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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der Homer der Bauern

Gasthof zur Nolterschlucht, von der Jelde gemeint hatte, sie habe mehrBlut undLeben
unter einem Fingernagel, als Wieschen in ihrem ganzen bleichsüchtig blassen Gesicht.

Wieschen sah im Geiste des Florentin Gestalt neben diese treten. Es gibt
vielerlei, das paßt nicht zusammen, und man stellt es nicht nebeneinander hin.
Man tut nicht Nosen und wilde Nesseln in ein Wasserglas, und man trocknet
Reiser nicht, um sie nachher auf dem Wasser zu schichten und anzuzünden. Als
Wieschen die beiden Gesichter nebeneinander sah, gruben ihre Gedanken einen
Spalt dazwischen her, über den kein Meister einen Steg zu drücken würde
vermögen können --; so fromm war sie in ihren Gedanken, und so klein war
ihr Ausblick im Dorf, in den einsamen engen Bergen, daß sie nicht wußte,
wie es Stimmen und Gewalten im Menschen gibt, die stärker sind und mehr
vermögen, als die Taten von starken, vielvermögenden Meistern -- und daß
gerade diese starken Stimmen den Menschen schwach und willenlos machen
können, wenn sie aus einer inneren wilden, lichtscheuen Neigung kommen. Als
Wieschen den Spalt sah, den ihre Gedanken gruben, fühlte sie sich plötzlich so
frei, daß sie leicht die langen schlanken Glieder streckte und hell auslachte.

"Was jagst du einen in Angst," meinte sie, so auf Jelde zugehend und
ihr die Arme um die Schulter legend, womit sie alle Schlangen niedertrat und
alles von sich abschob, was gegen sie angeschickt wurde, und reineweg vergaß,
daß Jelde sich mit böser Absicht trug. "Regime Sträter," lachte sie. "Ich will
den Florentin befragen. Und sagte er drauf, es kümmere ihn irgendwie die
Regime, so wüßt' ich, er wäre verhext."

Sie ging und ließ Jelde bei ihrer trägen späten Arbeit zurück, während
sie frei und munter war. Ihre Schritte schallten in dem stillen Hause. Sie
mochte uicht durch die große Haustür hinaustreten, die zur Straße hin lag,
um dem Kiep nicht wichtig mit ihrer Person zu kommen. So ging sie über
die Tenne. (Fortsetzung folgt)




Der Homer der Bauern
Dr, Lduard Rorrodi von

u schmierest deinen Grind mit Schmer." Wen meint der derbe
Landsknecht oder der ungeschlachte Bauer mit solcher Rüpelrede?
Kein Landsknecht, ein Humanist, der den griechischen Musen huldigte,
der schweizerische Reformator Ulrich Zwingli, verkehrt in diesem
Bibelton mit den alttestamentlichen Königen; freilich anders, als
der schmiegsamere Luther, der die Bibelstelle also dolmetschte: "Du salbest dein
Haupt mit Öl." Martin Luther seufzt ob dem Deutsch dieser Schweizerbibel."
"Es möcht einer schwitzen, eh' er's versteht."


Grenzboten III 1912 6
Der Homer der Bauern

Gasthof zur Nolterschlucht, von der Jelde gemeint hatte, sie habe mehrBlut undLeben
unter einem Fingernagel, als Wieschen in ihrem ganzen bleichsüchtig blassen Gesicht.

Wieschen sah im Geiste des Florentin Gestalt neben diese treten. Es gibt
vielerlei, das paßt nicht zusammen, und man stellt es nicht nebeneinander hin.
Man tut nicht Nosen und wilde Nesseln in ein Wasserglas, und man trocknet
Reiser nicht, um sie nachher auf dem Wasser zu schichten und anzuzünden. Als
Wieschen die beiden Gesichter nebeneinander sah, gruben ihre Gedanken einen
Spalt dazwischen her, über den kein Meister einen Steg zu drücken würde
vermögen können —; so fromm war sie in ihren Gedanken, und so klein war
ihr Ausblick im Dorf, in den einsamen engen Bergen, daß sie nicht wußte,
wie es Stimmen und Gewalten im Menschen gibt, die stärker sind und mehr
vermögen, als die Taten von starken, vielvermögenden Meistern — und daß
gerade diese starken Stimmen den Menschen schwach und willenlos machen
können, wenn sie aus einer inneren wilden, lichtscheuen Neigung kommen. Als
Wieschen den Spalt sah, den ihre Gedanken gruben, fühlte sie sich plötzlich so
frei, daß sie leicht die langen schlanken Glieder streckte und hell auslachte.

„Was jagst du einen in Angst," meinte sie, so auf Jelde zugehend und
ihr die Arme um die Schulter legend, womit sie alle Schlangen niedertrat und
alles von sich abschob, was gegen sie angeschickt wurde, und reineweg vergaß,
daß Jelde sich mit böser Absicht trug. „Regime Sträter," lachte sie. „Ich will
den Florentin befragen. Und sagte er drauf, es kümmere ihn irgendwie die
Regime, so wüßt' ich, er wäre verhext."

Sie ging und ließ Jelde bei ihrer trägen späten Arbeit zurück, während
sie frei und munter war. Ihre Schritte schallten in dem stillen Hause. Sie
mochte uicht durch die große Haustür hinaustreten, die zur Straße hin lag,
um dem Kiep nicht wichtig mit ihrer Person zu kommen. So ging sie über
die Tenne. (Fortsetzung folgt)




Der Homer der Bauern
Dr, Lduard Rorrodi von

u schmierest deinen Grind mit Schmer." Wen meint der derbe
Landsknecht oder der ungeschlachte Bauer mit solcher Rüpelrede?
Kein Landsknecht, ein Humanist, der den griechischen Musen huldigte,
der schweizerische Reformator Ulrich Zwingli, verkehrt in diesem
Bibelton mit den alttestamentlichen Königen; freilich anders, als
der schmiegsamere Luther, der die Bibelstelle also dolmetschte: „Du salbest dein
Haupt mit Öl." Martin Luther seufzt ob dem Deutsch dieser Schweizerbibel."
„Es möcht einer schwitzen, eh' er's versteht."


Grenzboten III 1912 6
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[0045] Der Homer der Bauern Gasthof zur Nolterschlucht, von der Jelde gemeint hatte, sie habe mehrBlut undLeben unter einem Fingernagel, als Wieschen in ihrem ganzen bleichsüchtig blassen Gesicht. Wieschen sah im Geiste des Florentin Gestalt neben diese treten. Es gibt vielerlei, das paßt nicht zusammen, und man stellt es nicht nebeneinander hin. Man tut nicht Nosen und wilde Nesseln in ein Wasserglas, und man trocknet Reiser nicht, um sie nachher auf dem Wasser zu schichten und anzuzünden. Als Wieschen die beiden Gesichter nebeneinander sah, gruben ihre Gedanken einen Spalt dazwischen her, über den kein Meister einen Steg zu drücken würde vermögen können —; so fromm war sie in ihren Gedanken, und so klein war ihr Ausblick im Dorf, in den einsamen engen Bergen, daß sie nicht wußte, wie es Stimmen und Gewalten im Menschen gibt, die stärker sind und mehr vermögen, als die Taten von starken, vielvermögenden Meistern — und daß gerade diese starken Stimmen den Menschen schwach und willenlos machen können, wenn sie aus einer inneren wilden, lichtscheuen Neigung kommen. Als Wieschen den Spalt sah, den ihre Gedanken gruben, fühlte sie sich plötzlich so frei, daß sie leicht die langen schlanken Glieder streckte und hell auslachte. „Was jagst du einen in Angst," meinte sie, so auf Jelde zugehend und ihr die Arme um die Schulter legend, womit sie alle Schlangen niedertrat und alles von sich abschob, was gegen sie angeschickt wurde, und reineweg vergaß, daß Jelde sich mit böser Absicht trug. „Regime Sträter," lachte sie. „Ich will den Florentin befragen. Und sagte er drauf, es kümmere ihn irgendwie die Regime, so wüßt' ich, er wäre verhext." Sie ging und ließ Jelde bei ihrer trägen späten Arbeit zurück, während sie frei und munter war. Ihre Schritte schallten in dem stillen Hause. Sie mochte uicht durch die große Haustür hinaustreten, die zur Straße hin lag, um dem Kiep nicht wichtig mit ihrer Person zu kommen. So ging sie über die Tenne. (Fortsetzung folgt) Der Homer der Bauern Dr, Lduard Rorrodi von u schmierest deinen Grind mit Schmer." Wen meint der derbe Landsknecht oder der ungeschlachte Bauer mit solcher Rüpelrede? Kein Landsknecht, ein Humanist, der den griechischen Musen huldigte, der schweizerische Reformator Ulrich Zwingli, verkehrt in diesem Bibelton mit den alttestamentlichen Königen; freilich anders, als der schmiegsamere Luther, der die Bibelstelle also dolmetschte: „Du salbest dein Haupt mit Öl." Martin Luther seufzt ob dem Deutsch dieser Schweizerbibel." „Es möcht einer schwitzen, eh' er's versteht." Grenzboten III 1912 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/45>, abgerufen am 29.06.2024.