Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Lichte und die älteren Romantiker werden. Selbst die Form der Rechtspflege bedarf in einer solchen Zeit größeren Achte und die älteren Romantiker von Dr. M. Schmidt N--MMI!le Romantik stirbt in Deutschland nicht aus -- trotz elektrischer Durch die Generation, die in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahr¬ Lichte und die älteren Romantiker werden. Selbst die Form der Rechtspflege bedarf in einer solchen Zeit größeren Achte und die älteren Romantiker von Dr. M. Schmidt N--MMI!le Romantik stirbt in Deutschland nicht aus — trotz elektrischer Durch die Generation, die in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320441"/> <fw type="header" place="top"> Lichte und die älteren Romantiker</fw><lb/> <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36"> werden. Selbst die Form der Rechtspflege bedarf in einer solchen Zeit größeren<lb/> Spielraums. Der Richter, der unter Anlehnung an die heimische Gesetzgebung,<lb/> aber unter möglichster Rücksicht auf die lokalen Rechtsbegriffe, also nicht nach<lb/> Paragraphen, sondernnach seinem Gewissen urteilen muß, bedarf einerpatriarchalisch-<lb/> unaühängigen Stellung. Paragraphen, die ihrem Wesen nach verallgemeinern<lb/> und den besonderen Einzelfällen, aus denen die Wirklichkeit sich zusammensetzt,<lb/> nicht gerecht werden können, werden die Garantien für eine gerechte Behandlung<lb/> der Eingeborenen nicht vermehren, wohl mitSicherheit aberznUnbilligkeiten führen."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Achte und die älteren Romantiker<lb/><note type="byline"> von Dr. M. Schmidt</note></head><lb/> <p xml:id="ID_38"> N--MMI!le Romantik stirbt in Deutschland nicht aus — trotz elektrischer<lb/> Beleuchtung und Automobil, und wie sie sich heute wieder gegen<lb/> den lange herrschenden Materialismus auflehnt, so lehnte sie sich<lb/> vor hundert Jahren auf gegen Kant und die Aufklärung.<lb/> ^ Heute wie damals sehen wir freilich krankhafte Übertreibungen,<lb/> Wucherungen des Gefühls, die nach einer so langen Niederhaltung des seelischen<lb/> Triebes zu verstehen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_39"> Durch die Generation, die in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahr¬<lb/> hunderts auf den Plan tritt, geht ein subjektiver Trieb des Individuums. Er<lb/> will sich gewaltsam ausdehnen, stößt überall an und kann sich nur in ewig<lb/> unbefriedigten: Streben, in schmerzlicher Sehnsucht nach Unerreichbarem äußern.<lb/> Eine tiefe Zerrissenheit, ein Zwiespalt zwischen Kopf und Herz, Vernunft und<lb/> Gefühl gibt sich kund. Bei Wackenroder und Hölderlin, Jacobi und Schleier¬<lb/> macher hallt es wider von lauten Klagen, bitterem Hohn und Spott gegen die<lb/> Menschen der Zeit, „die den einzelnen nur halb gedeihen lassen wollen, seine<lb/> tiefsten seelischen Bedürfnisse aber verkennen und unterdrücken, weil da nicht<lb/> alles so klar begreiflich und praktisch nützlich erscheint, wie es ihr beschränkter,<lb/> handwerksmäßiger Verstand fordert". Gegen Kant hilft solches grobe Schelten<lb/> natürlich nicht. Man kann seine Genialität nicht leugnen. Aber wie am Berg<lb/> die Wolken sich sammeln, so verdichtet sich an den kalten Vernunftsätzen dieses<lb/> Philosophen das Gefühl der Romantiker so sehr, daß Entladungen nicht aus¬<lb/> bleiben. Es ist ein geistreiches Spiel und hat die folgenden Generationen bis<lb/> heute vielleicht mehr befruchtet als man denkt. Jean Pauls Einfluß reicht durch<lb/> das ganze neunzehnte Jahrhundert von Schopenhauer, Fr. Th. Bischer zu Raabe<lb/> und Keller und wird so bald nicht aufhören, wenn ihn auch „kein Mensch<lb/> mehr liest".</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Lichte und die älteren Romantiker
werden. Selbst die Form der Rechtspflege bedarf in einer solchen Zeit größeren
Spielraums. Der Richter, der unter Anlehnung an die heimische Gesetzgebung,
aber unter möglichster Rücksicht auf die lokalen Rechtsbegriffe, also nicht nach
Paragraphen, sondernnach seinem Gewissen urteilen muß, bedarf einerpatriarchalisch-
unaühängigen Stellung. Paragraphen, die ihrem Wesen nach verallgemeinern
und den besonderen Einzelfällen, aus denen die Wirklichkeit sich zusammensetzt,
nicht gerecht werden können, werden die Garantien für eine gerechte Behandlung
der Eingeborenen nicht vermehren, wohl mitSicherheit aberznUnbilligkeiten führen."
Achte und die älteren Romantiker
von Dr. M. Schmidt
N--MMI!le Romantik stirbt in Deutschland nicht aus — trotz elektrischer
Beleuchtung und Automobil, und wie sie sich heute wieder gegen
den lange herrschenden Materialismus auflehnt, so lehnte sie sich
vor hundert Jahren auf gegen Kant und die Aufklärung.
^ Heute wie damals sehen wir freilich krankhafte Übertreibungen,
Wucherungen des Gefühls, die nach einer so langen Niederhaltung des seelischen
Triebes zu verstehen sind.
Durch die Generation, die in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahr¬
hunderts auf den Plan tritt, geht ein subjektiver Trieb des Individuums. Er
will sich gewaltsam ausdehnen, stößt überall an und kann sich nur in ewig
unbefriedigten: Streben, in schmerzlicher Sehnsucht nach Unerreichbarem äußern.
Eine tiefe Zerrissenheit, ein Zwiespalt zwischen Kopf und Herz, Vernunft und
Gefühl gibt sich kund. Bei Wackenroder und Hölderlin, Jacobi und Schleier¬
macher hallt es wider von lauten Klagen, bitterem Hohn und Spott gegen die
Menschen der Zeit, „die den einzelnen nur halb gedeihen lassen wollen, seine
tiefsten seelischen Bedürfnisse aber verkennen und unterdrücken, weil da nicht
alles so klar begreiflich und praktisch nützlich erscheint, wie es ihr beschränkter,
handwerksmäßiger Verstand fordert". Gegen Kant hilft solches grobe Schelten
natürlich nicht. Man kann seine Genialität nicht leugnen. Aber wie am Berg
die Wolken sich sammeln, so verdichtet sich an den kalten Vernunftsätzen dieses
Philosophen das Gefühl der Romantiker so sehr, daß Entladungen nicht aus¬
bleiben. Es ist ein geistreiches Spiel und hat die folgenden Generationen bis
heute vielleicht mehr befruchtet als man denkt. Jean Pauls Einfluß reicht durch
das ganze neunzehnte Jahrhundert von Schopenhauer, Fr. Th. Bischer zu Raabe
und Keller und wird so bald nicht aufhören, wenn ihn auch „kein Mensch
mehr liest".
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