Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel Balkankrieg und Dreibund Die Diplomaten sind eigentlich ein bemitleidenswertes Völkchen. Geht Reichsspiegel Balkankrieg und Dreibund Die Diplomaten sind eigentlich ein bemitleidenswertes Völkchen. Geht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322599"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_322400/figures/grenzboten_341895_322400_322599_000.jpg"/><lb/> </div> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Balkankrieg und Dreibund</head><lb/> <p xml:id="ID_918"> Die Diplomaten sind eigentlich ein bemitleidenswertes Völkchen. Geht<lb/> irgendwo einmal eine internationale Freundschaft aus den Fugen, so werden sie<lb/> dafür gescholten, gibt es Krieg, so ist daran entweder ihre „Trottelhaftigkeit"<lb/> oder ihre „Perfidie" schuld; geschieht aber einmal etwas Erfreuliches, kommt es<lb/> zu einer die öffentliche Meinung schmeichelnden Entscheidung, dann haben sie<lb/> keinen Teil daran: es ist „trotz ihrer" gut gegangen! Die Völker, die Nationen,<lb/> die zwingenden historischen Vorgänge, .neuerdings auch die Bankiers und die<lb/> Börsen, — sie alle haben ihr hervorragendes Verdienst am glücklichen Verlauf<lb/> irgendeiner Entwicklung, — aber beileibe nicht die Diplomaten. Sollte in<lb/> dieser Tatsache nicht der innerste psychologische Grund dafür zu finden sein,<lb/> daß es so wenig wirklich gute Diplomaten gibt? Sollte nicht gerade die<lb/> ungeheure Selbstverleugnung, die dem Diplomaten auf Schritt und Tritt auf¬<lb/> erlegt wird, der Grund für viele sein, dem Beruf den Rücken zu kehren noch<lb/> ehe sie recht dazu gekommen ihre Fähigkeiten zu beweisen? Der moderne<lb/> Diplomatenberuf ist dem des forschenden Gelehrten vielleicht der ähnlichste: wie<lb/> dieser die ihn bewegenden Probleme erst im emsig arbeitenden Hirn ausreifen<lb/> lassen muß, ehe er das Ergebnis der Öffentlichkeit übergeben darf ohne darauf<lb/> zu rechnen, freudig begrüßt oder gar verstanden zu werden, so durchforscht der<lb/> tüchtige Diplomat in einsamer Denkarbeit die Realitäten des internationalen<lb/> Lebens, um die Aufgaben, die die Nation ihm stellt — nicht im demokratischen<lb/> Sinne, sondern im Sinne historisch begründeter Möglichkeiten — auszuführen.<lb/> Und findet er sich auf der Höhe seiner Aufgaben, so wird der Diplomat<lb/> zum schaffenden Künstler, der mit zarter Keuschheit formt und knetet an den<lb/> politischen Problemen, nur selten beglückt von der Gewißheit, noch persönlich<lb/> den Ruhm ernten zu können, den seine Arbeit verdient. Solch ein Glücklicher<lb/> unter den Diplomaten war Fürst Bismarck, jener vorsichtig wägende und kühn<lb/> zupackende deutsche Staatsmann, der bis zur Reichsgründung stets die Mehr¬<lb/> heit gegen sich hatte. Heute feiern sie ihn wegen seiner sichtbaren Erfolge, aber<lb/> vergessen, daß seine heldenhaftesten Leistungen in der Vorbereitung jener Er¬<lb/> folge liegen, und daß es gerade jene dunklen Jahre sind, die durch das Wort<lb/> Olmütz beschattet werden, in denen die wahre Größe unseres Nationalhelden<lb/> erprobt wurde.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0197]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Balkankrieg und Dreibund
Die Diplomaten sind eigentlich ein bemitleidenswertes Völkchen. Geht
irgendwo einmal eine internationale Freundschaft aus den Fugen, so werden sie
dafür gescholten, gibt es Krieg, so ist daran entweder ihre „Trottelhaftigkeit"
oder ihre „Perfidie" schuld; geschieht aber einmal etwas Erfreuliches, kommt es
zu einer die öffentliche Meinung schmeichelnden Entscheidung, dann haben sie
keinen Teil daran: es ist „trotz ihrer" gut gegangen! Die Völker, die Nationen,
die zwingenden historischen Vorgänge, .neuerdings auch die Bankiers und die
Börsen, — sie alle haben ihr hervorragendes Verdienst am glücklichen Verlauf
irgendeiner Entwicklung, — aber beileibe nicht die Diplomaten. Sollte in
dieser Tatsache nicht der innerste psychologische Grund dafür zu finden sein,
daß es so wenig wirklich gute Diplomaten gibt? Sollte nicht gerade die
ungeheure Selbstverleugnung, die dem Diplomaten auf Schritt und Tritt auf¬
erlegt wird, der Grund für viele sein, dem Beruf den Rücken zu kehren noch
ehe sie recht dazu gekommen ihre Fähigkeiten zu beweisen? Der moderne
Diplomatenberuf ist dem des forschenden Gelehrten vielleicht der ähnlichste: wie
dieser die ihn bewegenden Probleme erst im emsig arbeitenden Hirn ausreifen
lassen muß, ehe er das Ergebnis der Öffentlichkeit übergeben darf ohne darauf
zu rechnen, freudig begrüßt oder gar verstanden zu werden, so durchforscht der
tüchtige Diplomat in einsamer Denkarbeit die Realitäten des internationalen
Lebens, um die Aufgaben, die die Nation ihm stellt — nicht im demokratischen
Sinne, sondern im Sinne historisch begründeter Möglichkeiten — auszuführen.
Und findet er sich auf der Höhe seiner Aufgaben, so wird der Diplomat
zum schaffenden Künstler, der mit zarter Keuschheit formt und knetet an den
politischen Problemen, nur selten beglückt von der Gewißheit, noch persönlich
den Ruhm ernten zu können, den seine Arbeit verdient. Solch ein Glücklicher
unter den Diplomaten war Fürst Bismarck, jener vorsichtig wägende und kühn
zupackende deutsche Staatsmann, der bis zur Reichsgründung stets die Mehr¬
heit gegen sich hatte. Heute feiern sie ihn wegen seiner sichtbaren Erfolge, aber
vergessen, daß seine heldenhaftesten Leistungen in der Vorbereitung jener Er¬
folge liegen, und daß es gerade jene dunklen Jahre sind, die durch das Wort
Olmütz beschattet werden, in denen die wahre Größe unseres Nationalhelden
erprobt wurde.
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