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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Arbeiter als literarische Kritiker

rettete die Familie vom sicheren Ruin. Die gewissenhafte Pflichterfüllung aber
war es die Fritz gegen den Bruder mißtrauisch und neidisch machte. In dem
rechtlich denkenden und nur auf das Wohl der Familie und die Ehre des
Hauses bedachten Apollonius sieht er nur den ehrgeizigen und selbstsüchtigen
Streber, der es nur darauf abgesehen hate ihn zu verdrängen. Er, der einst
den Apollonius aus dem Herzen Christianens verdrängte und, um sie dauernd
von einander zu trennen eine Mauer von Lügen zwischen beiden errichtete, sah
nun wie Apollonius im Herzen Christianens immer mehr Raum gewann.
Anstatt nun aber, den Grund hierzu, in sich und sein Verhalten zu suchen,
glaubt er in Apollonius den Uhrheber seines Unglücks zu sehen. Alle seine
Arglist scheiterte jedoch an der Ehrenhaftigkeit des Apollonius und so fiel er
selbst in die Grube die er seinem Bruder gegraben hatte. Der Tod ihres
Mannes machte Christianer frei, aber diese sich so innig liebende Menschen
verehelichten sich nicht und das ist was uns nicht befriedigt, aber Apollonius
blieb sich nur selbst getreu, wenn er die Frau seines Bruders nicht ehelichte,
denn ein Mensch der wie Apollonius nicht nur äußerlich jedes Federchen von
sich entfernte, sondern im Innern ebenso reinlich war hätte es -- nach dem
was vorausgegangen war -- als ein innere Unreinlichkeit empfunden, die Frau
seines Bruders zu ehelichen. Sein Verhältnis zu Chr. blieb d. h. ein Reines.
Apollonius war ein außergewöhnlicher Mensch, deshalb erscheint uns gewöhn¬
lichen Menschen der Schluß außergewöhnlich.

August H.

Die entscheidende Frage wird hier nicht eingehend behandelt, sondern
ziemlich flüchtig abgetan, was vielleicht damit zusammenhängt, daß dieser Hörer
die letzten Abende des Kurses nicht mehr ganz regelmäßig besuchen konnte.
Es fehlt die Lösung des Zwiespaltes zwischen dem "uns nicht befriedigenden"
Schluß und der Tatsache, daß hier das Handeln eines außergewöhnlichen
Menschen geschildert wird, der ein Prinzip bis zur äußersten Konsequenz vertritt.

Die nächste Arbeit erfaßt das Thema richtiger; es ist der erste Aufsatz
den der Verfasser, ein 24 bis 25 Jahre alter Schlosser, überhaupt schrieb, was
man dem Stil nicht anmerkt; recht geschickt ist auch die Gliederung bei aller
Knappheit: zunächst wird kurz die Situation geschildert, dann die Haltung des
Helden aus seinem Charakter entwickelt; am Schluß wird die -- augenscheinlich
auch dem Verfasser des Aufsatzes -- unnatürlich scheinende Lösung erklärt,
freilich nicht mit voller Deutlichkeit; aber die etwas dunklen Worte sollen wohl
heißen: es handelt sich hier nicht um eine bloße Schilderung des Lebens,
sondern um die großen Richtlinien, deren Träger eine Jdealgestalt ist.


2. "Zwischen Himmel und Erde." Ist ein anderer Ausgang des Romans
möglich? Und welcher?

Wohl wäre anzunehmen, daß sich die Beiden, Apollonius und Christiane
nach der Lösung der im Roman gegebenen Wirrnisse bei ihrer Liebe zueinander


Arbeiter als literarische Kritiker

rettete die Familie vom sicheren Ruin. Die gewissenhafte Pflichterfüllung aber
war es die Fritz gegen den Bruder mißtrauisch und neidisch machte. In dem
rechtlich denkenden und nur auf das Wohl der Familie und die Ehre des
Hauses bedachten Apollonius sieht er nur den ehrgeizigen und selbstsüchtigen
Streber, der es nur darauf abgesehen hate ihn zu verdrängen. Er, der einst
den Apollonius aus dem Herzen Christianens verdrängte und, um sie dauernd
von einander zu trennen eine Mauer von Lügen zwischen beiden errichtete, sah
nun wie Apollonius im Herzen Christianens immer mehr Raum gewann.
Anstatt nun aber, den Grund hierzu, in sich und sein Verhalten zu suchen,
glaubt er in Apollonius den Uhrheber seines Unglücks zu sehen. Alle seine
Arglist scheiterte jedoch an der Ehrenhaftigkeit des Apollonius und so fiel er
selbst in die Grube die er seinem Bruder gegraben hatte. Der Tod ihres
Mannes machte Christianer frei, aber diese sich so innig liebende Menschen
verehelichten sich nicht und das ist was uns nicht befriedigt, aber Apollonius
blieb sich nur selbst getreu, wenn er die Frau seines Bruders nicht ehelichte,
denn ein Mensch der wie Apollonius nicht nur äußerlich jedes Federchen von
sich entfernte, sondern im Innern ebenso reinlich war hätte es — nach dem
was vorausgegangen war — als ein innere Unreinlichkeit empfunden, die Frau
seines Bruders zu ehelichen. Sein Verhältnis zu Chr. blieb d. h. ein Reines.
Apollonius war ein außergewöhnlicher Mensch, deshalb erscheint uns gewöhn¬
lichen Menschen der Schluß außergewöhnlich.

August H.

Die entscheidende Frage wird hier nicht eingehend behandelt, sondern
ziemlich flüchtig abgetan, was vielleicht damit zusammenhängt, daß dieser Hörer
die letzten Abende des Kurses nicht mehr ganz regelmäßig besuchen konnte.
Es fehlt die Lösung des Zwiespaltes zwischen dem „uns nicht befriedigenden"
Schluß und der Tatsache, daß hier das Handeln eines außergewöhnlichen
Menschen geschildert wird, der ein Prinzip bis zur äußersten Konsequenz vertritt.

Die nächste Arbeit erfaßt das Thema richtiger; es ist der erste Aufsatz
den der Verfasser, ein 24 bis 25 Jahre alter Schlosser, überhaupt schrieb, was
man dem Stil nicht anmerkt; recht geschickt ist auch die Gliederung bei aller
Knappheit: zunächst wird kurz die Situation geschildert, dann die Haltung des
Helden aus seinem Charakter entwickelt; am Schluß wird die — augenscheinlich
auch dem Verfasser des Aufsatzes — unnatürlich scheinende Lösung erklärt,
freilich nicht mit voller Deutlichkeit; aber die etwas dunklen Worte sollen wohl
heißen: es handelt sich hier nicht um eine bloße Schilderung des Lebens,
sondern um die großen Richtlinien, deren Träger eine Jdealgestalt ist.


2. „Zwischen Himmel und Erde." Ist ein anderer Ausgang des Romans
möglich? Und welcher?

Wohl wäre anzunehmen, daß sich die Beiden, Apollonius und Christiane
nach der Lösung der im Roman gegebenen Wirrnisse bei ihrer Liebe zueinander


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[0328] Arbeiter als literarische Kritiker rettete die Familie vom sicheren Ruin. Die gewissenhafte Pflichterfüllung aber war es die Fritz gegen den Bruder mißtrauisch und neidisch machte. In dem rechtlich denkenden und nur auf das Wohl der Familie und die Ehre des Hauses bedachten Apollonius sieht er nur den ehrgeizigen und selbstsüchtigen Streber, der es nur darauf abgesehen hate ihn zu verdrängen. Er, der einst den Apollonius aus dem Herzen Christianens verdrängte und, um sie dauernd von einander zu trennen eine Mauer von Lügen zwischen beiden errichtete, sah nun wie Apollonius im Herzen Christianens immer mehr Raum gewann. Anstatt nun aber, den Grund hierzu, in sich und sein Verhalten zu suchen, glaubt er in Apollonius den Uhrheber seines Unglücks zu sehen. Alle seine Arglist scheiterte jedoch an der Ehrenhaftigkeit des Apollonius und so fiel er selbst in die Grube die er seinem Bruder gegraben hatte. Der Tod ihres Mannes machte Christianer frei, aber diese sich so innig liebende Menschen verehelichten sich nicht und das ist was uns nicht befriedigt, aber Apollonius blieb sich nur selbst getreu, wenn er die Frau seines Bruders nicht ehelichte, denn ein Mensch der wie Apollonius nicht nur äußerlich jedes Federchen von sich entfernte, sondern im Innern ebenso reinlich war hätte es — nach dem was vorausgegangen war — als ein innere Unreinlichkeit empfunden, die Frau seines Bruders zu ehelichen. Sein Verhältnis zu Chr. blieb d. h. ein Reines. Apollonius war ein außergewöhnlicher Mensch, deshalb erscheint uns gewöhn¬ lichen Menschen der Schluß außergewöhnlich. August H. Die entscheidende Frage wird hier nicht eingehend behandelt, sondern ziemlich flüchtig abgetan, was vielleicht damit zusammenhängt, daß dieser Hörer die letzten Abende des Kurses nicht mehr ganz regelmäßig besuchen konnte. Es fehlt die Lösung des Zwiespaltes zwischen dem „uns nicht befriedigenden" Schluß und der Tatsache, daß hier das Handeln eines außergewöhnlichen Menschen geschildert wird, der ein Prinzip bis zur äußersten Konsequenz vertritt. Die nächste Arbeit erfaßt das Thema richtiger; es ist der erste Aufsatz den der Verfasser, ein 24 bis 25 Jahre alter Schlosser, überhaupt schrieb, was man dem Stil nicht anmerkt; recht geschickt ist auch die Gliederung bei aller Knappheit: zunächst wird kurz die Situation geschildert, dann die Haltung des Helden aus seinem Charakter entwickelt; am Schluß wird die — augenscheinlich auch dem Verfasser des Aufsatzes — unnatürlich scheinende Lösung erklärt, freilich nicht mit voller Deutlichkeit; aber die etwas dunklen Worte sollen wohl heißen: es handelt sich hier nicht um eine bloße Schilderung des Lebens, sondern um die großen Richtlinien, deren Träger eine Jdealgestalt ist. 2. „Zwischen Himmel und Erde." Ist ein anderer Ausgang des Romans möglich? Und welcher? Wohl wäre anzunehmen, daß sich die Beiden, Apollonius und Christiane nach der Lösung der im Roman gegebenen Wirrnisse bei ihrer Liebe zueinander

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/328>, abgerufen am 22.07.2024.