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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Städtische Mnsterlichtbildbühne"

physik sollte man sich nicht verhehlen: auch sie will versuchen, Probleme zu
lösen mit den Mitteln der Vernunft. die über jeder Vernunft sind.

Das Christentum wäre gewiß nicht möglich gewesen ohne Plato: aber
mir scheint, daß Plato von Protagoras mehr gelernt hat, als er zugeben
wollte, und daß es dessen Schule war, die ihn zu dem fruchtbarsten Philo¬
sophen gemacht hat, nämlich zu einem Philosophen, der genau wußte, daß er
eine Dichtung von Begriffen gab, einen Mythos, etwas, das mehr zu den
alten Tragödien gehört, zu den Erzählungen von Prometheus, Orest, Dionysos
und Ödipus, oder zu den Religionen, etwa so, daß seine Werke ein geistiges
Eleusis darstellen: unsere modernen Metaphysiker wären gewiß schwerwiegender,
wenn sie leichter und ernster, wenn sie heiterer wären.




Städtische Musterlichtbildbühnen
Ihre Bedeutung für die Reform des Rinematograxhenrvesens, für Volks- und
Jugenderziehung
Dr. N). warst art- von Oberlehrer

le Schäden, um deretwillen eine der genialsten Erfindungen unserer
Zeit, der Kinematograph, in Verruf geraten ist, haben sich haupt¬
sächlich auf zwei Gebieten geltend gemacht, auf kulturellen und
auf wirtschaftlichem.

In die "Lichtspielhäuser" eingedrungen, könnte der Kine¬
matograph ein Mittel zur Befriedigung einer gesunden Schaulust und zugleich
ein Mittel zu gefälliger Belehrung sein. Statt dessen aber ist er heute nur ein
Mittel zur Befriedigung der Sensationslust der Masse und aller ihr verwandten
niedrigen Instinkte; statt mitzuwirken bei einer zielbewußter Volks- und Jugend¬
erziehung bewirkt er heute vielmehr weit häufiger eine Volks- und Jugend¬
verführung.

Und auf wirtschaftlichem Gebiete machen sich die Schäden, die mit der
ungeheuern und schnellen Entwicklung der Filmindustrie einerseits, und mit dem
Emporwnchern der Kinematographentheater anderseits, verbunden sind, sogar in
doppelter Beziehung schwer fühlbar. Speziell unsere nationale Volkswirtschaft
muß es bedauern, daß der Filmmarkt vorläufig noch von der ausländischen,
der französischen Filmindustrie vor allem beherrscht wird; aber auch italienische,
dänische, englische und amerikanische Firmen verfügen über so große Hilfsmittel,
über ein so großes Geschick und eine so große Feinfühligkeit für den Ungeschmack


Städtische Mnsterlichtbildbühne»

physik sollte man sich nicht verhehlen: auch sie will versuchen, Probleme zu
lösen mit den Mitteln der Vernunft. die über jeder Vernunft sind.

Das Christentum wäre gewiß nicht möglich gewesen ohne Plato: aber
mir scheint, daß Plato von Protagoras mehr gelernt hat, als er zugeben
wollte, und daß es dessen Schule war, die ihn zu dem fruchtbarsten Philo¬
sophen gemacht hat, nämlich zu einem Philosophen, der genau wußte, daß er
eine Dichtung von Begriffen gab, einen Mythos, etwas, das mehr zu den
alten Tragödien gehört, zu den Erzählungen von Prometheus, Orest, Dionysos
und Ödipus, oder zu den Religionen, etwa so, daß seine Werke ein geistiges
Eleusis darstellen: unsere modernen Metaphysiker wären gewiß schwerwiegender,
wenn sie leichter und ernster, wenn sie heiterer wären.




Städtische Musterlichtbildbühnen
Ihre Bedeutung für die Reform des Rinematograxhenrvesens, für Volks- und
Jugenderziehung
Dr. N). warst art- von Oberlehrer

le Schäden, um deretwillen eine der genialsten Erfindungen unserer
Zeit, der Kinematograph, in Verruf geraten ist, haben sich haupt¬
sächlich auf zwei Gebieten geltend gemacht, auf kulturellen und
auf wirtschaftlichem.

In die „Lichtspielhäuser" eingedrungen, könnte der Kine¬
matograph ein Mittel zur Befriedigung einer gesunden Schaulust und zugleich
ein Mittel zu gefälliger Belehrung sein. Statt dessen aber ist er heute nur ein
Mittel zur Befriedigung der Sensationslust der Masse und aller ihr verwandten
niedrigen Instinkte; statt mitzuwirken bei einer zielbewußter Volks- und Jugend¬
erziehung bewirkt er heute vielmehr weit häufiger eine Volks- und Jugend¬
verführung.

Und auf wirtschaftlichem Gebiete machen sich die Schäden, die mit der
ungeheuern und schnellen Entwicklung der Filmindustrie einerseits, und mit dem
Emporwnchern der Kinematographentheater anderseits, verbunden sind, sogar in
doppelter Beziehung schwer fühlbar. Speziell unsere nationale Volkswirtschaft
muß es bedauern, daß der Filmmarkt vorläufig noch von der ausländischen,
der französischen Filmindustrie vor allem beherrscht wird; aber auch italienische,
dänische, englische und amerikanische Firmen verfügen über so große Hilfsmittel,
über ein so großes Geschick und eine so große Feinfühligkeit für den Ungeschmack


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[0613] Städtische Mnsterlichtbildbühne» physik sollte man sich nicht verhehlen: auch sie will versuchen, Probleme zu lösen mit den Mitteln der Vernunft. die über jeder Vernunft sind. Das Christentum wäre gewiß nicht möglich gewesen ohne Plato: aber mir scheint, daß Plato von Protagoras mehr gelernt hat, als er zugeben wollte, und daß es dessen Schule war, die ihn zu dem fruchtbarsten Philo¬ sophen gemacht hat, nämlich zu einem Philosophen, der genau wußte, daß er eine Dichtung von Begriffen gab, einen Mythos, etwas, das mehr zu den alten Tragödien gehört, zu den Erzählungen von Prometheus, Orest, Dionysos und Ödipus, oder zu den Religionen, etwa so, daß seine Werke ein geistiges Eleusis darstellen: unsere modernen Metaphysiker wären gewiß schwerwiegender, wenn sie leichter und ernster, wenn sie heiterer wären. Städtische Musterlichtbildbühnen Ihre Bedeutung für die Reform des Rinematograxhenrvesens, für Volks- und Jugenderziehung Dr. N). warst art- von Oberlehrer le Schäden, um deretwillen eine der genialsten Erfindungen unserer Zeit, der Kinematograph, in Verruf geraten ist, haben sich haupt¬ sächlich auf zwei Gebieten geltend gemacht, auf kulturellen und auf wirtschaftlichem. In die „Lichtspielhäuser" eingedrungen, könnte der Kine¬ matograph ein Mittel zur Befriedigung einer gesunden Schaulust und zugleich ein Mittel zu gefälliger Belehrung sein. Statt dessen aber ist er heute nur ein Mittel zur Befriedigung der Sensationslust der Masse und aller ihr verwandten niedrigen Instinkte; statt mitzuwirken bei einer zielbewußter Volks- und Jugend¬ erziehung bewirkt er heute vielmehr weit häufiger eine Volks- und Jugend¬ verführung. Und auf wirtschaftlichem Gebiete machen sich die Schäden, die mit der ungeheuern und schnellen Entwicklung der Filmindustrie einerseits, und mit dem Emporwnchern der Kinematographentheater anderseits, verbunden sind, sogar in doppelter Beziehung schwer fühlbar. Speziell unsere nationale Volkswirtschaft muß es bedauern, daß der Filmmarkt vorläufig noch von der ausländischen, der französischen Filmindustrie vor allem beherrscht wird; aber auch italienische, dänische, englische und amerikanische Firmen verfügen über so große Hilfsmittel, über ein so großes Geschick und eine so große Feinfühligkeit für den Ungeschmack

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/613>, abgerufen am 22.07.2024.