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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zu wenig auf ein ruhiges Einwirken, ein
stilles Wachsen- und Gewährenlassen gestellt
wird. "Der Schüler wird nach seinen ein¬
zelnen Leistungen wie nach dem gesamten
Stande seines Wissens kontrolliert und immer
wieder kontrolliert, und die beständig erneute
Pflicht zu Prüfen und zu zensieren, nimmt
einen großen Teil der Zeit und der Tätigkeit
des Lehrers in Anspruch, ja sie zwingt ihm
geradezu schematische äußerliche Wertmesser,
wie z. B, das Extemporale, in die Hand,
weil er keine Zeit findet, durch ruhige und
allmählich gesammelte Beobachtung sich ein
tieferes Urteil zu bilden." Und in bezug auf
die Disziplin in der Schule hebt Lehmann
sehr wahr hervor, daß der Gehorsam, als
einzige Pflicht des Schülers aufgefaßt, ihn
zwingt, andere Verpflichtungen zu verletzen,
die seinem Gefühl natürlicher und dringender
erscheinen müssen, und daß Moral und Dis¬
ziplin nicht immer zusammenfallen. Der
Lehrer sollte deshalb nicht in jedem Verstoß
gegen die Disziplin sofort Unredlichkeit und
Betrug erblicken. "Er wird vieles, wenn
auch entschieden, so doch ruhig und vielleicht
in humoristischer Form ablehnen, was jetzt
mit einem Aufwands von sittlicher Entrüstung
gestraft wird, der zu dem Vergehen in keinem Ver¬
hältnis steht." Alles in allem: "Mehr Inter¬
esse und Leben in den Stunden und dafür
weniger disziplinarischer Zwang, mehr un¬
mittelbare Beteiligung jedes einzelnen Schü¬
lers und dafür weniger Aufsicht und Kontrolle."

DaS sind alles goldene Worte, wie denn
überhaupt das ganze Werk, vor allem für
die Lehrer an höheren Schulen, aber, be¬
sonders in dem ersten Teil, auch für die Lehrer
an allen anderen Schulen die wertvollsten
Winke und Anregungen enthält und ohne
Voreingenommenheit den verschiedenen päda¬
gogischen Problemen ins Auge schaut, so daß
man wünschen und hoffen muß, daß es zu
breitester und tiefster Wirkung gelange.

Prof. Dr. Butte
Drama und Theater
LieVeskampf 1 "30 und Schaubühne 1670.
Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte
des siebzehnten Jahrhunderts. Bon Werner
Richter (Palaestra I^XXVlll). Berlin, Mayer
u. Müller, 1910. IX und 420 Seiten.
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Die Geschichte des deutschen Theaters im
siebzehnten Jahrhundert scheint mit der Karte
von Afrika wetteifern zu "vollen, denn immer
mehr schwinden die leeren Stellen und machen
positiven Angaben Platz. Unsere Kenntnis der
Tatsachen, der Persönlichkeiten, der feineren
Zusammenhänge wächst und die vorliegende
Arbeit eines ungemein belesenen Anfängers
fördert sie wieder um ein bedeutendes Stück.
Es gelang ihm nicht nur die romanischen
Quellen des "Liebeskampfes" aufzudecken, wo¬
durch wir den Unterschied zwischen dieser und
der voraufgegangenen Sammlung von 1620
verstehen lernen, er fand überdies in Breslau
sieben Szenare von Dramen, die uns den
merkwürdigen Johann Christ. Hellmann näher¬
rücken. Richter besitzt aber auch die Gabe,
das einzelne zu allgemeineren Schlüssen zu
benutzen, und so begnügt er sich nicht mit den
Nachweisen der Quellen, sondern verwendet
sie zu einer Aufklärung über das Verhältnis
von Banden-, Jesuiten-, Kunstdrama und
Oper. Die an sich wertvollen Stifte werden
zum Mosaikbild zusammengesetzt und, wenn
es auch Fragment bleiben muß, weil so viel
Material noch unzugänglich in den Bibliotheken
und Archiven ruht, so fällt es doch viel reicher
aus als das bisher bekannte. Lieblingsmotive,
gern gebrauchte Theatereffekte treten hervor,
die Mischungen des dramatischen Charakters
werden klarer, selbst die einzelnen Dramatiker
oder besser Theatraliker von damals gewinnen
ein schärferes Gesicht. Freilich war es nicht
möglich, alles in einer anmutigen Form dar¬
zustellen, die Inhaltsangaben nehmen einen
breiten Raum ein, handelt es sich doch meist
um schwer aufzutreibende Drucke oder gar
um Handschriften; aber Richter war auch in
dieser Hinsicht bemüht, gewissermaßen Rettungs¬
inseln zu schaffen, von denen aus man das
Vorüberwogon etwas ruhiger überschauen
kann. Jedenfalls führte er sich mit dieser
Arbeit glücklich ein und bedeutet einen Gewinn
für die Wissenschaft. Näher auf die Art und die
Resultate der Untersuchung einzugehen ist hier
freilich nicht der Ort.

Prof. Richard Maria Werner-
Bernard Shaw: Dramatische Werke. Aus¬
wahl in drei Bänden. S. Fischer Verlag,
Berlin 1911.
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zu wenig auf ein ruhiges Einwirken, ein
stilles Wachsen- und Gewährenlassen gestellt
wird. „Der Schüler wird nach seinen ein¬
zelnen Leistungen wie nach dem gesamten
Stande seines Wissens kontrolliert und immer
wieder kontrolliert, und die beständig erneute
Pflicht zu Prüfen und zu zensieren, nimmt
einen großen Teil der Zeit und der Tätigkeit
des Lehrers in Anspruch, ja sie zwingt ihm
geradezu schematische äußerliche Wertmesser,
wie z. B, das Extemporale, in die Hand,
weil er keine Zeit findet, durch ruhige und
allmählich gesammelte Beobachtung sich ein
tieferes Urteil zu bilden." Und in bezug auf
die Disziplin in der Schule hebt Lehmann
sehr wahr hervor, daß der Gehorsam, als
einzige Pflicht des Schülers aufgefaßt, ihn
zwingt, andere Verpflichtungen zu verletzen,
die seinem Gefühl natürlicher und dringender
erscheinen müssen, und daß Moral und Dis¬
ziplin nicht immer zusammenfallen. Der
Lehrer sollte deshalb nicht in jedem Verstoß
gegen die Disziplin sofort Unredlichkeit und
Betrug erblicken. „Er wird vieles, wenn
auch entschieden, so doch ruhig und vielleicht
in humoristischer Form ablehnen, was jetzt
mit einem Aufwands von sittlicher Entrüstung
gestraft wird, der zu dem Vergehen in keinem Ver¬
hältnis steht." Alles in allem: „Mehr Inter¬
esse und Leben in den Stunden und dafür
weniger disziplinarischer Zwang, mehr un¬
mittelbare Beteiligung jedes einzelnen Schü¬
lers und dafür weniger Aufsicht und Kontrolle."

DaS sind alles goldene Worte, wie denn
überhaupt das ganze Werk, vor allem für
die Lehrer an höheren Schulen, aber, be¬
sonders in dem ersten Teil, auch für die Lehrer
an allen anderen Schulen die wertvollsten
Winke und Anregungen enthält und ohne
Voreingenommenheit den verschiedenen päda¬
gogischen Problemen ins Auge schaut, so daß
man wünschen und hoffen muß, daß es zu
breitester und tiefster Wirkung gelange.

Prof. Dr. Butte
Drama und Theater
LieVeskampf 1 «30 und Schaubühne 1670.
Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte
des siebzehnten Jahrhunderts. Bon Werner
Richter (Palaestra I^XXVlll). Berlin, Mayer
u. Müller, 1910. IX und 420 Seiten.
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Die Geschichte des deutschen Theaters im
siebzehnten Jahrhundert scheint mit der Karte
von Afrika wetteifern zu »vollen, denn immer
mehr schwinden die leeren Stellen und machen
positiven Angaben Platz. Unsere Kenntnis der
Tatsachen, der Persönlichkeiten, der feineren
Zusammenhänge wächst und die vorliegende
Arbeit eines ungemein belesenen Anfängers
fördert sie wieder um ein bedeutendes Stück.
Es gelang ihm nicht nur die romanischen
Quellen des „Liebeskampfes" aufzudecken, wo¬
durch wir den Unterschied zwischen dieser und
der voraufgegangenen Sammlung von 1620
verstehen lernen, er fand überdies in Breslau
sieben Szenare von Dramen, die uns den
merkwürdigen Johann Christ. Hellmann näher¬
rücken. Richter besitzt aber auch die Gabe,
das einzelne zu allgemeineren Schlüssen zu
benutzen, und so begnügt er sich nicht mit den
Nachweisen der Quellen, sondern verwendet
sie zu einer Aufklärung über das Verhältnis
von Banden-, Jesuiten-, Kunstdrama und
Oper. Die an sich wertvollen Stifte werden
zum Mosaikbild zusammengesetzt und, wenn
es auch Fragment bleiben muß, weil so viel
Material noch unzugänglich in den Bibliotheken
und Archiven ruht, so fällt es doch viel reicher
aus als das bisher bekannte. Lieblingsmotive,
gern gebrauchte Theatereffekte treten hervor,
die Mischungen des dramatischen Charakters
werden klarer, selbst die einzelnen Dramatiker
oder besser Theatraliker von damals gewinnen
ein schärferes Gesicht. Freilich war es nicht
möglich, alles in einer anmutigen Form dar¬
zustellen, die Inhaltsangaben nehmen einen
breiten Raum ein, handelt es sich doch meist
um schwer aufzutreibende Drucke oder gar
um Handschriften; aber Richter war auch in
dieser Hinsicht bemüht, gewissermaßen Rettungs¬
inseln zu schaffen, von denen aus man das
Vorüberwogon etwas ruhiger überschauen
kann. Jedenfalls führte er sich mit dieser
Arbeit glücklich ein und bedeutet einen Gewinn
für die Wissenschaft. Näher auf die Art und die
Resultate der Untersuchung einzugehen ist hier
freilich nicht der Ort.

Prof. Richard Maria Werner-
Bernard Shaw: Dramatische Werke. Aus¬
wahl in drei Bänden. S. Fischer Verlag,
Berlin 1911.
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[0538] Maßgebliches und Unmaßgebliches zu wenig auf ein ruhiges Einwirken, ein stilles Wachsen- und Gewährenlassen gestellt wird. „Der Schüler wird nach seinen ein¬ zelnen Leistungen wie nach dem gesamten Stande seines Wissens kontrolliert und immer wieder kontrolliert, und die beständig erneute Pflicht zu Prüfen und zu zensieren, nimmt einen großen Teil der Zeit und der Tätigkeit des Lehrers in Anspruch, ja sie zwingt ihm geradezu schematische äußerliche Wertmesser, wie z. B, das Extemporale, in die Hand, weil er keine Zeit findet, durch ruhige und allmählich gesammelte Beobachtung sich ein tieferes Urteil zu bilden." Und in bezug auf die Disziplin in der Schule hebt Lehmann sehr wahr hervor, daß der Gehorsam, als einzige Pflicht des Schülers aufgefaßt, ihn zwingt, andere Verpflichtungen zu verletzen, die seinem Gefühl natürlicher und dringender erscheinen müssen, und daß Moral und Dis¬ ziplin nicht immer zusammenfallen. Der Lehrer sollte deshalb nicht in jedem Verstoß gegen die Disziplin sofort Unredlichkeit und Betrug erblicken. „Er wird vieles, wenn auch entschieden, so doch ruhig und vielleicht in humoristischer Form ablehnen, was jetzt mit einem Aufwands von sittlicher Entrüstung gestraft wird, der zu dem Vergehen in keinem Ver¬ hältnis steht." Alles in allem: „Mehr Inter¬ esse und Leben in den Stunden und dafür weniger disziplinarischer Zwang, mehr un¬ mittelbare Beteiligung jedes einzelnen Schü¬ lers und dafür weniger Aufsicht und Kontrolle." DaS sind alles goldene Worte, wie denn überhaupt das ganze Werk, vor allem für die Lehrer an höheren Schulen, aber, be¬ sonders in dem ersten Teil, auch für die Lehrer an allen anderen Schulen die wertvollsten Winke und Anregungen enthält und ohne Voreingenommenheit den verschiedenen päda¬ gogischen Problemen ins Auge schaut, so daß man wünschen und hoffen muß, daß es zu breitester und tiefster Wirkung gelange. Prof. Dr. Butte Drama und Theater LieVeskampf 1 «30 und Schaubühne 1670. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. Bon Werner Richter (Palaestra I^XXVlll). Berlin, Mayer u. Müller, 1910. IX und 420 Seiten. Die Geschichte des deutschen Theaters im siebzehnten Jahrhundert scheint mit der Karte von Afrika wetteifern zu »vollen, denn immer mehr schwinden die leeren Stellen und machen positiven Angaben Platz. Unsere Kenntnis der Tatsachen, der Persönlichkeiten, der feineren Zusammenhänge wächst und die vorliegende Arbeit eines ungemein belesenen Anfängers fördert sie wieder um ein bedeutendes Stück. Es gelang ihm nicht nur die romanischen Quellen des „Liebeskampfes" aufzudecken, wo¬ durch wir den Unterschied zwischen dieser und der voraufgegangenen Sammlung von 1620 verstehen lernen, er fand überdies in Breslau sieben Szenare von Dramen, die uns den merkwürdigen Johann Christ. Hellmann näher¬ rücken. Richter besitzt aber auch die Gabe, das einzelne zu allgemeineren Schlüssen zu benutzen, und so begnügt er sich nicht mit den Nachweisen der Quellen, sondern verwendet sie zu einer Aufklärung über das Verhältnis von Banden-, Jesuiten-, Kunstdrama und Oper. Die an sich wertvollen Stifte werden zum Mosaikbild zusammengesetzt und, wenn es auch Fragment bleiben muß, weil so viel Material noch unzugänglich in den Bibliotheken und Archiven ruht, so fällt es doch viel reicher aus als das bisher bekannte. Lieblingsmotive, gern gebrauchte Theatereffekte treten hervor, die Mischungen des dramatischen Charakters werden klarer, selbst die einzelnen Dramatiker oder besser Theatraliker von damals gewinnen ein schärferes Gesicht. Freilich war es nicht möglich, alles in einer anmutigen Form dar¬ zustellen, die Inhaltsangaben nehmen einen breiten Raum ein, handelt es sich doch meist um schwer aufzutreibende Drucke oder gar um Handschriften; aber Richter war auch in dieser Hinsicht bemüht, gewissermaßen Rettungs¬ inseln zu schaffen, von denen aus man das Vorüberwogon etwas ruhiger überschauen kann. Jedenfalls führte er sich mit dieser Arbeit glücklich ein und bedeutet einen Gewinn für die Wissenschaft. Näher auf die Art und die Resultate der Untersuchung einzugehen ist hier freilich nicht der Ort. Prof. Richard Maria Werner- Bernard Shaw: Dramatische Werke. Aus¬ wahl in drei Bänden. S. Fischer Verlag, Berlin 1911.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/538>, abgerufen am 29.06.2024.