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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Prometheus und Zarathustra

Allerdings -- das Schicksal ist wankelmütig. Man muß sich vor Augen
halten, daß Unbelehrbarkeit gerade auf politischem Gebiet die besten Ideale
verderben kann. Wenn Serbien halsstarrig ist oder Bulgarien doch Furcht
vor dem großen russischen Vetter hätte? Ja, dann bleibt für Österreich-Ungarn
und damit für den Dreibund noch der Ausweg über Rumänien. Es heißt,
die Habsburgische Monarchie habe schon heute ein Militärabkommen mit diesem
Königreich. Dessen Nachbarschaft am Schwarzen Meer läßt, wenn es sich zu
einer wirtschaftspolitischen Union mit dem Dreibund bereit findet, auch den
Verkehrsweg nach Vorderasien finden und Österreich-Ungarn, Rumänien und selbst
ein verstümmeltes Osmanenreich umklammern immer noch den Balkanbund und
setzen ihn schachmatt.




Prometheus und Zarathustra
Dr. Richard Meszlön von Privatdozent

er 1904 erschienenen Spitteler - Broschüre des Musikers Felix
Weingärtner war es vergönnt, den Ruhm des bis dahin ver¬
kannten großen Epikers unserer Zeit mit einem Schlage zu be¬
gründen. Seither wächst die Flut von Spitteler-Büchlein und
Artikeln ständig, ohne deshalb dem schweren Problem dieser Er¬
scheinung näher zu kommen. Alljährlich, so albern das heute bereits erscheint,
wird Spitteler neu entdeckt, aber niemals -- so nötig das wäre -- neu erklärt.
Aus dieser schalen Panegyriker-Literatur ragt eine Abhandlung von Professor
Ragaz (Programm der bündnerischen Kantonschule 1912) als angenehme Aus¬
nahme hervor, eine Ausnahme, wenn nicht was Ergebnis und Schärfe, so doch
was den Ernst der Untersuchung und die Klarheit der Fragestellung betrifft.

Stehen Spittelers "Prometheus und Epimetheus" und Nietzsches "Also
sprach Zarathustra" in einem genetischen Zusammenhang zu einander? Wenn
ja, wie ist dieser beschaffen? Ragaz verfügt weder über das vollständige
Material zur Beantwortung der Frage, noch beherrscht seine Sichtung das vor¬
handene. Einem Chaos der Beweisführung kann nimmermehr Ordnung,
geschweige Sicherheit entnommen werden. Es sei daher gewagt, das gesamte
Für und Wider der Frage in ein dreiteiliges System: historisches, psychologisches
und ästhetisches Beweismaterial zu bringen und kritisch zu überblicken.

1. Das historische Material

Sobald die Ähnlichkeit zwischen den beiden Werken festgestellt ward, wurde
der damals noch kaum gekannte Spitteler mit aller Selbstverständlichkeit in die


Prometheus und Zarathustra

Allerdings — das Schicksal ist wankelmütig. Man muß sich vor Augen
halten, daß Unbelehrbarkeit gerade auf politischem Gebiet die besten Ideale
verderben kann. Wenn Serbien halsstarrig ist oder Bulgarien doch Furcht
vor dem großen russischen Vetter hätte? Ja, dann bleibt für Österreich-Ungarn
und damit für den Dreibund noch der Ausweg über Rumänien. Es heißt,
die Habsburgische Monarchie habe schon heute ein Militärabkommen mit diesem
Königreich. Dessen Nachbarschaft am Schwarzen Meer läßt, wenn es sich zu
einer wirtschaftspolitischen Union mit dem Dreibund bereit findet, auch den
Verkehrsweg nach Vorderasien finden und Österreich-Ungarn, Rumänien und selbst
ein verstümmeltes Osmanenreich umklammern immer noch den Balkanbund und
setzen ihn schachmatt.




Prometheus und Zarathustra
Dr. Richard Meszlön von Privatdozent

er 1904 erschienenen Spitteler - Broschüre des Musikers Felix
Weingärtner war es vergönnt, den Ruhm des bis dahin ver¬
kannten großen Epikers unserer Zeit mit einem Schlage zu be¬
gründen. Seither wächst die Flut von Spitteler-Büchlein und
Artikeln ständig, ohne deshalb dem schweren Problem dieser Er¬
scheinung näher zu kommen. Alljährlich, so albern das heute bereits erscheint,
wird Spitteler neu entdeckt, aber niemals — so nötig das wäre — neu erklärt.
Aus dieser schalen Panegyriker-Literatur ragt eine Abhandlung von Professor
Ragaz (Programm der bündnerischen Kantonschule 1912) als angenehme Aus¬
nahme hervor, eine Ausnahme, wenn nicht was Ergebnis und Schärfe, so doch
was den Ernst der Untersuchung und die Klarheit der Fragestellung betrifft.

Stehen Spittelers „Prometheus und Epimetheus" und Nietzsches „Also
sprach Zarathustra" in einem genetischen Zusammenhang zu einander? Wenn
ja, wie ist dieser beschaffen? Ragaz verfügt weder über das vollständige
Material zur Beantwortung der Frage, noch beherrscht seine Sichtung das vor¬
handene. Einem Chaos der Beweisführung kann nimmermehr Ordnung,
geschweige Sicherheit entnommen werden. Es sei daher gewagt, das gesamte
Für und Wider der Frage in ein dreiteiliges System: historisches, psychologisches
und ästhetisches Beweismaterial zu bringen und kritisch zu überblicken.

1. Das historische Material

Sobald die Ähnlichkeit zwischen den beiden Werken festgestellt ward, wurde
der damals noch kaum gekannte Spitteler mit aller Selbstverständlichkeit in die


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[0308] Prometheus und Zarathustra Allerdings — das Schicksal ist wankelmütig. Man muß sich vor Augen halten, daß Unbelehrbarkeit gerade auf politischem Gebiet die besten Ideale verderben kann. Wenn Serbien halsstarrig ist oder Bulgarien doch Furcht vor dem großen russischen Vetter hätte? Ja, dann bleibt für Österreich-Ungarn und damit für den Dreibund noch der Ausweg über Rumänien. Es heißt, die Habsburgische Monarchie habe schon heute ein Militärabkommen mit diesem Königreich. Dessen Nachbarschaft am Schwarzen Meer läßt, wenn es sich zu einer wirtschaftspolitischen Union mit dem Dreibund bereit findet, auch den Verkehrsweg nach Vorderasien finden und Österreich-Ungarn, Rumänien und selbst ein verstümmeltes Osmanenreich umklammern immer noch den Balkanbund und setzen ihn schachmatt. Prometheus und Zarathustra Dr. Richard Meszlön von Privatdozent er 1904 erschienenen Spitteler - Broschüre des Musikers Felix Weingärtner war es vergönnt, den Ruhm des bis dahin ver¬ kannten großen Epikers unserer Zeit mit einem Schlage zu be¬ gründen. Seither wächst die Flut von Spitteler-Büchlein und Artikeln ständig, ohne deshalb dem schweren Problem dieser Er¬ scheinung näher zu kommen. Alljährlich, so albern das heute bereits erscheint, wird Spitteler neu entdeckt, aber niemals — so nötig das wäre — neu erklärt. Aus dieser schalen Panegyriker-Literatur ragt eine Abhandlung von Professor Ragaz (Programm der bündnerischen Kantonschule 1912) als angenehme Aus¬ nahme hervor, eine Ausnahme, wenn nicht was Ergebnis und Schärfe, so doch was den Ernst der Untersuchung und die Klarheit der Fragestellung betrifft. Stehen Spittelers „Prometheus und Epimetheus" und Nietzsches „Also sprach Zarathustra" in einem genetischen Zusammenhang zu einander? Wenn ja, wie ist dieser beschaffen? Ragaz verfügt weder über das vollständige Material zur Beantwortung der Frage, noch beherrscht seine Sichtung das vor¬ handene. Einem Chaos der Beweisführung kann nimmermehr Ordnung, geschweige Sicherheit entnommen werden. Es sei daher gewagt, das gesamte Für und Wider der Frage in ein dreiteiliges System: historisches, psychologisches und ästhetisches Beweismaterial zu bringen und kritisch zu überblicken. 1. Das historische Material Sobald die Ähnlichkeit zwischen den beiden Werken festgestellt ward, wurde der damals noch kaum gekannte Spitteler mit aller Selbstverständlichkeit in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/308>, abgerufen am 15.01.2025.