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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Rnies von
(Siebente Fortsetzung)

Seelchen zieht die Kranke an und ruft ihren Neffen, der aus dem Pferdestall
hereinkommt. Sie sagt ihm, daß sie nach Heppenheim fahren werde und zwar
jetzt gleich. Bis gegen Abend sei sie wieder zurück. Der Karl solle unterdessen
einmal zu den Männern und den jungen Burschen gehen, als da seien der Wirbels
Peter und der Geiers Andrees, der Frickels Georg und der Mitscherts Jakob,
von denen man doch gewohnt sei, daß sie den Leuten den Gefallen täten, die
Totenlade auf den Kirchhof zu tragen. Die sollten sich dann für die Nacht bereit
halten. Nicht viel Aufhebens machenI Wenn daS Dorf stille und der Mond auf¬
gegangen sei, könne man die Beerdigung bewerkstelligen.

Dies und das sagt Tante Seelchen, bis man auf einmal vorm Tor auf der
Straße Peitschenknall und gleich darauf im Hausgang eine Stimme hört:

"Habia, habla, sind wir fertig?"

Und dann ist es wieder stille, aber das Tor poltert, und die alte Kutsche
rumpelt in den Hof.

Karl ist beklommen. Wie wird der Vetter Holtner sich gegen ihn verhalten?
Holtners sind reich, man sagt, nach dem Baron droben im Schlosse seien sie die
reichsten Leute im Dorfe, aber sie gehören auch zu den Geschädigten.

Hannes Holtner führt seinen Gaul mit der Kutsche in den Hof. Er ist ein
Hüne von Gestalt. Sein stolzer Gaul ruckt den Kopf auf. Da haben die beiden
gleiche Höhe. Im Dorfe wollten sie ihm einmal den Spitznamen "Die Hopfen¬
stange" geben. Da sagte er ihnen, sie sollten das nur schön bleiben lassen, denn
er habe auch in der Breite so viel, daß es zur Länge passe. Und dieser Hüne
sagt zu dem Sohne des Selbstmörders mit einer Stimme, die ein Stückfaß zum
Resonanzboden zu haben scheint:

,,G' Morje, Bub, wo ist deine Tante, die Seite?"

Dabei leuchtet aus seinem glattrasierten Gesichte eine ehrliche Freundlichkeit,
die keine Hintergedanken hat. Karl wird es ganz warm ums Herz, und er ant¬
wortet ein übers andere Mal:

"El, drin ist sie, Vetter Holtner, drin ist sie, Vetter Holtner, drin ist sie;
geht nur hinein, Vetter Holtner!"




Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Rnies von
(Siebente Fortsetzung)

Seelchen zieht die Kranke an und ruft ihren Neffen, der aus dem Pferdestall
hereinkommt. Sie sagt ihm, daß sie nach Heppenheim fahren werde und zwar
jetzt gleich. Bis gegen Abend sei sie wieder zurück. Der Karl solle unterdessen
einmal zu den Männern und den jungen Burschen gehen, als da seien der Wirbels
Peter und der Geiers Andrees, der Frickels Georg und der Mitscherts Jakob,
von denen man doch gewohnt sei, daß sie den Leuten den Gefallen täten, die
Totenlade auf den Kirchhof zu tragen. Die sollten sich dann für die Nacht bereit
halten. Nicht viel Aufhebens machenI Wenn daS Dorf stille und der Mond auf¬
gegangen sei, könne man die Beerdigung bewerkstelligen.

Dies und das sagt Tante Seelchen, bis man auf einmal vorm Tor auf der
Straße Peitschenknall und gleich darauf im Hausgang eine Stimme hört:

„Habia, habla, sind wir fertig?"

Und dann ist es wieder stille, aber das Tor poltert, und die alte Kutsche
rumpelt in den Hof.

Karl ist beklommen. Wie wird der Vetter Holtner sich gegen ihn verhalten?
Holtners sind reich, man sagt, nach dem Baron droben im Schlosse seien sie die
reichsten Leute im Dorfe, aber sie gehören auch zu den Geschädigten.

Hannes Holtner führt seinen Gaul mit der Kutsche in den Hof. Er ist ein
Hüne von Gestalt. Sein stolzer Gaul ruckt den Kopf auf. Da haben die beiden
gleiche Höhe. Im Dorfe wollten sie ihm einmal den Spitznamen „Die Hopfen¬
stange" geben. Da sagte er ihnen, sie sollten das nur schön bleiben lassen, denn
er habe auch in der Breite so viel, daß es zur Länge passe. Und dieser Hüne
sagt zu dem Sohne des Selbstmörders mit einer Stimme, die ein Stückfaß zum
Resonanzboden zu haben scheint:

,,G' Morje, Bub, wo ist deine Tante, die Seite?"

Dabei leuchtet aus seinem glattrasierten Gesichte eine ehrliche Freundlichkeit,
die keine Hintergedanken hat. Karl wird es ganz warm ums Herz, und er ant¬
wortet ein übers andere Mal:

„El, drin ist sie, Vetter Holtner, drin ist sie, Vetter Holtner, drin ist sie;
geht nur hinein, Vetter Holtner!"


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[0137] [Abbildung] Aarl Walzer Lin Roman Richard Rnies von (Siebente Fortsetzung) Seelchen zieht die Kranke an und ruft ihren Neffen, der aus dem Pferdestall hereinkommt. Sie sagt ihm, daß sie nach Heppenheim fahren werde und zwar jetzt gleich. Bis gegen Abend sei sie wieder zurück. Der Karl solle unterdessen einmal zu den Männern und den jungen Burschen gehen, als da seien der Wirbels Peter und der Geiers Andrees, der Frickels Georg und der Mitscherts Jakob, von denen man doch gewohnt sei, daß sie den Leuten den Gefallen täten, die Totenlade auf den Kirchhof zu tragen. Die sollten sich dann für die Nacht bereit halten. Nicht viel Aufhebens machenI Wenn daS Dorf stille und der Mond auf¬ gegangen sei, könne man die Beerdigung bewerkstelligen. Dies und das sagt Tante Seelchen, bis man auf einmal vorm Tor auf der Straße Peitschenknall und gleich darauf im Hausgang eine Stimme hört: „Habia, habla, sind wir fertig?" Und dann ist es wieder stille, aber das Tor poltert, und die alte Kutsche rumpelt in den Hof. Karl ist beklommen. Wie wird der Vetter Holtner sich gegen ihn verhalten? Holtners sind reich, man sagt, nach dem Baron droben im Schlosse seien sie die reichsten Leute im Dorfe, aber sie gehören auch zu den Geschädigten. Hannes Holtner führt seinen Gaul mit der Kutsche in den Hof. Er ist ein Hüne von Gestalt. Sein stolzer Gaul ruckt den Kopf auf. Da haben die beiden gleiche Höhe. Im Dorfe wollten sie ihm einmal den Spitznamen „Die Hopfen¬ stange" geben. Da sagte er ihnen, sie sollten das nur schön bleiben lassen, denn er habe auch in der Breite so viel, daß es zur Länge passe. Und dieser Hüne sagt zu dem Sohne des Selbstmörders mit einer Stimme, die ein Stückfaß zum Resonanzboden zu haben scheint: ,,G' Morje, Bub, wo ist deine Tante, die Seite?" Dabei leuchtet aus seinem glattrasierten Gesichte eine ehrliche Freundlichkeit, die keine Hintergedanken hat. Karl wird es ganz warm ums Herz, und er ant¬ wortet ein übers andere Mal: „El, drin ist sie, Vetter Holtner, drin ist sie, Vetter Holtner, drin ist sie; geht nur hinein, Vetter Holtner!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/137>, abgerufen am 15.01.2025.