohne für ihre weitere Ausbildung
ein akademisches Studium zu verlangen,
scheint mir die Oberrealschule die am besten
geeignete Anstalt zu sein. Die Gymnasial¬
vorbildung bleibt nach meiner Ansicht immer
bis zum gewissen Grade unabgeschlossen,
wenn sie nicht durch ein akademisches Studium
ihre Krönung findet.

Dr. I. <!Znandt
Geschichte

Vom zweiten Napoleon. Läßt man die
Tatsachen allein zum Wort, so sieht es einen:

[Spaltenumbruch]

unziemlichen Scherz der Weltgeschichte gleich,
daß sie den vom Koi <Ze Kome zum Prinzen
von Parma und endlich zum Herzog von
Reichstadt umdekretierten Astycmar. seines
Hauses, der schon im Se. Lebensjahre hin¬
schied, als „Napoleon den Zweiten" führt. Steht
„der Sohn des Mannes" doch nicht einmal
mit seinem tragischen Schicksal isoliert da.
Als 1322 der Sohn Walter Scotts Berlin
besuchte, schrieb Heinrich Heine: „Dieser junge
Mensch, ein englischer Husarenoffizier, wird
sehr gefeiert und genießt hier den Ruhm
seines Vaters. Wo sind die Söhne Schillers?"
Ganz recht; aber ohne jene Notiz wäre in
Deutschland auch das Dasein von Sprossen
Sir Walter Scotts längst wieder unbekannt.
Napoleons einziges Kind wuchs kränkelnd
und gedrückt in einer vornehmen Haft auf,
von Furcht und Scham seiner Hüter mehr
als gut bewacht, draußen aber von den Partei¬
gängern des Vaters mit dessen Ruhm be¬
schwert, verehrt und begehrt. Weil die Person
des Jünglings ein Symbol ausmachte, schlössen
Freund und Feind mit höchst menschlicher Un¬
klarheit auf dieses armen Prinzen individuelle
Bedeutung. Wie das soeben in zweiter Auf¬
lage erschienene Lebensbild „Der Herzog von
Reichstadt" von Eduard von Wertheimer (Stutt¬
gart, Cotta; Preis br. S M.) zu erwägen
gibt, würde Napoleon der Erste wahrscheinlich
selber in mehrfacher Hinsicht ein Fiasko kaiser¬
licher Erzieherkunst herbeigeführt haben. Dem
Eroberer ging nichts schnell genug. Als im
Spätsommer 1816 der erbeutete Erbe seiner
Ansprüche zu Wien österreichischen Mentoren
unterstellt wurde, zeigte sich, daß man dem
viereinhalvjährigen Knaben nicht nur dreizehn
Lafontainesche Fabeln und mehrere Reden aus
Racine, sondern sogar grammatische Regeln
und Elemcntarsätze der Geographie sowie aus
der Geschichte eingetrichtert hatte. „Dieses
naturwidrige Vorgehen hatte die böse Folge,
daß der Prinz einen Ekel vor allem Lernen
bekam und es nun sehr schwer ward, ihn
dauernd für irgend einen Gegenstand zu
interessieren." Also zog man Arzte und
Pädagogen heran, um das von Vater und
Mutter so früh getrennte Kind erst zu kräftigen
und dann für die großelterliche Familie zu
erwärmen? Professor von Wertheimer erzählt
uns sehr ausführlich und begründungsreich,

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"j Z. B. bei der Post besteht die sogenannte
Sekretärprüfung ein verhältnismäßig großer
Prozentsatz von Assistenten mit nur Volks¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/151>, abgerufen am 27.07.2024.