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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Genealogie

Ein Artikel des "Semigotha", auf den
noch des näheren eingegangen werden muß,
weil man daran die "genealogische Phantasie"
der Verfasser besonders deutlich erkennen kann,
ist derjenige über die Grafen von Oriola in
der zweiten Abteilung (Grafenklnsse). Ich
mußte mir die Unterlagen zur Beurteilung
erst beschaffen und mit einiger Mühe durch¬
arbeiten. -- Für weitere Kreise ist die Ab¬
stammung dieses ursprünglich Portugiesischen
Geschlechtes aber deshalb von besonderem
Interesse, weil eine Tochter dieses Hauses, die
Gräfin Luise von Oriola, geboren 1824, ge¬
storben 1899, eine langjährige Vertraute und
Palastdame der Kaiserin und Königin Augusta,
der Gemahlin Kaiser Wilhelms des Elster,
gewesen ist und sich auch bei diesem Kaiser
selbst einer besonderen Wertschätzung erfreute.
Der "Semigotha" schreibt über dieses Ge¬
schlecht zunächst in der Überschrift: "(Lobo da
Silveira) Oriola stammen von Leviten (So-
phardimS), Lobo ^ althebräisch Löw,, d, h,
der Stammname Lobo ist sicherlich das por¬
tugiesische verballhornte Lewi (Löwy)." Dann
heißt es im Text: "Rühmen sich selbst ihres
jüdischen Ursprungs und der Abstammung von
König David, also palästinischer Uradel, Kath.
Konvertiert ca. Ausg, 17. Jahrh." Nun folgen
einige Bemerkungen über die Standeserhe¬
bungen und das Wappen und dann lautet
der Text weiter: "Oriola Port. gold. Amschel.
Sind ähnlicher Entstehung wie die Südtiroler
uradl. Gfn. Khuen(burg) laut eigner Fa¬
milientradition einst rabbinische Gelehrte in
Spanien, die über Holland nach Deutschland
kamen. Sie scheinen an das in Portugal
bestandene Ricochombre-Geschlecht der Mar-
auezes d'Alvito, Conde - Barao's d'Oriola
"angeknüpft" zu haben usw." Soweit also
der "Semigotha". Dazu ist nun gleich vor¬
weg mancherlei zu bemerken. Erstens, daß
ich für das Geschlecht Khncn die völlige Un¬
Haltbarkeit der diesbezüglichen Ausführungen
des "Semigotha" in dieser Zeitschrift schon
nachgewiesen habe. Zweitens, daß es eine
begriffliche Unmöglichkeit ist, von "Palästi-

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nischem Umdel" zu sprechen. Drittens, daß
die Mitglieder des Geschlechtes Oriola, ganz
im Gegenteil, eine jüdische Abstammung ihres
Stammes auf das Entschiedenste in Abrede
stellen. Ebenso das Vorhandensein einer da¬
hingehender "Familientradition". Viertens,
und das ist besonders beachtenswert, daß
"Lobo" ein portugiesisches Wort ist und kein
"althebräisches", und daß es nicht "Löwe"
bedeutet, sondern "Wolf" (lateinisch: lupus,
französisch: loup!), worüber daS Wappen,
das u. a. fünf Wölfe zeigt, die "Gelehrten"
des "Semigotha" schon hätte aufklären müssen.
Daß die Grafen von Oriola aus dem Ge¬
schlechte der "Lobo da Silveira" stammen, ist
im übrigen richtig, aber mit der vorstehenden
Feststellung ist der ganzen Schlußfolgerung,
die der "Semigotha" über die angeblich jü¬
dische Abstammung anstellt, schon der Boden
entzogen! Welches ist nun in Wirklichkeit die
Abstammung?

König Alfonso der Dritte von Portugal,
geboren 1210, König 1245, gestorben 1279,
genannt: "Der Wiederhersteller" lM kieswu-
raclor), der erste König von Portugal, der
sich auch "König von Algarbien" (Algarve)
nennen konnte, war zweimal vermählt. Das
erstemal mit Mathilde de Dammartin Com¬
tesse de Boulogne, die er 1263 verstieß, das
zweitemal mit Beatrix de Guzman, einer
natürlichen Tochter des Königs Alfonso des
Zehnten von Castilien und Leon, die ihn
überlebte. Außer einem Sohn erster Ehe
und vielen Kindern zweiter Ehe hat er eine
ganze Anzahl natürlicher Rachkommen gehabt.
Unter letzteren befand sich ein Sohn, von
seinem königlichen Bater in dessen Testament
ausdrücklich als "Mus meus" bezeichnet,
der Martini Alfonso Chicorro hieß. Chicorro
vermählte sich mit Donna Jgnez Louren?o
de Sousa, der Erbtochter des Hauses Sousa.
Sein Sohn Martini Alfonso (II.) und sein
Enkel Murtim Alfonso (III.) nannten sich
deshalb "de Sousa Chicorro", wie das den
althergebrachten Portugiesischen Adclsgepflogeu-
heiten entspricht. Martin: Alfonso (III.) hatte
einen Sohn mit Namen Alfonso M->rei"s
und einen Enkel (Sohn nämlich des letzteren)

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Genealogie

Ein Artikel des „Semigotha", auf den
noch des näheren eingegangen werden muß,
weil man daran die „genealogische Phantasie"
der Verfasser besonders deutlich erkennen kann,
ist derjenige über die Grafen von Oriola in
der zweiten Abteilung (Grafenklnsse). Ich
mußte mir die Unterlagen zur Beurteilung
erst beschaffen und mit einiger Mühe durch¬
arbeiten. — Für weitere Kreise ist die Ab¬
stammung dieses ursprünglich Portugiesischen
Geschlechtes aber deshalb von besonderem
Interesse, weil eine Tochter dieses Hauses, die
Gräfin Luise von Oriola, geboren 1824, ge¬
storben 1899, eine langjährige Vertraute und
Palastdame der Kaiserin und Königin Augusta,
der Gemahlin Kaiser Wilhelms des Elster,
gewesen ist und sich auch bei diesem Kaiser
selbst einer besonderen Wertschätzung erfreute.
Der „Semigotha" schreibt über dieses Ge¬
schlecht zunächst in der Überschrift: „(Lobo da
Silveira) Oriola stammen von Leviten (So-
phardimS), Lobo ^ althebräisch Löw,, d, h,
der Stammname Lobo ist sicherlich das por¬
tugiesische verballhornte Lewi (Löwy)." Dann
heißt es im Text: „Rühmen sich selbst ihres
jüdischen Ursprungs und der Abstammung von
König David, also palästinischer Uradel, Kath.
Konvertiert ca. Ausg, 17. Jahrh." Nun folgen
einige Bemerkungen über die Standeserhe¬
bungen und das Wappen und dann lautet
der Text weiter: „Oriola Port. gold. Amschel.
Sind ähnlicher Entstehung wie die Südtiroler
uradl. Gfn. Khuen(burg) laut eigner Fa¬
milientradition einst rabbinische Gelehrte in
Spanien, die über Holland nach Deutschland
kamen. Sie scheinen an das in Portugal
bestandene Ricochombre-Geschlecht der Mar-
auezes d'Alvito, Conde - Barao's d'Oriola
»angeknüpft« zu haben usw." Soweit also
der „Semigotha". Dazu ist nun gleich vor¬
weg mancherlei zu bemerken. Erstens, daß
ich für das Geschlecht Khncn die völlige Un¬
Haltbarkeit der diesbezüglichen Ausführungen
des „Semigotha" in dieser Zeitschrift schon
nachgewiesen habe. Zweitens, daß es eine
begriffliche Unmöglichkeit ist, von „Palästi-

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nischem Umdel" zu sprechen. Drittens, daß
die Mitglieder des Geschlechtes Oriola, ganz
im Gegenteil, eine jüdische Abstammung ihres
Stammes auf das Entschiedenste in Abrede
stellen. Ebenso das Vorhandensein einer da¬
hingehender „Familientradition". Viertens,
und das ist besonders beachtenswert, daß
„Lobo" ein portugiesisches Wort ist und kein
„althebräisches", und daß es nicht „Löwe"
bedeutet, sondern „Wolf" (lateinisch: lupus,
französisch: loup!), worüber daS Wappen,
das u. a. fünf Wölfe zeigt, die „Gelehrten"
des „Semigotha" schon hätte aufklären müssen.
Daß die Grafen von Oriola aus dem Ge¬
schlechte der „Lobo da Silveira" stammen, ist
im übrigen richtig, aber mit der vorstehenden
Feststellung ist der ganzen Schlußfolgerung,
die der „Semigotha" über die angeblich jü¬
dische Abstammung anstellt, schon der Boden
entzogen! Welches ist nun in Wirklichkeit die
Abstammung?

König Alfonso der Dritte von Portugal,
geboren 1210, König 1245, gestorben 1279,
genannt: „Der Wiederhersteller" lM kieswu-
raclor), der erste König von Portugal, der
sich auch „König von Algarbien" (Algarve)
nennen konnte, war zweimal vermählt. Das
erstemal mit Mathilde de Dammartin Com¬
tesse de Boulogne, die er 1263 verstieß, das
zweitemal mit Beatrix de Guzman, einer
natürlichen Tochter des Königs Alfonso des
Zehnten von Castilien und Leon, die ihn
überlebte. Außer einem Sohn erster Ehe
und vielen Kindern zweiter Ehe hat er eine
ganze Anzahl natürlicher Rachkommen gehabt.
Unter letzteren befand sich ein Sohn, von
seinem königlichen Bater in dessen Testament
ausdrücklich als „Mus meus" bezeichnet,
der Martini Alfonso Chicorro hieß. Chicorro
vermählte sich mit Donna Jgnez Louren?o
de Sousa, der Erbtochter des Hauses Sousa.
Sein Sohn Martini Alfonso (II.) und sein
Enkel Murtim Alfonso (III.) nannten sich
deshalb „de Sousa Chicorro", wie das den
althergebrachten Portugiesischen Adclsgepflogeu-
heiten entspricht. Martin: Alfonso (III.) hatte
einen Sohn mit Namen Alfonso M->rei»s
und einen Enkel (Sohn nämlich des letzteren)

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[0111] Maßgebliches und Unmaßgebliches Genealogie Ein Artikel des „Semigotha", auf den noch des näheren eingegangen werden muß, weil man daran die „genealogische Phantasie" der Verfasser besonders deutlich erkennen kann, ist derjenige über die Grafen von Oriola in der zweiten Abteilung (Grafenklnsse). Ich mußte mir die Unterlagen zur Beurteilung erst beschaffen und mit einiger Mühe durch¬ arbeiten. — Für weitere Kreise ist die Ab¬ stammung dieses ursprünglich Portugiesischen Geschlechtes aber deshalb von besonderem Interesse, weil eine Tochter dieses Hauses, die Gräfin Luise von Oriola, geboren 1824, ge¬ storben 1899, eine langjährige Vertraute und Palastdame der Kaiserin und Königin Augusta, der Gemahlin Kaiser Wilhelms des Elster, gewesen ist und sich auch bei diesem Kaiser selbst einer besonderen Wertschätzung erfreute. Der „Semigotha" schreibt über dieses Ge¬ schlecht zunächst in der Überschrift: „(Lobo da Silveira) Oriola stammen von Leviten (So- phardimS), Lobo ^ althebräisch Löw,, d, h, der Stammname Lobo ist sicherlich das por¬ tugiesische verballhornte Lewi (Löwy)." Dann heißt es im Text: „Rühmen sich selbst ihres jüdischen Ursprungs und der Abstammung von König David, also palästinischer Uradel, Kath. Konvertiert ca. Ausg, 17. Jahrh." Nun folgen einige Bemerkungen über die Standeserhe¬ bungen und das Wappen und dann lautet der Text weiter: „Oriola Port. gold. Amschel. Sind ähnlicher Entstehung wie die Südtiroler uradl. Gfn. Khuen(burg) laut eigner Fa¬ milientradition einst rabbinische Gelehrte in Spanien, die über Holland nach Deutschland kamen. Sie scheinen an das in Portugal bestandene Ricochombre-Geschlecht der Mar- auezes d'Alvito, Conde - Barao's d'Oriola »angeknüpft« zu haben usw." Soweit also der „Semigotha". Dazu ist nun gleich vor¬ weg mancherlei zu bemerken. Erstens, daß ich für das Geschlecht Khncn die völlige Un¬ Haltbarkeit der diesbezüglichen Ausführungen des „Semigotha" in dieser Zeitschrift schon nachgewiesen habe. Zweitens, daß es eine begriffliche Unmöglichkeit ist, von „Palästi- nischem Umdel" zu sprechen. Drittens, daß die Mitglieder des Geschlechtes Oriola, ganz im Gegenteil, eine jüdische Abstammung ihres Stammes auf das Entschiedenste in Abrede stellen. Ebenso das Vorhandensein einer da¬ hingehender „Familientradition". Viertens, und das ist besonders beachtenswert, daß „Lobo" ein portugiesisches Wort ist und kein „althebräisches", und daß es nicht „Löwe" bedeutet, sondern „Wolf" (lateinisch: lupus, französisch: loup!), worüber daS Wappen, das u. a. fünf Wölfe zeigt, die „Gelehrten" des „Semigotha" schon hätte aufklären müssen. Daß die Grafen von Oriola aus dem Ge¬ schlechte der „Lobo da Silveira" stammen, ist im übrigen richtig, aber mit der vorstehenden Feststellung ist der ganzen Schlußfolgerung, die der „Semigotha" über die angeblich jü¬ dische Abstammung anstellt, schon der Boden entzogen! Welches ist nun in Wirklichkeit die Abstammung? König Alfonso der Dritte von Portugal, geboren 1210, König 1245, gestorben 1279, genannt: „Der Wiederhersteller" lM kieswu- raclor), der erste König von Portugal, der sich auch „König von Algarbien" (Algarve) nennen konnte, war zweimal vermählt. Das erstemal mit Mathilde de Dammartin Com¬ tesse de Boulogne, die er 1263 verstieß, das zweitemal mit Beatrix de Guzman, einer natürlichen Tochter des Königs Alfonso des Zehnten von Castilien und Leon, die ihn überlebte. Außer einem Sohn erster Ehe und vielen Kindern zweiter Ehe hat er eine ganze Anzahl natürlicher Rachkommen gehabt. Unter letzteren befand sich ein Sohn, von seinem königlichen Bater in dessen Testament ausdrücklich als „Mus meus" bezeichnet, der Martini Alfonso Chicorro hieß. Chicorro vermählte sich mit Donna Jgnez Louren?o de Sousa, der Erbtochter des Hauses Sousa. Sein Sohn Martini Alfonso (II.) und sein Enkel Murtim Alfonso (III.) nannten sich deshalb „de Sousa Chicorro", wie das den althergebrachten Portugiesischen Adclsgepflogeu- heiten entspricht. Martin: Alfonso (III.) hatte einen Sohn mit Namen Alfonso M->rei»s und einen Enkel (Sohn nämlich des letzteren) 7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/111>, abgerufen am 22.12.2024.