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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien
Nadir von
(Schluß)

Angesichts der vielen Angriffe, welche immer wieder von mehr oder weniger
sachverständiger Seite gegen das englische Regime in Indien gerichtet werden,
sollte man sich einmal die Frage vorlegen, ob das indische Volk sich in einer
besseren ökonomischen Lage befinden oder wenigstens mit seinem Los zufriedener
sein würde, wenn die englische Invasion ausgeblieben wäre. Persönliche Zu¬
friedenheit und gute ökonomische Lage sind ja an sich zwei ganz verschiedene
Dinge. Ein echter Afghane wird fast immer das ärmliche, aber sreie Leben
in seinen rauhen Bergen der glänzendsten Knechtschaft an indischen Fürstenhöfen
vorziehen. Für die in dem indischen Tiefland zusammengedrängten Menschen¬
massen ist aber die Nahrungsfrage von so ausschlaggebender Bedeutung, daß
jede andere Sorge, jedes andere Interesse dagegen verschwinden muß. "Gib
uns Frieden, damit wir unserer Arbeit nachgehen können, damit wir die Früchte
unseres Fleißes nicht in Raub und Plünderung verlieren und unsere Götter
nach der Weise unserer Väter ehren können," damit hat man eigentlich alles
genannt, was die Masse des indischen Volkes von einer guten Regierung er¬
wartet.

Wie aber steht es mit der Erfüllung dieser Wünsche in den heute noch
von Orientalen regierten Gebieten? Persien z. B. ist sicherlich ein von der
Natur reich bedachtes Land. Um zu Glück und Wohlstand zu gelangen fehlt
ihm eigentlich nichts als eine starke und verständige Regierung. Und wie sieht
es tatsächlich dort aus? Nicht genug, daß die Regierung nichts für das all¬
gemeine Wohl tut, nicht genug, daß die Bevölkerung unter der Last der
ungerechten Steuern, der parteilichen und bestechlichen Gerichte seufzt; nicht
einmal die primitivsten Forderungen staatlichen Lebens werden erfüllt. Ungestraft
ziehen Räuberbanden durch das Land, plündern und brandschatzen die Dörfer,
martern und töten die Einwohner. Sind die Räuber endlich abgezogen, so
kommen (beileibe nicht früher) die Regierungstruppen und plündern und brand¬
schatzen noch einmal, "weil die Bevölkerung den Räubern Vorschub geleistet hat."
In den ewigen Kriegen und Aufständen werden die sogenannten Schlachten zu
lächerlichen, unbedeutenden Schießereien; die Hauptsache bei der Kriegführung




Die Engländer in Indien
Nadir von
(Schluß)

Angesichts der vielen Angriffe, welche immer wieder von mehr oder weniger
sachverständiger Seite gegen das englische Regime in Indien gerichtet werden,
sollte man sich einmal die Frage vorlegen, ob das indische Volk sich in einer
besseren ökonomischen Lage befinden oder wenigstens mit seinem Los zufriedener
sein würde, wenn die englische Invasion ausgeblieben wäre. Persönliche Zu¬
friedenheit und gute ökonomische Lage sind ja an sich zwei ganz verschiedene
Dinge. Ein echter Afghane wird fast immer das ärmliche, aber sreie Leben
in seinen rauhen Bergen der glänzendsten Knechtschaft an indischen Fürstenhöfen
vorziehen. Für die in dem indischen Tiefland zusammengedrängten Menschen¬
massen ist aber die Nahrungsfrage von so ausschlaggebender Bedeutung, daß
jede andere Sorge, jedes andere Interesse dagegen verschwinden muß. „Gib
uns Frieden, damit wir unserer Arbeit nachgehen können, damit wir die Früchte
unseres Fleißes nicht in Raub und Plünderung verlieren und unsere Götter
nach der Weise unserer Väter ehren können," damit hat man eigentlich alles
genannt, was die Masse des indischen Volkes von einer guten Regierung er¬
wartet.

Wie aber steht es mit der Erfüllung dieser Wünsche in den heute noch
von Orientalen regierten Gebieten? Persien z. B. ist sicherlich ein von der
Natur reich bedachtes Land. Um zu Glück und Wohlstand zu gelangen fehlt
ihm eigentlich nichts als eine starke und verständige Regierung. Und wie sieht
es tatsächlich dort aus? Nicht genug, daß die Regierung nichts für das all¬
gemeine Wohl tut, nicht genug, daß die Bevölkerung unter der Last der
ungerechten Steuern, der parteilichen und bestechlichen Gerichte seufzt; nicht
einmal die primitivsten Forderungen staatlichen Lebens werden erfüllt. Ungestraft
ziehen Räuberbanden durch das Land, plündern und brandschatzen die Dörfer,
martern und töten die Einwohner. Sind die Räuber endlich abgezogen, so
kommen (beileibe nicht früher) die Regierungstruppen und plündern und brand¬
schatzen noch einmal, „weil die Bevölkerung den Räubern Vorschub geleistet hat."
In den ewigen Kriegen und Aufständen werden die sogenannten Schlachten zu
lächerlichen, unbedeutenden Schießereien; die Hauptsache bei der Kriegführung


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[0570] [Abbildung] Die Engländer in Indien Nadir von (Schluß) Angesichts der vielen Angriffe, welche immer wieder von mehr oder weniger sachverständiger Seite gegen das englische Regime in Indien gerichtet werden, sollte man sich einmal die Frage vorlegen, ob das indische Volk sich in einer besseren ökonomischen Lage befinden oder wenigstens mit seinem Los zufriedener sein würde, wenn die englische Invasion ausgeblieben wäre. Persönliche Zu¬ friedenheit und gute ökonomische Lage sind ja an sich zwei ganz verschiedene Dinge. Ein echter Afghane wird fast immer das ärmliche, aber sreie Leben in seinen rauhen Bergen der glänzendsten Knechtschaft an indischen Fürstenhöfen vorziehen. Für die in dem indischen Tiefland zusammengedrängten Menschen¬ massen ist aber die Nahrungsfrage von so ausschlaggebender Bedeutung, daß jede andere Sorge, jedes andere Interesse dagegen verschwinden muß. „Gib uns Frieden, damit wir unserer Arbeit nachgehen können, damit wir die Früchte unseres Fleißes nicht in Raub und Plünderung verlieren und unsere Götter nach der Weise unserer Väter ehren können," damit hat man eigentlich alles genannt, was die Masse des indischen Volkes von einer guten Regierung er¬ wartet. Wie aber steht es mit der Erfüllung dieser Wünsche in den heute noch von Orientalen regierten Gebieten? Persien z. B. ist sicherlich ein von der Natur reich bedachtes Land. Um zu Glück und Wohlstand zu gelangen fehlt ihm eigentlich nichts als eine starke und verständige Regierung. Und wie sieht es tatsächlich dort aus? Nicht genug, daß die Regierung nichts für das all¬ gemeine Wohl tut, nicht genug, daß die Bevölkerung unter der Last der ungerechten Steuern, der parteilichen und bestechlichen Gerichte seufzt; nicht einmal die primitivsten Forderungen staatlichen Lebens werden erfüllt. Ungestraft ziehen Räuberbanden durch das Land, plündern und brandschatzen die Dörfer, martern und töten die Einwohner. Sind die Räuber endlich abgezogen, so kommen (beileibe nicht früher) die Regierungstruppen und plündern und brand¬ schatzen noch einmal, „weil die Bevölkerung den Räubern Vorschub geleistet hat." In den ewigen Kriegen und Aufständen werden die sogenannten Schlachten zu lächerlichen, unbedeutenden Schießereien; die Hauptsache bei der Kriegführung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/570>, abgerufen am 22.07.2024.