Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] dividualistischer, weniger zur Beharrung ver¬ Die große Frage der gesetzmäßigen Ent¬ Übersetzen wir diese Worte aus der Ter¬ Alle Geschichtsausfassungen früherer Zeiten, -- Unsere Erfahrung ist zu gering, die ge¬ Lindners Betrachtungsweise ist eine Syn¬ Die Welt als Asien und Europa. Der Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] dividualistischer, weniger zur Beharrung ver¬ Die große Frage der gesetzmäßigen Ent¬ Übersetzen wir diese Worte aus der Ter¬ Alle Geschichtsausfassungen früherer Zeiten, — Unsere Erfahrung ist zu gering, die ge¬ Lindners Betrachtungsweise ist eine Syn¬ Die Welt als Asien und Europa. Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325173"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247"> dividualistischer, weniger zur Beharrung ver¬<lb/> anlagt, mit starken, Anpassungsvermögen;<lb/> nur gezwungen beugen sie sich unter die<lb/> staatliche Organisation, ihre Religiosität ist<lb/> vor allem logisch; die dritte Gruppe, die<lb/> Indogermanen (oder besser Jndoeuropäer)<lb/> sind rein individualistisch, daher zur Volks¬<lb/> freiheit geneigt und religiös gefühlsmäßig<lb/> empfindend, mit starkem Anpassungsvermögen.<lb/> Im Laufe der Geschichte hat sich die Be¬<lb/> gabung der Jndoeuropäer als die glück¬<lb/> lichste, erfolgreichste erwiesen, während die chi¬<lb/> nesisch-mongolische und die semitisch-arabische<lb/> Kultur da stehen geblieben sind, wo bei den<lb/> Indogermanen die großartige, nach-mittel-<lb/> alterliche Entwicklung einsetzt.</p> <p xml:id="ID_1249"> Die große Frage der gesetzmäßigen Ent¬<lb/> wicklung der Geschichte, die vor jedem,<lb/> Historiker oder Laien, aufsteigt, wenn er seinen<lb/> Blick auf den ganzen Geschichtsverlauf richtet,<lb/> hat Ranke dahin beantwortet, „daß die<lb/> großen geistigen Tendenzen, welche die Mensch¬<lb/> heit beherrschen, sich bald auseinander er¬<lb/> heben, bald aneinanderreihen. In diesen<lb/> Tendenzen ist aber immer eine bestimmte<lb/> partikuläre Richtung, welche vorwiegt und<lb/> bewirkt, daß die übrigen zurücktreten. . . .<lb/> Wollte man aber im Widerspruch mit der hier<lb/> geäußerten Ansicht annehmen, dieser Fort¬<lb/> schritt bestehe darin, daß in jeder Epoche das<lb/> Leben der Menschheit sich höher potenziert,<lb/> daß also jede Generation die vorhergehende<lb/> vollkommen übertreffe, mithin die letzte allemal<lb/> die bevorzugte, die vorhergehenden aber nur<lb/> die Träger der nachfolgenden wären, so<lb/> würde das eine Ungerechtigkeit der Gottheit<lb/> sein."</p> <p xml:id="ID_1250"> Übersetzen wir diese Worte aus der Ter¬<lb/> minologie Rankes, so kommen wir zu dein<lb/> Grundgedanken der Lindnerschen Geschichts¬<lb/> auffassung, daß das Zusammenwirken der<lb/> „Faktoren der Geschichte", der „Lebensbe-<lb/> lätigungen" — staatliches Leben, Religion,<lb/> Sitte, Recht, Sprache, Kunst undWissenschaft—<lb/> Kultur sei, der Ausgleichungsprozeß dieser<lb/> Lebensformen die Geschichte.</p> <p xml:id="ID_1251" next="#ID_1252"> Alle Geschichtsausfassungen früherer Zeiten,<lb/> die eine Gesetzmäßigkeit annehmen, sind wie<lb/> die heutigen Versuche zeitlich bedingt, ein treff¬<lb/> liches Mittel uni in die Seele einer Epoche ein¬<lb/> zudringen, aber selber nur ein Stück Geschichte.</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1252" prev="#ID_1251"> — Unsere Erfahrung ist zu gering, die ge¬<lb/> schichtliche Entwicklung, die wir überschauen,<lb/> zu kurz, um Gesetze aufstellen zu können, die<lb/> dann auch für die Zukunft gelten müßten. In<lb/> einzelnen Perioden eine gewisse Regelmäßig¬<lb/> keit festzustellen, dürfte eher gelingen, aber<lb/> die für gewisse Lebensbctätigungen geltenden<lb/> Einteilungen Lindners sind keine Dogmen,<lb/> sondern nur regelmäßige Entwicklungsformen,<lb/> die bei dem sich stetig ändernden Gesamt¬<lb/> zustand nie den genau gleichen Verlauf haben.</p> <p xml:id="ID_1253"> Lindners Betrachtungsweise ist eine Syn¬<lb/> these aus der rein psychischen, auf der<lb/> Freiheit des menschlichen Willens beruhenden,<lb/> und der physisch-materialistischen, aus der<lb/> geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaft¬<lb/> lichen Anschauung, und da sie durchweg auf<lb/> empirischem Wege entstanden ist, vermag sie<lb/> uns ein Führer durch die ungeheure Vielheit<lb/> und Vielseitigkeit der Menschheitsgeschichte zu<lb/><note type="byline"> Dr. D. Meyer i</note> Werden. </p> </div> <div n="3"> <head> Die Welt als Asien und Europa.</head> <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Der<lb/> unter dieser Überschrift von Moritz Goldstein<lb/> im vorjährigen 32. Heft der Grenzboten ver¬<lb/> öffentlichte Essay hat mich zu so lebhaftem<lb/> Beifall hingerissen, daß ich mich gedrängt<lb/> fühle, einige Glossen beizufügen. Wenn er<lb/> für die heute herrschende Nasse die Bezeich¬<lb/> nungen Indogermanen, Arier, Germanen ab¬<lb/> lehnt und sie Europäer nennt, so stimme ich<lb/> ihm bei, nur lasse ich das Europäertum nicht<lb/> erst mit der heutigen europäisch-amerikanischen<lb/> Kulturgemeinschaft beginnen; es tritt ja in<lb/> dem Konflikt der Hellenen mit den Persern<lb/> schon deutlich hervor, obwohl die altgriechische<lb/> Kultur unseren Erdteil nicht füllte, sondern<lb/> nur seine südliche Küste, samt der Westasiens<lb/> und einen Teil der nordafrikanischen unisäumte.<lb/> Ja schon aus Homer leuchtet uns der Europäer¬<lb/> geist mit deutlichen arischen oder germanischen<lb/> Charaktcrzügen entgegen. So ist z. B. in:v<lb/> '«^al5,ü-,to, xcii vTreipü^vo 3^.5,v<A «^X>no das<lb/> Wesentliche des Agonistikons, eines der Ele¬<lb/> mente europäischer Überlegenheit, und für<lb/> dieses Wesentliche macht es keinen Unterschied<lb/> aus, ob sich der Wettkämpfer seiner starken<lb/> geschmeidigen Beine oder eines Fahrrads oder<lb/> eines Flugzeugs bedient. Die von der mo¬<lb/> dernen Technik erfundenen Werkzeuge, die das<lb/> menschliche Leben von Grund aus umgestaltet</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0303]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
dividualistischer, weniger zur Beharrung ver¬
anlagt, mit starken, Anpassungsvermögen;
nur gezwungen beugen sie sich unter die
staatliche Organisation, ihre Religiosität ist
vor allem logisch; die dritte Gruppe, die
Indogermanen (oder besser Jndoeuropäer)
sind rein individualistisch, daher zur Volks¬
freiheit geneigt und religiös gefühlsmäßig
empfindend, mit starkem Anpassungsvermögen.
Im Laufe der Geschichte hat sich die Be¬
gabung der Jndoeuropäer als die glück¬
lichste, erfolgreichste erwiesen, während die chi¬
nesisch-mongolische und die semitisch-arabische
Kultur da stehen geblieben sind, wo bei den
Indogermanen die großartige, nach-mittel-
alterliche Entwicklung einsetzt.
Die große Frage der gesetzmäßigen Ent¬
wicklung der Geschichte, die vor jedem,
Historiker oder Laien, aufsteigt, wenn er seinen
Blick auf den ganzen Geschichtsverlauf richtet,
hat Ranke dahin beantwortet, „daß die
großen geistigen Tendenzen, welche die Mensch¬
heit beherrschen, sich bald auseinander er¬
heben, bald aneinanderreihen. In diesen
Tendenzen ist aber immer eine bestimmte
partikuläre Richtung, welche vorwiegt und
bewirkt, daß die übrigen zurücktreten. . . .
Wollte man aber im Widerspruch mit der hier
geäußerten Ansicht annehmen, dieser Fort¬
schritt bestehe darin, daß in jeder Epoche das
Leben der Menschheit sich höher potenziert,
daß also jede Generation die vorhergehende
vollkommen übertreffe, mithin die letzte allemal
die bevorzugte, die vorhergehenden aber nur
die Träger der nachfolgenden wären, so
würde das eine Ungerechtigkeit der Gottheit
sein."
Übersetzen wir diese Worte aus der Ter¬
minologie Rankes, so kommen wir zu dein
Grundgedanken der Lindnerschen Geschichts¬
auffassung, daß das Zusammenwirken der
„Faktoren der Geschichte", der „Lebensbe-
lätigungen" — staatliches Leben, Religion,
Sitte, Recht, Sprache, Kunst undWissenschaft—
Kultur sei, der Ausgleichungsprozeß dieser
Lebensformen die Geschichte.
Alle Geschichtsausfassungen früherer Zeiten,
die eine Gesetzmäßigkeit annehmen, sind wie
die heutigen Versuche zeitlich bedingt, ein treff¬
liches Mittel uni in die Seele einer Epoche ein¬
zudringen, aber selber nur ein Stück Geschichte.
— Unsere Erfahrung ist zu gering, die ge¬
schichtliche Entwicklung, die wir überschauen,
zu kurz, um Gesetze aufstellen zu können, die
dann auch für die Zukunft gelten müßten. In
einzelnen Perioden eine gewisse Regelmäßig¬
keit festzustellen, dürfte eher gelingen, aber
die für gewisse Lebensbctätigungen geltenden
Einteilungen Lindners sind keine Dogmen,
sondern nur regelmäßige Entwicklungsformen,
die bei dem sich stetig ändernden Gesamt¬
zustand nie den genau gleichen Verlauf haben.
Lindners Betrachtungsweise ist eine Syn¬
these aus der rein psychischen, auf der
Freiheit des menschlichen Willens beruhenden,
und der physisch-materialistischen, aus der
geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaft¬
lichen Anschauung, und da sie durchweg auf
empirischem Wege entstanden ist, vermag sie
uns ein Führer durch die ungeheure Vielheit
und Vielseitigkeit der Menschheitsgeschichte zu
Dr. D. Meyer i Werden.
Die Welt als Asien und Europa. Der
unter dieser Überschrift von Moritz Goldstein
im vorjährigen 32. Heft der Grenzboten ver¬
öffentlichte Essay hat mich zu so lebhaftem
Beifall hingerissen, daß ich mich gedrängt
fühle, einige Glossen beizufügen. Wenn er
für die heute herrschende Nasse die Bezeich¬
nungen Indogermanen, Arier, Germanen ab¬
lehnt und sie Europäer nennt, so stimme ich
ihm bei, nur lasse ich das Europäertum nicht
erst mit der heutigen europäisch-amerikanischen
Kulturgemeinschaft beginnen; es tritt ja in
dem Konflikt der Hellenen mit den Persern
schon deutlich hervor, obwohl die altgriechische
Kultur unseren Erdteil nicht füllte, sondern
nur seine südliche Küste, samt der Westasiens
und einen Teil der nordafrikanischen unisäumte.
Ja schon aus Homer leuchtet uns der Europäer¬
geist mit deutlichen arischen oder germanischen
Charaktcrzügen entgegen. So ist z. B. in:v
'«^al5,ü-,to, xcii vTreipü^vo 3^.5,v<A «^X>no das
Wesentliche des Agonistikons, eines der Ele¬
mente europäischer Überlegenheit, und für
dieses Wesentliche macht es keinen Unterschied
aus, ob sich der Wettkämpfer seiner starken
geschmeidigen Beine oder eines Fahrrads oder
eines Flugzeugs bedient. Die von der mo¬
dernen Technik erfundenen Werkzeuge, die das
menschliche Leben von Grund aus umgestaltet
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