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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Humanismus (S. 353 f.) mit ihren wichtigen
Unterschieden. Interessante Vergleiche zwischen
der Art, wie Krumbacher und wie Wilamowitz
charakterisiert, bieten die Schilderungen des
Nonnos (S. 287 und 349) und des Johannes
Chrysostomos (S. 29S und 338). -- Daß
KrumbacherS Stellung gegen die "klassizistische
Unnatur, altertümliche Dunkelheit und den
gezierten Bombast" in der modernen griechi¬
schen Literatur, die er auch hier (S. 366) zu
entschiedenem Ausdruck bringt und die übrigens
Wackernagel teilt (S. 390), bei den Griechen
selbst schärfsten Widerspruch gefunden hat,
dürste bekannt sein.

"Die griechische Sprache" behandelt Jakob
Wackernagel, der sich allzu bescheiden nur
einen "Berichterstatter" nennt: auch von ihm
ist der Stoff meisterhaft bezwungen worden,
und auch hier wieder erweckt die Mög¬
lichkeit, z. B. die Schilderung des Atti-
zismus durch Wackernagel mit seiner Charak¬
terisierung durch Wilamowitz vergleichen zu
können, besonderes Interesse (S. 219 und 389).

Und nun zum Lateinischen! Voran steht
Leos "Römische Literatur des Altertums".
Aus dieser unübertrefflichen Darstellung will
ich nur die Zeichnung etwa Ciceros, Caesars
und Vergils und die Bemerkungen über die
Eigenart der literarischen Kultur der Römer
hervorheben: jedes weitere Lob erübrigt sich.

In feinster Formgestaltung schildert sodann
Norden "Die Lateinische Literatur im Über¬
gang vom Altertum zum Mittelalter". Wer
nach dem Lesen der Charakteristik Augustins
(S. 601 ff.) nicht sogleich die "Lonkessiones"
zu lesen oder wieder zu lesen begehrt, dem
ist nicht zu helfen. Nur ein Wider¬
spruch werde gegen Norden laut: doch
nicht alle Humanisten "vermochten, von
dem Glanz der wiedererstandenen antiken
Welt geblendet, überall anderswo nur Nacht
und Chaos zu erkennen"; es gab unter den
deutschen Humanisten so manchen, der die
sonnenbeschienene Gegenwart nicht vergaß
über der Antike, darunter vor allen Niko-
demus Frischlin (f 1690), der des Vater¬
landes Macht und Herrlichkeit ebenso Preise
wie das Altertum.

Den Abschluß bildet Skutsch mit seiner
"Lateinischen Sprache". Auch hier kosten wir
die reifste Frucht der Arbeit eines Meisters.

[Spaltenumbruch]

Trotzdem Skutsch die geringsten Ansprüche
an die Sachkenntnis seiner Leser zu machen er¬
klärt: "Ich habe geglaubt, bei denen, die über¬
haupt dergleichen lesen, einige Sprachkenntnis
-- mindestens die der lateinischen Formen --
voraussetzen zu dürfen" und die Darstellung
daher sehr schlicht ist, gräbt er so tief und bietet so¬
viel Anregung auch dem Philologen, daß gerade
dieser den Abriß mit besonderem Nutzen lesen
wird, zumal weder die "Geschichte der latei¬
nischen Sprache" von Stolz (Leipzig, Göschen)
noch gar Welses "Charakteristik der lateinischen
Sprache" ihm genügen dürften. -- Einen
Hinweis gestatte ich mir auch hier, der trotz
seiner Geringfügigkeit nicht fehlen soll: latei¬
nische Verbindungen mit "mente", aus denen
"die eigentümlichen romanischen Adverbial¬
bildungen auf "neue" hergeleitet werden
können, finden wir vereinzelt sogar schon im
ersten vorchristlichen Jahrhundert (so bei
Catull 8,11: "obstinata mente", Vergil,
Am. IX 292: "percusss mente", Obid,
Fast. I 534 "caelesti mente") und sehen
daran, wie bereits in republikanischer Zeit
"der Strom lebendiger Sprache gegen die
Eisdecke der Literatur schlägt und sie hier
und da bereits überflutet".

Schauen wir zurück auf das große Werk,
das in seiner Bedeutung zu erfassen soeben
versucht ward, so geschieht es voll An¬
erkennung und Dankbarkeit und in der Über¬
zeugung, daß eS nicht zum geringsten ein
Verdienst jener sechs Männer ist, wenn die
alten Sprachen wieder richtiger eingeschätzt
werden, wenn ihnen der bedeutungsvolle
Anteil an der Weltkultur nicht geschmälert
wird und wenn manch einer spürt, dnß auch
für die Antike jenes tiefsinnige Wort Lilien-
crons geprägt ist:

"Ein dunkler Flammenmantel deckt die Zeit,
Still leuchtet drüber die Unsterblichkeit."

ZValther Ianell
Vorgeschichte

Die deutsche Vorgeschichte eine hervor¬
ragend nationale Wissenschaft. Von Professor
or. Gustaf Kossinna. Mit 157 Abbildungen
im Text. Würzburg, Kabitzsch 1912.

In den Grenzboten 1911 Ur. 20 habe
ich über die Gründung der deutschen Gesell¬
schaft für Vorgeschichte berichtet und im all-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Humanismus (S. 353 f.) mit ihren wichtigen
Unterschieden. Interessante Vergleiche zwischen
der Art, wie Krumbacher und wie Wilamowitz
charakterisiert, bieten die Schilderungen des
Nonnos (S. 287 und 349) und des Johannes
Chrysostomos (S. 29S und 338). — Daß
KrumbacherS Stellung gegen die „klassizistische
Unnatur, altertümliche Dunkelheit und den
gezierten Bombast" in der modernen griechi¬
schen Literatur, die er auch hier (S. 366) zu
entschiedenem Ausdruck bringt und die übrigens
Wackernagel teilt (S. 390), bei den Griechen
selbst schärfsten Widerspruch gefunden hat,
dürste bekannt sein.

„Die griechische Sprache" behandelt Jakob
Wackernagel, der sich allzu bescheiden nur
einen „Berichterstatter" nennt: auch von ihm
ist der Stoff meisterhaft bezwungen worden,
und auch hier wieder erweckt die Mög¬
lichkeit, z. B. die Schilderung des Atti-
zismus durch Wackernagel mit seiner Charak¬
terisierung durch Wilamowitz vergleichen zu
können, besonderes Interesse (S. 219 und 389).

Und nun zum Lateinischen! Voran steht
Leos „Römische Literatur des Altertums".
Aus dieser unübertrefflichen Darstellung will
ich nur die Zeichnung etwa Ciceros, Caesars
und Vergils und die Bemerkungen über die
Eigenart der literarischen Kultur der Römer
hervorheben: jedes weitere Lob erübrigt sich.

In feinster Formgestaltung schildert sodann
Norden „Die Lateinische Literatur im Über¬
gang vom Altertum zum Mittelalter". Wer
nach dem Lesen der Charakteristik Augustins
(S. 601 ff.) nicht sogleich die „Lonkessiones"
zu lesen oder wieder zu lesen begehrt, dem
ist nicht zu helfen. Nur ein Wider¬
spruch werde gegen Norden laut: doch
nicht alle Humanisten „vermochten, von
dem Glanz der wiedererstandenen antiken
Welt geblendet, überall anderswo nur Nacht
und Chaos zu erkennen"; es gab unter den
deutschen Humanisten so manchen, der die
sonnenbeschienene Gegenwart nicht vergaß
über der Antike, darunter vor allen Niko-
demus Frischlin (f 1690), der des Vater¬
landes Macht und Herrlichkeit ebenso Preise
wie das Altertum.

Den Abschluß bildet Skutsch mit seiner
„Lateinischen Sprache". Auch hier kosten wir
die reifste Frucht der Arbeit eines Meisters.

[Spaltenumbruch]

Trotzdem Skutsch die geringsten Ansprüche
an die Sachkenntnis seiner Leser zu machen er¬
klärt: „Ich habe geglaubt, bei denen, die über¬
haupt dergleichen lesen, einige Sprachkenntnis
— mindestens die der lateinischen Formen —
voraussetzen zu dürfen" und die Darstellung
daher sehr schlicht ist, gräbt er so tief und bietet so¬
viel Anregung auch dem Philologen, daß gerade
dieser den Abriß mit besonderem Nutzen lesen
wird, zumal weder die „Geschichte der latei¬
nischen Sprache" von Stolz (Leipzig, Göschen)
noch gar Welses „Charakteristik der lateinischen
Sprache" ihm genügen dürften. — Einen
Hinweis gestatte ich mir auch hier, der trotz
seiner Geringfügigkeit nicht fehlen soll: latei¬
nische Verbindungen mit „mente", aus denen
„die eigentümlichen romanischen Adverbial¬
bildungen auf „neue" hergeleitet werden
können, finden wir vereinzelt sogar schon im
ersten vorchristlichen Jahrhundert (so bei
Catull 8,11: „obstinata mente", Vergil,
Am. IX 292: „percusss mente", Obid,
Fast. I 534 „caelesti mente") und sehen
daran, wie bereits in republikanischer Zeit
„der Strom lebendiger Sprache gegen die
Eisdecke der Literatur schlägt und sie hier
und da bereits überflutet".

Schauen wir zurück auf das große Werk,
das in seiner Bedeutung zu erfassen soeben
versucht ward, so geschieht es voll An¬
erkennung und Dankbarkeit und in der Über¬
zeugung, daß eS nicht zum geringsten ein
Verdienst jener sechs Männer ist, wenn die
alten Sprachen wieder richtiger eingeschätzt
werden, wenn ihnen der bedeutungsvolle
Anteil an der Weltkultur nicht geschmälert
wird und wenn manch einer spürt, dnß auch
für die Antike jenes tiefsinnige Wort Lilien-
crons geprägt ist:

„Ein dunkler Flammenmantel deckt die Zeit,
Still leuchtet drüber die Unsterblichkeit."

ZValther Ianell
Vorgeschichte

Die deutsche Vorgeschichte eine hervor¬
ragend nationale Wissenschaft. Von Professor
or. Gustaf Kossinna. Mit 157 Abbildungen
im Text. Würzburg, Kabitzsch 1912.

In den Grenzboten 1911 Ur. 20 habe
ich über die Gründung der deutschen Gesell¬
schaft für Vorgeschichte berichtet und im all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/638>, abgerufen am 29.06.2024.