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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Deutsch-französische Annäherung
Von F^'""z lViigk

cum schon ein Urteil über das, was Frankreich und Deutschland in
Marokko und am Kongo erreicht haben, heute unmöglich ist, so ist
es noch viel gewagter, prophezeien zu wollen, was aus den deutsch-
französischen Beziehungen werden wird. In Afrika sowohl wie in
Europa sind in jeder Beziehung Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen.
Es kommt alles darauf an, diese Entwicklungsmöglichkeiten auszunutzen. Wir sehen
weder zu großen Hoffnungen noch zu großen Befürchtungen eine besondere Ver¬
anlassung. Was vom deutschen Standpunkt über diese Dinge zu sagen, wird hier
schon von anderen Beurteilern hervorgehoben sein. Wie sehen aber diese selben
Dinge, von Frankreich betrachtet, aus?

Auf den ersten Blick ist der Eindruck hier sehr unerfreulich. Wir haben schon
früher (in Heft 48 S. 428 ff.) aus den Äußerungen eines Freundes gesehen, daß
gebildete Franzosen diese Ausbrüche von Deutschenhaß, deren Zeuge wir gewesen
sind, nicht ernst nehmen wollen. Nach unserer Meinung täte man aber Unrecht,
sich so rasch mit diesen Fieberanfällen abfinden zu wollen. Es handelt sich da nicht
um Tageslaunen, nicht um gelegentliche Heldentaten gewissenloser Demagogen.
Wir haben im Laufe von zehn Jahren gesehen, daß die Stimmung Frankreichs
gegenüber Deutschland statt versöhnlicher, immer gereizter geworden ist. Natürlich
spielt die Marokkokrise mit ihren unaufhörlichen Erschütterungen bei dieser rück¬
läufigen Entwicklung der deutsch-französischen Annäherung die Hauptrolle. Eine
ganze Reihe von hervorragenden Politikern und Schriftstellern, die bis 1905 warm
für eine Verständigung mit Deutschland eintraten, sind danach ganz anderer
Meinung geworden und predigen die Abneigung gegen alles Deutsche und offenen
Kampf gegen den deutschen Einfluß. Andere Freunde eines deutsch-französischen
Zusammenarbeitens sind ganz verstummt, da sie die einstweilige Aussichtslosigkeit
aller Bemühungen in dieser Richtung erkannt haben.

Zwei Umstände haben dazu beigetragen, die Deutschfeindschaft gewisser Kreise
neuerdings deutlicher werden zu lassen. Das ist vor allem das Gefühl, kampf¬
gerüstet zu sein, das man 1905 noch nicht hatte. Dann aber machen die
Franzosen die Beobachtung, daß auch in Deutschland, wo eine Abneigung
gegen den alten Gegner fast ganz unbekannt geworden war, sich augenscheinlich
der Zorn über die jahrelangen Herausforderungen und Beschimpfungen des
deutschen Namens zu regen anfängt. Französische Reisende erzählen von




Deutsch-französische Annäherung
Von F^'""z lViigk

cum schon ein Urteil über das, was Frankreich und Deutschland in
Marokko und am Kongo erreicht haben, heute unmöglich ist, so ist
es noch viel gewagter, prophezeien zu wollen, was aus den deutsch-
französischen Beziehungen werden wird. In Afrika sowohl wie in
Europa sind in jeder Beziehung Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen.
Es kommt alles darauf an, diese Entwicklungsmöglichkeiten auszunutzen. Wir sehen
weder zu großen Hoffnungen noch zu großen Befürchtungen eine besondere Ver¬
anlassung. Was vom deutschen Standpunkt über diese Dinge zu sagen, wird hier
schon von anderen Beurteilern hervorgehoben sein. Wie sehen aber diese selben
Dinge, von Frankreich betrachtet, aus?

Auf den ersten Blick ist der Eindruck hier sehr unerfreulich. Wir haben schon
früher (in Heft 48 S. 428 ff.) aus den Äußerungen eines Freundes gesehen, daß
gebildete Franzosen diese Ausbrüche von Deutschenhaß, deren Zeuge wir gewesen
sind, nicht ernst nehmen wollen. Nach unserer Meinung täte man aber Unrecht,
sich so rasch mit diesen Fieberanfällen abfinden zu wollen. Es handelt sich da nicht
um Tageslaunen, nicht um gelegentliche Heldentaten gewissenloser Demagogen.
Wir haben im Laufe von zehn Jahren gesehen, daß die Stimmung Frankreichs
gegenüber Deutschland statt versöhnlicher, immer gereizter geworden ist. Natürlich
spielt die Marokkokrise mit ihren unaufhörlichen Erschütterungen bei dieser rück¬
läufigen Entwicklung der deutsch-französischen Annäherung die Hauptrolle. Eine
ganze Reihe von hervorragenden Politikern und Schriftstellern, die bis 1905 warm
für eine Verständigung mit Deutschland eintraten, sind danach ganz anderer
Meinung geworden und predigen die Abneigung gegen alles Deutsche und offenen
Kampf gegen den deutschen Einfluß. Andere Freunde eines deutsch-französischen
Zusammenarbeitens sind ganz verstummt, da sie die einstweilige Aussichtslosigkeit
aller Bemühungen in dieser Richtung erkannt haben.

Zwei Umstände haben dazu beigetragen, die Deutschfeindschaft gewisser Kreise
neuerdings deutlicher werden zu lassen. Das ist vor allem das Gefühl, kampf¬
gerüstet zu sein, das man 1905 noch nicht hatte. Dann aber machen die
Franzosen die Beobachtung, daß auch in Deutschland, wo eine Abneigung
gegen den alten Gegner fast ganz unbekannt geworden war, sich augenscheinlich
der Zorn über die jahrelangen Herausforderungen und Beschimpfungen des
deutschen Namens zu regen anfängt. Französische Reisende erzählen von


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[0541] [Abbildung] Deutsch-französische Annäherung Von F^'""z lViigk cum schon ein Urteil über das, was Frankreich und Deutschland in Marokko und am Kongo erreicht haben, heute unmöglich ist, so ist es noch viel gewagter, prophezeien zu wollen, was aus den deutsch- französischen Beziehungen werden wird. In Afrika sowohl wie in Europa sind in jeder Beziehung Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen. Es kommt alles darauf an, diese Entwicklungsmöglichkeiten auszunutzen. Wir sehen weder zu großen Hoffnungen noch zu großen Befürchtungen eine besondere Ver¬ anlassung. Was vom deutschen Standpunkt über diese Dinge zu sagen, wird hier schon von anderen Beurteilern hervorgehoben sein. Wie sehen aber diese selben Dinge, von Frankreich betrachtet, aus? Auf den ersten Blick ist der Eindruck hier sehr unerfreulich. Wir haben schon früher (in Heft 48 S. 428 ff.) aus den Äußerungen eines Freundes gesehen, daß gebildete Franzosen diese Ausbrüche von Deutschenhaß, deren Zeuge wir gewesen sind, nicht ernst nehmen wollen. Nach unserer Meinung täte man aber Unrecht, sich so rasch mit diesen Fieberanfällen abfinden zu wollen. Es handelt sich da nicht um Tageslaunen, nicht um gelegentliche Heldentaten gewissenloser Demagogen. Wir haben im Laufe von zehn Jahren gesehen, daß die Stimmung Frankreichs gegenüber Deutschland statt versöhnlicher, immer gereizter geworden ist. Natürlich spielt die Marokkokrise mit ihren unaufhörlichen Erschütterungen bei dieser rück¬ läufigen Entwicklung der deutsch-französischen Annäherung die Hauptrolle. Eine ganze Reihe von hervorragenden Politikern und Schriftstellern, die bis 1905 warm für eine Verständigung mit Deutschland eintraten, sind danach ganz anderer Meinung geworden und predigen die Abneigung gegen alles Deutsche und offenen Kampf gegen den deutschen Einfluß. Andere Freunde eines deutsch-französischen Zusammenarbeitens sind ganz verstummt, da sie die einstweilige Aussichtslosigkeit aller Bemühungen in dieser Richtung erkannt haben. Zwei Umstände haben dazu beigetragen, die Deutschfeindschaft gewisser Kreise neuerdings deutlicher werden zu lassen. Das ist vor allem das Gefühl, kampf¬ gerüstet zu sein, das man 1905 noch nicht hatte. Dann aber machen die Franzosen die Beobachtung, daß auch in Deutschland, wo eine Abneigung gegen den alten Gegner fast ganz unbekannt geworden war, sich augenscheinlich der Zorn über die jahrelangen Herausforderungen und Beschimpfungen des deutschen Namens zu regen anfängt. Französische Reisende erzählen von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/541>, abgerufen am 03.07.2024.