Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Knies von
(Zweite Fortsetzung)
4.

Die Kinder draußen haben sich verlaufen. Etliche ziehen hinter einem
Schornsteinfeger her und singen den Spottvers:

Als sie aber sehen, daß sich an dem Schmiedehaus das Tor öffnet, rennen
sie wieder dorthin. Karl kümmert sich nicht um ihre neugierigen Blicke und geht
an ihnen vorbei durch die Untergasse, dann die steile Berggasse hinauf, die auf
die gerade Gasse stößt. Von der Ecke hat man nicht mehr weit zuni Schloß, wo
den Krankenschwestern noch aus den Tagen des letzten Herzogs von Dalberg ein
Flügel eingeräumt ist für Wohnung und Kleinkinderschule. Man muß durch das
schöne kunstgeschmiedete Tor, wenn man hinauf will zu den Nonnen, die den ersten
Stock inne haben, während die Wohnung gleicher Erde dem Pförtner dient.

Karl öffnet das kreischende Eisentor und tritt ein. Er hört den Schlo߬
pförtner, der nebenbei noch Schuster ist, sein Leder klopfen. Es schallt laut und
echomäßig, denn die Stuben sind schon eher Säle. Dann geht er die ausgetretenen
Stufen der steinernen Vortreppe hinauf, durch den geräumigen Flur und über die
von den Nonnen sauber gefegte Holzstiege.

Oben befällt ihn eine Beklommenheit. Zum erstenmal seit den Tagen seiner
frühesten Kindheit ist er wieder einmal da heraufgestiegen. Vor dem Glasabschluß
bleibt er stehen und verpustet seine Beklommenheit. Ganz will sie aber nicht
weichen. Zaghaft greift er nach dem Glockenzug, der in einem Kreuz aus starkem
Eisenblech als Griff endet. Bei der Berührung des kalten Metalles erschrickt er
und zieht die Hand wieder zurück. Er bekommt Herzklopfen.

Nun hört er drinnen Schritte, die sich der Glastüre nähern. Rasch zieht er
jetzt die Glocke.

Es wird geöffnet.

Eine Nonne erscheint in dem Spalt. Schwarze Kleider, darüber eine blaue
Hausschürze gebunden. Um den Hals einen weißen brettsteif gestärkten breiten
Kragen. Auch die Stirne ist durch einen gestärkten Leinwandstreifen verdeckt,
ebenso ist es mit den Wangen bis zu den Backenknochen.




Aarl Walzer
Lin Roman
Richard Knies von
(Zweite Fortsetzung)
4.

Die Kinder draußen haben sich verlaufen. Etliche ziehen hinter einem
Schornsteinfeger her und singen den Spottvers:

Als sie aber sehen, daß sich an dem Schmiedehaus das Tor öffnet, rennen
sie wieder dorthin. Karl kümmert sich nicht um ihre neugierigen Blicke und geht
an ihnen vorbei durch die Untergasse, dann die steile Berggasse hinauf, die auf
die gerade Gasse stößt. Von der Ecke hat man nicht mehr weit zuni Schloß, wo
den Krankenschwestern noch aus den Tagen des letzten Herzogs von Dalberg ein
Flügel eingeräumt ist für Wohnung und Kleinkinderschule. Man muß durch das
schöne kunstgeschmiedete Tor, wenn man hinauf will zu den Nonnen, die den ersten
Stock inne haben, während die Wohnung gleicher Erde dem Pförtner dient.

Karl öffnet das kreischende Eisentor und tritt ein. Er hört den Schlo߬
pförtner, der nebenbei noch Schuster ist, sein Leder klopfen. Es schallt laut und
echomäßig, denn die Stuben sind schon eher Säle. Dann geht er die ausgetretenen
Stufen der steinernen Vortreppe hinauf, durch den geräumigen Flur und über die
von den Nonnen sauber gefegte Holzstiege.

Oben befällt ihn eine Beklommenheit. Zum erstenmal seit den Tagen seiner
frühesten Kindheit ist er wieder einmal da heraufgestiegen. Vor dem Glasabschluß
bleibt er stehen und verpustet seine Beklommenheit. Ganz will sie aber nicht
weichen. Zaghaft greift er nach dem Glockenzug, der in einem Kreuz aus starkem
Eisenblech als Griff endet. Bei der Berührung des kalten Metalles erschrickt er
und zieht die Hand wieder zurück. Er bekommt Herzklopfen.

Nun hört er drinnen Schritte, die sich der Glastüre nähern. Rasch zieht er
jetzt die Glocke.

Es wird geöffnet.

Eine Nonne erscheint in dem Spalt. Schwarze Kleider, darüber eine blaue
Hausschürze gebunden. Um den Hals einen weißen brettsteif gestärkten breiten
Kragen. Auch die Stirne ist durch einen gestärkten Leinwandstreifen verdeckt,
ebenso ist es mit den Wangen bis zu den Backenknochen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322266"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321746/figures/grenzboten_341895_321746_322266_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aarl Walzer<lb/>
Lin Roman<lb/><note type="byline"> Richard Knies</note> von<lb/>
(Zweite Fortsetzung)<lb/>
4.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2217"> Die Kinder draußen haben sich verlaufen. Etliche ziehen hinter einem<lb/>
Schornsteinfeger her und singen den Spottvers:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_12" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2218"> Als sie aber sehen, daß sich an dem Schmiedehaus das Tor öffnet, rennen<lb/>
sie wieder dorthin. Karl kümmert sich nicht um ihre neugierigen Blicke und geht<lb/>
an ihnen vorbei durch die Untergasse, dann die steile Berggasse hinauf, die auf<lb/>
die gerade Gasse stößt. Von der Ecke hat man nicht mehr weit zuni Schloß, wo<lb/>
den Krankenschwestern noch aus den Tagen des letzten Herzogs von Dalberg ein<lb/>
Flügel eingeräumt ist für Wohnung und Kleinkinderschule. Man muß durch das<lb/>
schöne kunstgeschmiedete Tor, wenn man hinauf will zu den Nonnen, die den ersten<lb/>
Stock inne haben, während die Wohnung gleicher Erde dem Pförtner dient.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2219"> Karl öffnet das kreischende Eisentor und tritt ein. Er hört den Schlo߬<lb/>
pförtner, der nebenbei noch Schuster ist, sein Leder klopfen. Es schallt laut und<lb/>
echomäßig, denn die Stuben sind schon eher Säle. Dann geht er die ausgetretenen<lb/>
Stufen der steinernen Vortreppe hinauf, durch den geräumigen Flur und über die<lb/>
von den Nonnen sauber gefegte Holzstiege.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2220"> Oben befällt ihn eine Beklommenheit. Zum erstenmal seit den Tagen seiner<lb/>
frühesten Kindheit ist er wieder einmal da heraufgestiegen. Vor dem Glasabschluß<lb/>
bleibt er stehen und verpustet seine Beklommenheit. Ganz will sie aber nicht<lb/>
weichen. Zaghaft greift er nach dem Glockenzug, der in einem Kreuz aus starkem<lb/>
Eisenblech als Griff endet. Bei der Berührung des kalten Metalles erschrickt er<lb/>
und zieht die Hand wieder zurück. Er bekommt Herzklopfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2221"> Nun hört er drinnen Schritte, die sich der Glastüre nähern. Rasch zieht er<lb/>
jetzt die Glocke.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2222"> Es wird geöffnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2223"> Eine Nonne erscheint in dem Spalt. Schwarze Kleider, darüber eine blaue<lb/>
Hausschürze gebunden. Um den Hals einen weißen brettsteif gestärkten breiten<lb/>
Kragen. Auch die Stirne ist durch einen gestärkten Leinwandstreifen verdeckt,<lb/>
ebenso ist es mit den Wangen bis zu den Backenknochen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] [Abbildung] Aarl Walzer Lin Roman Richard Knies von (Zweite Fortsetzung) 4. Die Kinder draußen haben sich verlaufen. Etliche ziehen hinter einem Schornsteinfeger her und singen den Spottvers: Als sie aber sehen, daß sich an dem Schmiedehaus das Tor öffnet, rennen sie wieder dorthin. Karl kümmert sich nicht um ihre neugierigen Blicke und geht an ihnen vorbei durch die Untergasse, dann die steile Berggasse hinauf, die auf die gerade Gasse stößt. Von der Ecke hat man nicht mehr weit zuni Schloß, wo den Krankenschwestern noch aus den Tagen des letzten Herzogs von Dalberg ein Flügel eingeräumt ist für Wohnung und Kleinkinderschule. Man muß durch das schöne kunstgeschmiedete Tor, wenn man hinauf will zu den Nonnen, die den ersten Stock inne haben, während die Wohnung gleicher Erde dem Pförtner dient. Karl öffnet das kreischende Eisentor und tritt ein. Er hört den Schlo߬ pförtner, der nebenbei noch Schuster ist, sein Leder klopfen. Es schallt laut und echomäßig, denn die Stuben sind schon eher Säle. Dann geht er die ausgetretenen Stufen der steinernen Vortreppe hinauf, durch den geräumigen Flur und über die von den Nonnen sauber gefegte Holzstiege. Oben befällt ihn eine Beklommenheit. Zum erstenmal seit den Tagen seiner frühesten Kindheit ist er wieder einmal da heraufgestiegen. Vor dem Glasabschluß bleibt er stehen und verpustet seine Beklommenheit. Ganz will sie aber nicht weichen. Zaghaft greift er nach dem Glockenzug, der in einem Kreuz aus starkem Eisenblech als Griff endet. Bei der Berührung des kalten Metalles erschrickt er und zieht die Hand wieder zurück. Er bekommt Herzklopfen. Nun hört er drinnen Schritte, die sich der Glastüre nähern. Rasch zieht er jetzt die Glocke. Es wird geöffnet. Eine Nonne erscheint in dem Spalt. Schwarze Kleider, darüber eine blaue Hausschürze gebunden. Um den Hals einen weißen brettsteif gestärkten breiten Kragen. Auch die Stirne ist durch einen gestärkten Leinwandstreifen verdeckt, ebenso ist es mit den Wangen bis zu den Backenknochen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/519>, abgerufen am 22.07.2024.