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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Presse und Z <YZ Strafgesetzbuches

so dürfen wir sicherlich in diesem energischen Schritt zur Tat ein wesentliches
Verdienst des Staatsministers Freiherrn von Schorlemer-Lieser erblicken.

Mehr denn je drängen sowohl unsere weltpolitische Stellung wie unsere
innere wirtschaftliche Entwicklung vom Agrarstaat zum Industriestaat mit ihren
gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen zwischen Stadt und Land zu einer kraft¬
vollen heimischen Kolonisationspolitik. Wenn irgendwo das neuerdings etwas
abgebrauchte Wort "großzügig" am Platze ist, so ist es hier auf dem Felde
der inneren Kolonisation. Das neudeutsche Siedlungswerk muß von großen
Gesichtspunkten geleitet und von einem einheitlichen Willen getragen werden.
Eine großzügige innere Kolonisation bedeutet die sichere Untermauerung unserer
deutschen Zukunft.




Die Presse und § ^93 Strafgesetzbuches
Landrichter Dr. Lrnst Sontag vonin

Das unlängst in einer Privatklage des Herausgebers der Neuen Gesell¬
schaftlichen Korrespondenz gegen den Chefredakteur der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung ergangene Urteil, durch welches letzterer wegen Beleidigung, begangen
durch einen Artikel der Norddeutschen Allgemeinen, bestraft worden ist, hat nach
Inhalt und Entstehungsart dieses Artikels wieder einmal die Aufmerksamkeit
auf dieses ewig akute Problem der Grenzen des Presseschutzes bei Wahrnehmung
berechtigter Interessen gelenkt. Die N. A. Z. hatte während der Balkanwirren
einen Artikel veröffentlicht, in welchem es hieß: "die hiesige Börse war heute
ungünstig beeinflußt durch einen Artikel der N. G. K., der sich auf eine .be¬
sonders vorzüglich unterrichtete Seite' beruft". Nach Anführung der in dem
Artikel enthaltenen tatsächlichen Behauptungen, die als unrichtig bezeichnet
wurden, hieß es in dem Artikel der N. A. Z. weiter: "es ist besonders un¬
verantwortlich, durch derartige unlautere Nachrichten die öffentliche Meinung
in einem Augenblick zu beunruhigen, in dem die Regierungen aller Großmächte
ernsthaft bemüht sind, für immerhin schwierige Fragen eine friedliche Lösung
zu finden." -- Der Herausgeber der N. G. K. erblickte hierin den Vorwurf der
unlauteren Verbindung mit der Börse und strengte deshalb die Beleidigungsklage an.

Die Verteidigung des Privatangeklagten ging, soweit sich dies nach den
Zeitungsberichten feststellen läßt, dahin, daß der inkriminierte Artikel von dem
verstorbenen Staatssekretär von Kiderlen-Waechter selbst geschrieben worden sei,
daß dieser ihm, dem Angeklagten, erklärt habe, daß solchen unrichtigen Nach¬
richten, die in so aufgeregter Zeit besonders gefährlich seien, mit Entschiedenheit
entgegengetreten werden müsse, und daß er (der Angeklagte) also die Interessen


Die Presse und Z <YZ Strafgesetzbuches

so dürfen wir sicherlich in diesem energischen Schritt zur Tat ein wesentliches
Verdienst des Staatsministers Freiherrn von Schorlemer-Lieser erblicken.

Mehr denn je drängen sowohl unsere weltpolitische Stellung wie unsere
innere wirtschaftliche Entwicklung vom Agrarstaat zum Industriestaat mit ihren
gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen zwischen Stadt und Land zu einer kraft¬
vollen heimischen Kolonisationspolitik. Wenn irgendwo das neuerdings etwas
abgebrauchte Wort „großzügig" am Platze ist, so ist es hier auf dem Felde
der inneren Kolonisation. Das neudeutsche Siedlungswerk muß von großen
Gesichtspunkten geleitet und von einem einheitlichen Willen getragen werden.
Eine großzügige innere Kolonisation bedeutet die sichere Untermauerung unserer
deutschen Zukunft.




Die Presse und § ^93 Strafgesetzbuches
Landrichter Dr. Lrnst Sontag vonin

Das unlängst in einer Privatklage des Herausgebers der Neuen Gesell¬
schaftlichen Korrespondenz gegen den Chefredakteur der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung ergangene Urteil, durch welches letzterer wegen Beleidigung, begangen
durch einen Artikel der Norddeutschen Allgemeinen, bestraft worden ist, hat nach
Inhalt und Entstehungsart dieses Artikels wieder einmal die Aufmerksamkeit
auf dieses ewig akute Problem der Grenzen des Presseschutzes bei Wahrnehmung
berechtigter Interessen gelenkt. Die N. A. Z. hatte während der Balkanwirren
einen Artikel veröffentlicht, in welchem es hieß: „die hiesige Börse war heute
ungünstig beeinflußt durch einen Artikel der N. G. K., der sich auf eine .be¬
sonders vorzüglich unterrichtete Seite' beruft". Nach Anführung der in dem
Artikel enthaltenen tatsächlichen Behauptungen, die als unrichtig bezeichnet
wurden, hieß es in dem Artikel der N. A. Z. weiter: „es ist besonders un¬
verantwortlich, durch derartige unlautere Nachrichten die öffentliche Meinung
in einem Augenblick zu beunruhigen, in dem die Regierungen aller Großmächte
ernsthaft bemüht sind, für immerhin schwierige Fragen eine friedliche Lösung
zu finden." — Der Herausgeber der N. G. K. erblickte hierin den Vorwurf der
unlauteren Verbindung mit der Börse und strengte deshalb die Beleidigungsklage an.

Die Verteidigung des Privatangeklagten ging, soweit sich dies nach den
Zeitungsberichten feststellen läßt, dahin, daß der inkriminierte Artikel von dem
verstorbenen Staatssekretär von Kiderlen-Waechter selbst geschrieben worden sei,
daß dieser ihm, dem Angeklagten, erklärt habe, daß solchen unrichtigen Nach¬
richten, die in so aufgeregter Zeit besonders gefährlich seien, mit Entschiedenheit
entgegengetreten werden müsse, und daß er (der Angeklagte) also die Interessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/470>, abgerufen am 22.12.2024.