Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] und Feindesland mit Pest- und Cholera¬ Die reine äußere Entwicklung der Tat¬ Wenn wir aber das buddhistische Tat Fassen wir zusammen: Delikte gegen das Den Verbrecher müssen wir von seinem Justiz Schutz dem Rechtsanwaltsstande. Wenn Nun ist aber nach geltendem Recht die Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] und Feindesland mit Pest- und Cholera¬ Die reine äußere Entwicklung der Tat¬ Wenn wir aber das buddhistische Tat Fassen wir zusammen: Delikte gegen das Den Verbrecher müssen wir von seinem Justiz Schutz dem Rechtsanwaltsstande. Wenn Nun ist aber nach geltendem Recht die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325222"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1519" prev="#ID_1518"> und Feindesland mit Pest- und Cholera¬<lb/> bakterien zu besäen, ist auch nicht üblich.<lb/> Beiläufig bemerkt, von einer stets wachsenden<lb/> gegenseitigen Angst, nicht von einer Wandlung<lb/> zu lämmchenhafter Gutmütigkeit, ist der ewige<lb/> Friede zu erhoffen.</p> <p xml:id="ID_1520"> Die reine äußere Entwicklung der Tat¬<lb/> sachen mußte jenen Urinstinkt, der nur die<lb/> Achtung des Menschenlebens in der eigenen<lb/> Sippe kannte, auf immer weitere Kreise aus¬<lb/> dehnen, zum Stammesbewußtsein ausbauen,<lb/> um ihn im Menschhettsgefühl gipfeln zu lassen.<lb/> Hier aber setzen auch seelische Kräfte ein, und<lb/> erheben die Forderung des Instinkts zur<lb/> moralischen Pflicht. Flüchtige Ansätze hierzu<lb/> finden sich im Altertum, wie der Ausspruch<lb/> Epiktets: „Alle Menschen haben die Gottheit<lb/> zum Vater und sind also Brüder", oder der<lb/> des Seneka: „Der Sklave ist vor allem ein<lb/> Mensch." Das Christentum, welches das<lb/> Gebot der Nächstenliebe der Gottesliebe eben¬<lb/> bürtig zur Seite stellt, läßt vor der erhabenen<lb/> Größe des göttlichen Wesens alle menschlichen<lb/> Unterschiede als nichtig verschwinden und<lb/> diktiert mit dem Geheiß der Demut eine<lb/> Gleichheit der Menschen, mit der sich das<lb/> erstarkte Selbstgefühl unserer Zeit nicht be¬<lb/> freunden kann.</p> <p xml:id="ID_1521"> Wenn wir aber das buddhistische Tat<lb/> toan Asi mit einem gewissermaßen dyna¬<lb/> mischen Prinzip ergänzen: „Alles, was ich<lb/> tue, geschieht mir selbst", dann wird jede Er¬<lb/> niedrigung des Mitmenschen zur Erniedrigung<lb/> des eigenen Ich, jedes Verbrechen am Nächsten<lb/> zum Verbrechen an mir selbst, und auch aus<lb/> dem Persönlichkeitskult wächst das Gebot der<lb/> Näckstenliebe.</p> <p xml:id="ID_1522"> Fassen wir zusammen: Delikte gegen das<lb/> Eigentum und Leben des Nebenmenschen er¬<lb/> fordern keinerlei Aufwand an Mut, da unser<lb/> soziales Gefüge nicht auf Physischen Kampf<lb/> eingestellt ist; die Ritterrüstungen sind in die<lb/> Museen gewandert, Wall und Mauern sind<lb/> verschwunden, und nicht besser ist es den<lb/> Kardinaltugenden früherer Zeit, Kraft und<lb/> Mut, ergangen, auch sie mußten in die Rumpel¬<lb/> kammer. Im Hunger nach neuen Idealen<lb/> greifen wir in die Vergangenheit zurück, aber<lb/> solche Wiederbelebungsversuche sind vergeblich,<lb/> die Zukunft wird nicht der blonden Bestie<lb/> gehören.</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1523"> Den Verbrecher müssen wir von seinem<lb/> Piedestal verjagen, die Eigenschaften, die er<lb/> mit dem Helden der Vergangenheit teilen<lb/> soll (auch die Cesare Borgias waren Mörder),<lb/> die Eigenschaften, die ihn zuni Verbrechen<lb/> befähigen sollen, haben ihren sozialen Wert'<lb/> verloren, aber nicht einmal eine melancholische<lb/> Betrachtu»g über den Wandel der Werturteile<lb/> haben wir nötig darüber anzustellen, daß<lb/> Qualitäten, die einmal einem Manne zum<lb/> Fürstenthrone verhalfen, ihn nun ins Zucht¬<lb/> haus bringen, denn der Verbrecher besitzt<lb/> diese Qualitäten nicht. Eine einzige seelische<lb/> Disposition ist zum Verbrechen nötig, eine<lb/> Auflockerung des Instinktlebens, aber nicht<lb/> als geistige Befreiung von der Autorität des<lb/> sittlichen Gebotes und Gefühles, sondern als<lb/> Rückfall in einen atavistischer Menschheits¬<lb/><note type="byline"> Dr. Franz Lißler i</note> zustand. </p> </div> </div> <div n="2"> <head> Justiz</head> <p xml:id="ID_1524"> Schutz dem Rechtsanwaltsstande. Wenn<lb/> der Rechtsanwalt auch nicht, wie der Richter,<lb/> als unmittelbarer Träger der Rechtspflege<lb/> anzusprechen ist, so nimmt er doch in dieser<lb/> einen recht gewichtigen Platz ein. Hieraus<lb/> sollte der Justizverwaltung die Pflicht erwachsen,<lb/> rege darüber zu wachen, daß der Rechts¬<lb/> anwaltsstand an seinem Ansehen keinen Schaden<lb/> erleide; denn dieser Schaden geht zu Lasten<lb/> der deutschen Justiz, beeinträchtigt die gesunde<lb/> Entwicklung der Rechtspflege und muß schlie߬<lb/> lich auch das traditionelle, rückhaltlose Ver¬<lb/> trauen ins Wanken bringen, das der Rechts¬<lb/> pflege in deutschen Landen von jeher gezollt<lb/> worden ist.</p> <p xml:id="ID_1525" next="#ID_1526"> Nun ist aber nach geltendem Recht die<lb/> Justizverwaltung gar nicht in der Lage, sich<lb/> das Ansehen und die Ehre des Anwaltstandes<lb/> gebührend angelegen sein zu lassen. Viel¬<lb/> mehr liegt das Aufsichtsrecht in den Händen<lb/> der Anwaltskammern, die durch die innerhalb<lb/> der einzelnen Oberlandesgerichtsbezirke zuge¬<lb/> lassenen Rechtsanwälte gebildet werden. Die<lb/> Vorstände der Anwaltskammern haben — so<lb/> bestimmt die Rechtsanwaltsordnung — die<lb/> ehrengerichtliche Strafgewalt zu handhaben,<lb/> und sie können im ehrengerichtlichen Verfahren<lb/> folgende Strafen verhängen: Warnung, Ver¬<lb/> weis, Geldstrafe bis zu 3000 Mark und Aus-<lb/> schließung aus der Rechtsanwaltschaft. Auch</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und Feindesland mit Pest- und Cholera¬
bakterien zu besäen, ist auch nicht üblich.
Beiläufig bemerkt, von einer stets wachsenden
gegenseitigen Angst, nicht von einer Wandlung
zu lämmchenhafter Gutmütigkeit, ist der ewige
Friede zu erhoffen.
Die reine äußere Entwicklung der Tat¬
sachen mußte jenen Urinstinkt, der nur die
Achtung des Menschenlebens in der eigenen
Sippe kannte, auf immer weitere Kreise aus¬
dehnen, zum Stammesbewußtsein ausbauen,
um ihn im Menschhettsgefühl gipfeln zu lassen.
Hier aber setzen auch seelische Kräfte ein, und
erheben die Forderung des Instinkts zur
moralischen Pflicht. Flüchtige Ansätze hierzu
finden sich im Altertum, wie der Ausspruch
Epiktets: „Alle Menschen haben die Gottheit
zum Vater und sind also Brüder", oder der
des Seneka: „Der Sklave ist vor allem ein
Mensch." Das Christentum, welches das
Gebot der Nächstenliebe der Gottesliebe eben¬
bürtig zur Seite stellt, läßt vor der erhabenen
Größe des göttlichen Wesens alle menschlichen
Unterschiede als nichtig verschwinden und
diktiert mit dem Geheiß der Demut eine
Gleichheit der Menschen, mit der sich das
erstarkte Selbstgefühl unserer Zeit nicht be¬
freunden kann.
Wenn wir aber das buddhistische Tat
toan Asi mit einem gewissermaßen dyna¬
mischen Prinzip ergänzen: „Alles, was ich
tue, geschieht mir selbst", dann wird jede Er¬
niedrigung des Mitmenschen zur Erniedrigung
des eigenen Ich, jedes Verbrechen am Nächsten
zum Verbrechen an mir selbst, und auch aus
dem Persönlichkeitskult wächst das Gebot der
Näckstenliebe.
Fassen wir zusammen: Delikte gegen das
Eigentum und Leben des Nebenmenschen er¬
fordern keinerlei Aufwand an Mut, da unser
soziales Gefüge nicht auf Physischen Kampf
eingestellt ist; die Ritterrüstungen sind in die
Museen gewandert, Wall und Mauern sind
verschwunden, und nicht besser ist es den
Kardinaltugenden früherer Zeit, Kraft und
Mut, ergangen, auch sie mußten in die Rumpel¬
kammer. Im Hunger nach neuen Idealen
greifen wir in die Vergangenheit zurück, aber
solche Wiederbelebungsversuche sind vergeblich,
die Zukunft wird nicht der blonden Bestie
gehören.
Den Verbrecher müssen wir von seinem
Piedestal verjagen, die Eigenschaften, die er
mit dem Helden der Vergangenheit teilen
soll (auch die Cesare Borgias waren Mörder),
die Eigenschaften, die ihn zuni Verbrechen
befähigen sollen, haben ihren sozialen Wert'
verloren, aber nicht einmal eine melancholische
Betrachtu»g über den Wandel der Werturteile
haben wir nötig darüber anzustellen, daß
Qualitäten, die einmal einem Manne zum
Fürstenthrone verhalfen, ihn nun ins Zucht¬
haus bringen, denn der Verbrecher besitzt
diese Qualitäten nicht. Eine einzige seelische
Disposition ist zum Verbrechen nötig, eine
Auflockerung des Instinktlebens, aber nicht
als geistige Befreiung von der Autorität des
sittlichen Gebotes und Gefühles, sondern als
Rückfall in einen atavistischer Menschheits¬
Dr. Franz Lißler i zustand.
Justiz Schutz dem Rechtsanwaltsstande. Wenn
der Rechtsanwalt auch nicht, wie der Richter,
als unmittelbarer Träger der Rechtspflege
anzusprechen ist, so nimmt er doch in dieser
einen recht gewichtigen Platz ein. Hieraus
sollte der Justizverwaltung die Pflicht erwachsen,
rege darüber zu wachen, daß der Rechts¬
anwaltsstand an seinem Ansehen keinen Schaden
erleide; denn dieser Schaden geht zu Lasten
der deutschen Justiz, beeinträchtigt die gesunde
Entwicklung der Rechtspflege und muß schlie߬
lich auch das traditionelle, rückhaltlose Ver¬
trauen ins Wanken bringen, das der Rechts¬
pflege in deutschen Landen von jeher gezollt
worden ist.
Nun ist aber nach geltendem Recht die
Justizverwaltung gar nicht in der Lage, sich
das Ansehen und die Ehre des Anwaltstandes
gebührend angelegen sein zu lassen. Viel¬
mehr liegt das Aufsichtsrecht in den Händen
der Anwaltskammern, die durch die innerhalb
der einzelnen Oberlandesgerichtsbezirke zuge¬
lassenen Rechtsanwälte gebildet werden. Die
Vorstände der Anwaltskammern haben — so
bestimmt die Rechtsanwaltsordnung — die
ehrengerichtliche Strafgewalt zu handhaben,
und sie können im ehrengerichtlichen Verfahren
folgende Strafen verhängen: Warnung, Ver¬
weis, Geldstrafe bis zu 3000 Mark und Aus-
schließung aus der Rechtsanwaltschaft. Auch
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