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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Meilers Martyrium

armendes Volk zu erziehen, ihm den Weg zu weisen zu tiefem, reichem Leben --
nicht nur in der Stadt, auch auf dem Lande, im Westen wie im Osten.




Am Waldesrande lagerte eine Jungenschar, wandermüde. Zwei junge
Männer, die Führer, lagen auf ihren Mänteln, nach deutscher Weise in ernstes
Gespräch vertieft: Vaterland, Politik, Gott, Heimat, Familie --, deutsche Männer
wissen klug zu reden. Da geschah eine Unruhe unter den Jungen. Einige
waren ausgeruht und begannen mit ihren Stöcken nach einer Flasche zu werfen.
Da springt einer der Führer auf: "Halt, unser Volk langweilt sich, komm, wir
müssen ein Spiel machenI"

Das ist die Sache: nicht Kongresse, Dispute, Doktorarbeiten erziehen unser
junges Volk, sondern die Tat pflichttreuer Liebe.




Franz Weilers Martyrium
Die Tragödie eines Rindes
Von Richard Arles II.

Franz und sein Vater sitzen am Küchentisch. Die Mutter stellt zwei
Tassen, Kaffee- und Milchkanne darauf, legt einen runden Laib Schwarzbrot
dazu und ein Messer.

"Na, trinkt Die heut kein Kaffee?" fragt Weiler.

Die Frau sieht ihren Mann mit forschenden Augen an. Wenn er sie mit
"Die" anredet, ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen. Was mag er haben?
Es fällt ihr nichts ein, womit sie ihn beleidigt haben könnte.

"Ich hab' mit den armern drei Buwe schon getrunke. Die waren schon
um drei Uhr aus der Schul' daheim. Da haww ich gleich Kaffee mit en
getrunke un hab se fortgeschickt zum Jud, en Sack voll Kleie hole!"

Franz hat unterdessen Kaffee eingeschenkt.

Weiler schneidet zwei Stücke Brot vom Laib, hält das zuletzt abgeschnittene
auf der linken Hand, stößt mit der rechten den Messerstiel auf den Tisch und
herrscht seine Frau an:

"Na, und ...??"

"Ja so," sagt diese, nimmt vom Küchenschrank ein Schüsselchen mit Latwerg
und schiebt es Weilern hin.

"Na, gibt's kein Butter?" fragt er, und dabei liegt ein Ton in seiner
Stimme wie bei einem unzufrieden knurrenden Hund.


Franz Meilers Martyrium

armendes Volk zu erziehen, ihm den Weg zu weisen zu tiefem, reichem Leben —
nicht nur in der Stadt, auch auf dem Lande, im Westen wie im Osten.




Am Waldesrande lagerte eine Jungenschar, wandermüde. Zwei junge
Männer, die Führer, lagen auf ihren Mänteln, nach deutscher Weise in ernstes
Gespräch vertieft: Vaterland, Politik, Gott, Heimat, Familie —, deutsche Männer
wissen klug zu reden. Da geschah eine Unruhe unter den Jungen. Einige
waren ausgeruht und begannen mit ihren Stöcken nach einer Flasche zu werfen.
Da springt einer der Führer auf: „Halt, unser Volk langweilt sich, komm, wir
müssen ein Spiel machenI"

Das ist die Sache: nicht Kongresse, Dispute, Doktorarbeiten erziehen unser
junges Volk, sondern die Tat pflichttreuer Liebe.




Franz Weilers Martyrium
Die Tragödie eines Rindes
Von Richard Arles II.

Franz und sein Vater sitzen am Küchentisch. Die Mutter stellt zwei
Tassen, Kaffee- und Milchkanne darauf, legt einen runden Laib Schwarzbrot
dazu und ein Messer.

„Na, trinkt Die heut kein Kaffee?" fragt Weiler.

Die Frau sieht ihren Mann mit forschenden Augen an. Wenn er sie mit
„Die" anredet, ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen. Was mag er haben?
Es fällt ihr nichts ein, womit sie ihn beleidigt haben könnte.

„Ich hab' mit den armern drei Buwe schon getrunke. Die waren schon
um drei Uhr aus der Schul' daheim. Da haww ich gleich Kaffee mit en
getrunke un hab se fortgeschickt zum Jud, en Sack voll Kleie hole!"

Franz hat unterdessen Kaffee eingeschenkt.

Weiler schneidet zwei Stücke Brot vom Laib, hält das zuletzt abgeschnittene
auf der linken Hand, stößt mit der rechten den Messerstiel auf den Tisch und
herrscht seine Frau an:

„Na, und ...??"

»Ja so," sagt diese, nimmt vom Küchenschrank ein Schüsselchen mit Latwerg
und schiebt es Weilern hin.

„Na, gibt's kein Butter?" fragt er, und dabei liegt ein Ton in seiner
Stimme wie bei einem unzufrieden knurrenden Hund.


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[0535] Franz Meilers Martyrium armendes Volk zu erziehen, ihm den Weg zu weisen zu tiefem, reichem Leben — nicht nur in der Stadt, auch auf dem Lande, im Westen wie im Osten. Am Waldesrande lagerte eine Jungenschar, wandermüde. Zwei junge Männer, die Führer, lagen auf ihren Mänteln, nach deutscher Weise in ernstes Gespräch vertieft: Vaterland, Politik, Gott, Heimat, Familie —, deutsche Männer wissen klug zu reden. Da geschah eine Unruhe unter den Jungen. Einige waren ausgeruht und begannen mit ihren Stöcken nach einer Flasche zu werfen. Da springt einer der Führer auf: „Halt, unser Volk langweilt sich, komm, wir müssen ein Spiel machenI" Das ist die Sache: nicht Kongresse, Dispute, Doktorarbeiten erziehen unser junges Volk, sondern die Tat pflichttreuer Liebe. Franz Weilers Martyrium Die Tragödie eines Rindes Von Richard Arles II. Franz und sein Vater sitzen am Küchentisch. Die Mutter stellt zwei Tassen, Kaffee- und Milchkanne darauf, legt einen runden Laib Schwarzbrot dazu und ein Messer. „Na, trinkt Die heut kein Kaffee?" fragt Weiler. Die Frau sieht ihren Mann mit forschenden Augen an. Wenn er sie mit „Die" anredet, ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen. Was mag er haben? Es fällt ihr nichts ein, womit sie ihn beleidigt haben könnte. „Ich hab' mit den armern drei Buwe schon getrunke. Die waren schon um drei Uhr aus der Schul' daheim. Da haww ich gleich Kaffee mit en getrunke un hab se fortgeschickt zum Jud, en Sack voll Kleie hole!" Franz hat unterdessen Kaffee eingeschenkt. Weiler schneidet zwei Stücke Brot vom Laib, hält das zuletzt abgeschnittene auf der linken Hand, stößt mit der rechten den Messerstiel auf den Tisch und herrscht seine Frau an: „Na, und ...??" »Ja so," sagt diese, nimmt vom Küchenschrank ein Schüsselchen mit Latwerg und schiebt es Weilern hin. „Na, gibt's kein Butter?" fragt er, und dabei liegt ein Ton in seiner Stimme wie bei einem unzufrieden knurrenden Hund.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/535>, abgerufen am 29.12.2024.