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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Erschließung Chinas

In einem Moment, der nach der gesamten Konstellation für unsere welt¬
wirtschaftliche, unsere koloniale Zukunft ein zweifellos hochbedeutsamer ist, schreitet
Hamburg, das alte Kulturzentrum unseres niedersächsischen Nordwestens, unsere
erste und einzigartige Handelsstadt mit ihren weltweiten Verbindungen, zur
Gründung seiner Universität mit ihrem aus hochbewährtem Alten und frisch
sprossenden Neuen verheißungsvoll gepaarten Wesen. Ganz Deutschland harrt
des glücklichen Ausgangs, der Vollendung des wahrhaft großen Planes als einer
nationalen Angelegenheit von weittragender kultureller und politischer Bedeutung.




Deutschland und die Erschließung (Lhinas
v Dr. rer, pol. Max Linde onin

Man muß Werte opfern, um Kräfte
List. zu erzeugen.

! er um 1900 herum sich in einer Buchhandlung eine Karte
von China vorlegen ließ, fand unter den ihm präsentierten eine,
in die der Kartenzeichner eine Anzahl blauer, roter, grüner
Bänder eingezeichnet hatte, die teils von Ost nach West, teils
!von Nord nach Süd liefen und das ganze Reich der Mitte in
sechs breite Streifen zerlegten. Die Bemerkung in einer Ecke der Karte klärte
den Beschauer dahin auf, daß die sechs Landstreifen die englische, französische,
deutsche, amerikanische, russische und japanische "Interessensphäre" darstellen
sollten. Die Grundzüge einer Aufteilung Chinas waren kartographisch demnach
festgelegt; es fehlte indessen nicht mehr und nicht weniger als das Überein¬
kommen der Mächte, an dessen Anerkennung durch die chinesische Regierung
und die Chinesen ernstliche Zweifel kaum berechtigt erschienen. -- Die erwartete
Aufteilung ist nicht gekommen, und seit jenen Jahren, in denen sie nicht nur
bei uns sondern in allen weltwirtschaftlich interessierten Staaten erörtert wurde,
ist mehr als ein Jahrzehnt ins Land gegangen. Heute erscheint uns jene
Aufteilungsidee wie ein Märchen, das gleich allen Märchen in seinem "Es
war einmal ..." den Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen ausdrückt.
Und doch! Wird China staatsrechtlich und territorial bleiben, was es heute
noch ist? Wird das neue Regime sich durchsetzen und wird es ihm gelingen
wenigstens das eigentliche China, seine achtzehn Provinzen, zusammenzuhalten?

China erstreckt sich durch sechsundzwanzig Breitengrade, womit gesagt ist,
daß starke klimatische und folgeweise auch ausgeprägte völkische Gegensätze


Deutschland und die Erschließung Chinas

In einem Moment, der nach der gesamten Konstellation für unsere welt¬
wirtschaftliche, unsere koloniale Zukunft ein zweifellos hochbedeutsamer ist, schreitet
Hamburg, das alte Kulturzentrum unseres niedersächsischen Nordwestens, unsere
erste und einzigartige Handelsstadt mit ihren weltweiten Verbindungen, zur
Gründung seiner Universität mit ihrem aus hochbewährtem Alten und frisch
sprossenden Neuen verheißungsvoll gepaarten Wesen. Ganz Deutschland harrt
des glücklichen Ausgangs, der Vollendung des wahrhaft großen Planes als einer
nationalen Angelegenheit von weittragender kultureller und politischer Bedeutung.




Deutschland und die Erschließung (Lhinas
v Dr. rer, pol. Max Linde onin

Man muß Werte opfern, um Kräfte
List. zu erzeugen.

! er um 1900 herum sich in einer Buchhandlung eine Karte
von China vorlegen ließ, fand unter den ihm präsentierten eine,
in die der Kartenzeichner eine Anzahl blauer, roter, grüner
Bänder eingezeichnet hatte, die teils von Ost nach West, teils
!von Nord nach Süd liefen und das ganze Reich der Mitte in
sechs breite Streifen zerlegten. Die Bemerkung in einer Ecke der Karte klärte
den Beschauer dahin auf, daß die sechs Landstreifen die englische, französische,
deutsche, amerikanische, russische und japanische „Interessensphäre" darstellen
sollten. Die Grundzüge einer Aufteilung Chinas waren kartographisch demnach
festgelegt; es fehlte indessen nicht mehr und nicht weniger als das Überein¬
kommen der Mächte, an dessen Anerkennung durch die chinesische Regierung
und die Chinesen ernstliche Zweifel kaum berechtigt erschienen. — Die erwartete
Aufteilung ist nicht gekommen, und seit jenen Jahren, in denen sie nicht nur
bei uns sondern in allen weltwirtschaftlich interessierten Staaten erörtert wurde,
ist mehr als ein Jahrzehnt ins Land gegangen. Heute erscheint uns jene
Aufteilungsidee wie ein Märchen, das gleich allen Märchen in seinem „Es
war einmal ..." den Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen ausdrückt.
Und doch! Wird China staatsrechtlich und territorial bleiben, was es heute
noch ist? Wird das neue Regime sich durchsetzen und wird es ihm gelingen
wenigstens das eigentliche China, seine achtzehn Provinzen, zusammenzuhalten?

China erstreckt sich durch sechsundzwanzig Breitengrade, womit gesagt ist,
daß starke klimatische und folgeweise auch ausgeprägte völkische Gegensätze


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[0168] Deutschland und die Erschließung Chinas In einem Moment, der nach der gesamten Konstellation für unsere welt¬ wirtschaftliche, unsere koloniale Zukunft ein zweifellos hochbedeutsamer ist, schreitet Hamburg, das alte Kulturzentrum unseres niedersächsischen Nordwestens, unsere erste und einzigartige Handelsstadt mit ihren weltweiten Verbindungen, zur Gründung seiner Universität mit ihrem aus hochbewährtem Alten und frisch sprossenden Neuen verheißungsvoll gepaarten Wesen. Ganz Deutschland harrt des glücklichen Ausgangs, der Vollendung des wahrhaft großen Planes als einer nationalen Angelegenheit von weittragender kultureller und politischer Bedeutung. Deutschland und die Erschließung (Lhinas v Dr. rer, pol. Max Linde onin Man muß Werte opfern, um Kräfte List. zu erzeugen. ! er um 1900 herum sich in einer Buchhandlung eine Karte von China vorlegen ließ, fand unter den ihm präsentierten eine, in die der Kartenzeichner eine Anzahl blauer, roter, grüner Bänder eingezeichnet hatte, die teils von Ost nach West, teils !von Nord nach Süd liefen und das ganze Reich der Mitte in sechs breite Streifen zerlegten. Die Bemerkung in einer Ecke der Karte klärte den Beschauer dahin auf, daß die sechs Landstreifen die englische, französische, deutsche, amerikanische, russische und japanische „Interessensphäre" darstellen sollten. Die Grundzüge einer Aufteilung Chinas waren kartographisch demnach festgelegt; es fehlte indessen nicht mehr und nicht weniger als das Überein¬ kommen der Mächte, an dessen Anerkennung durch die chinesische Regierung und die Chinesen ernstliche Zweifel kaum berechtigt erschienen. — Die erwartete Aufteilung ist nicht gekommen, und seit jenen Jahren, in denen sie nicht nur bei uns sondern in allen weltwirtschaftlich interessierten Staaten erörtert wurde, ist mehr als ein Jahrzehnt ins Land gegangen. Heute erscheint uns jene Aufteilungsidee wie ein Märchen, das gleich allen Märchen in seinem „Es war einmal ..." den Gegensatz zu den tatsächlichen Verhältnissen ausdrückt. Und doch! Wird China staatsrechtlich und territorial bleiben, was es heute noch ist? Wird das neue Regime sich durchsetzen und wird es ihm gelingen wenigstens das eigentliche China, seine achtzehn Provinzen, zusammenzuhalten? China erstreckt sich durch sechsundzwanzig Breitengrade, womit gesagt ist, daß starke klimatische und folgeweise auch ausgeprägte völkische Gegensätze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/168>, abgerufen am 22.12.2024.