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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Es würde mir zur größten Freude und Genugtuung gereichen, wenn ich
nur in kleinem Maße dazu beitragen könnte, den Frieden, und zwar einen
dauernden, einen bis zu Freundschaft reichenden, zwischen zwei Ländern, die mir
gleich wert sind, herzustellen. Der Augenblick ist jetzt, nach dem Sturze
Delcassös, äußerst günstig.


Mit vorzüglicher Hochachtung
ergebenst
Wetterls,
Mitglied des Reichstags.

Eolmar, den 7. Juni 1905.


Das Emfuhrscheinsystenr

Einfuhrscheine -- Die Teuerung -- Irrtümer und Vorwürfe -- Der Jdentitäts¬
nachweis -- Der deutsche Osten -- Ausnahmebestimmungen -- Schädigung der Reichs-
kasse -- Entblößung des Inlandes -- Ausgleich durch den Börsenverkehr -- Künstlich
hohe Preise

Einen unverhältnismäßig breiten Raum in den Erörterungen über die dies¬
jährige Teuerung hat die Frage der Getreideeinfuhrscheine eingenommen. Ein
großer Teil der linksstehenden, namentlich der sozialdemokratischen Presse benutzt
die Gelegenheit, um die alten, oft widerlegten Angriffe gegen das ganze System
der Einsuhrscheine zu erneuern. Sie werden Ausfuhrprämien gescholten, die zur
Verschleuderung des deutschen Getreides ins Ausland verlocken, eine Entblößung
des inländischen Getreidemarktes bewirken, wucherische Preistreibereien an den
deutschen Getreidebörsen begünstigen, das Nationalvermögen im allgemeinen und
die Reichskasse im besonderen um Millionen schädigen. Die gegenwärtige Lage
soll die Abschaffung dieses "skandalösen Prämiensystems" besonders dringlich
machen.

Inwiefern gerade die bedauerliche diesjährige Teuerung durch das Einfuhr¬
scheinsystem verschärft werden soll, ist schwer einzusehen. Diejenigen Erzeugnisse,
an denen Knappheit herrscht: Kartoffeln und Futtermittel, werden gegen Einfuhr-
scheine entweder überhaupt nicht oder doch nur in ganz verschwindenden Mengen
ausgeführt. Eins der wichtigsten Futtermittel, die Gerste, wird vielmehr in großen
Mengen gegen Einfuhrscheine zollfrei eingeführt. Ihre Einfuhr in Austausch
gegen Roggen, ein in diesem Jahre zweifellos wirtschaftlich rationeller und im
allgemeinen Interesse erwünschter Tausch, wird also gerade durch das Einfuhr-
scheinsystem begünstigt. Die diesjährige Getreideernte aber war normal, die an
Roggen -- der hauptsächlich gegen Einfuhrschein ausgeführten Frucht -- sogar
besser als im Vorjahre. In Preußen allein wird der diesjährige Ernteertrag an
Roggen um mehr als 400000 t, an Brodgetreide überhaupt um rund 350000 t
höher geschätzt als im Jahre 1910. Dementsprechend sind die gegenwärtigen Ge°
treidcprcise keineswegs übermäßig hoch. Der Weizenpreis hält sich in diesem
Monat mit 199-206 Mark unter den gewöhnlichen Herbstpreisen früherer Jahre.
Wenn der Roggenpreis das Mittel etwas übersteigt, so hat das seinen Grund in
der geringeren Ernte des wichtigsten Roggenproduktionslandes Rußland, deren
Ergebnis nicht ohne Einfluß auf den Weltmarkt und damit aus den deutschen
Markt bleiben konnte. Auch die Noggenpreise bleiben jedoch erheblich unter der
z. B. im Herbst 1907 erreichten Höhe. Ebensowenig liegen abnorme Ausfuhr-


Reichssxiegcl

Es würde mir zur größten Freude und Genugtuung gereichen, wenn ich
nur in kleinem Maße dazu beitragen könnte, den Frieden, und zwar einen
dauernden, einen bis zu Freundschaft reichenden, zwischen zwei Ländern, die mir
gleich wert sind, herzustellen. Der Augenblick ist jetzt, nach dem Sturze
Delcassös, äußerst günstig.


Mit vorzüglicher Hochachtung
ergebenst
Wetterls,
Mitglied des Reichstags.

Eolmar, den 7. Juni 1905.


Das Emfuhrscheinsystenr

Einfuhrscheine — Die Teuerung — Irrtümer und Vorwürfe — Der Jdentitäts¬
nachweis — Der deutsche Osten — Ausnahmebestimmungen — Schädigung der Reichs-
kasse — Entblößung des Inlandes — Ausgleich durch den Börsenverkehr — Künstlich
hohe Preise

Einen unverhältnismäßig breiten Raum in den Erörterungen über die dies¬
jährige Teuerung hat die Frage der Getreideeinfuhrscheine eingenommen. Ein
großer Teil der linksstehenden, namentlich der sozialdemokratischen Presse benutzt
die Gelegenheit, um die alten, oft widerlegten Angriffe gegen das ganze System
der Einsuhrscheine zu erneuern. Sie werden Ausfuhrprämien gescholten, die zur
Verschleuderung des deutschen Getreides ins Ausland verlocken, eine Entblößung
des inländischen Getreidemarktes bewirken, wucherische Preistreibereien an den
deutschen Getreidebörsen begünstigen, das Nationalvermögen im allgemeinen und
die Reichskasse im besonderen um Millionen schädigen. Die gegenwärtige Lage
soll die Abschaffung dieses „skandalösen Prämiensystems" besonders dringlich
machen.

Inwiefern gerade die bedauerliche diesjährige Teuerung durch das Einfuhr¬
scheinsystem verschärft werden soll, ist schwer einzusehen. Diejenigen Erzeugnisse,
an denen Knappheit herrscht: Kartoffeln und Futtermittel, werden gegen Einfuhr-
scheine entweder überhaupt nicht oder doch nur in ganz verschwindenden Mengen
ausgeführt. Eins der wichtigsten Futtermittel, die Gerste, wird vielmehr in großen
Mengen gegen Einfuhrscheine zollfrei eingeführt. Ihre Einfuhr in Austausch
gegen Roggen, ein in diesem Jahre zweifellos wirtschaftlich rationeller und im
allgemeinen Interesse erwünschter Tausch, wird also gerade durch das Einfuhr-
scheinsystem begünstigt. Die diesjährige Getreideernte aber war normal, die an
Roggen — der hauptsächlich gegen Einfuhrschein ausgeführten Frucht — sogar
besser als im Vorjahre. In Preußen allein wird der diesjährige Ernteertrag an
Roggen um mehr als 400000 t, an Brodgetreide überhaupt um rund 350000 t
höher geschätzt als im Jahre 1910. Dementsprechend sind die gegenwärtigen Ge°
treidcprcise keineswegs übermäßig hoch. Der Weizenpreis hält sich in diesem
Monat mit 199-206 Mark unter den gewöhnlichen Herbstpreisen früherer Jahre.
Wenn der Roggenpreis das Mittel etwas übersteigt, so hat das seinen Grund in
der geringeren Ernte des wichtigsten Roggenproduktionslandes Rußland, deren
Ergebnis nicht ohne Einfluß auf den Weltmarkt und damit aus den deutschen
Markt bleiben konnte. Auch die Noggenpreise bleiben jedoch erheblich unter der
z. B. im Herbst 1907 erreichten Höhe. Ebensowenig liegen abnorme Ausfuhr-


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[0365] Reichssxiegcl Es würde mir zur größten Freude und Genugtuung gereichen, wenn ich nur in kleinem Maße dazu beitragen könnte, den Frieden, und zwar einen dauernden, einen bis zu Freundschaft reichenden, zwischen zwei Ländern, die mir gleich wert sind, herzustellen. Der Augenblick ist jetzt, nach dem Sturze Delcassös, äußerst günstig. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Wetterls, Mitglied des Reichstags. Eolmar, den 7. Juni 1905. Das Emfuhrscheinsystenr Einfuhrscheine — Die Teuerung — Irrtümer und Vorwürfe — Der Jdentitäts¬ nachweis — Der deutsche Osten — Ausnahmebestimmungen — Schädigung der Reichs- kasse — Entblößung des Inlandes — Ausgleich durch den Börsenverkehr — Künstlich hohe Preise Einen unverhältnismäßig breiten Raum in den Erörterungen über die dies¬ jährige Teuerung hat die Frage der Getreideeinfuhrscheine eingenommen. Ein großer Teil der linksstehenden, namentlich der sozialdemokratischen Presse benutzt die Gelegenheit, um die alten, oft widerlegten Angriffe gegen das ganze System der Einsuhrscheine zu erneuern. Sie werden Ausfuhrprämien gescholten, die zur Verschleuderung des deutschen Getreides ins Ausland verlocken, eine Entblößung des inländischen Getreidemarktes bewirken, wucherische Preistreibereien an den deutschen Getreidebörsen begünstigen, das Nationalvermögen im allgemeinen und die Reichskasse im besonderen um Millionen schädigen. Die gegenwärtige Lage soll die Abschaffung dieses „skandalösen Prämiensystems" besonders dringlich machen. Inwiefern gerade die bedauerliche diesjährige Teuerung durch das Einfuhr¬ scheinsystem verschärft werden soll, ist schwer einzusehen. Diejenigen Erzeugnisse, an denen Knappheit herrscht: Kartoffeln und Futtermittel, werden gegen Einfuhr- scheine entweder überhaupt nicht oder doch nur in ganz verschwindenden Mengen ausgeführt. Eins der wichtigsten Futtermittel, die Gerste, wird vielmehr in großen Mengen gegen Einfuhrscheine zollfrei eingeführt. Ihre Einfuhr in Austausch gegen Roggen, ein in diesem Jahre zweifellos wirtschaftlich rationeller und im allgemeinen Interesse erwünschter Tausch, wird also gerade durch das Einfuhr- scheinsystem begünstigt. Die diesjährige Getreideernte aber war normal, die an Roggen — der hauptsächlich gegen Einfuhrschein ausgeführten Frucht — sogar besser als im Vorjahre. In Preußen allein wird der diesjährige Ernteertrag an Roggen um mehr als 400000 t, an Brodgetreide überhaupt um rund 350000 t höher geschätzt als im Jahre 1910. Dementsprechend sind die gegenwärtigen Ge° treidcprcise keineswegs übermäßig hoch. Der Weizenpreis hält sich in diesem Monat mit 199-206 Mark unter den gewöhnlichen Herbstpreisen früherer Jahre. Wenn der Roggenpreis das Mittel etwas übersteigt, so hat das seinen Grund in der geringeren Ernte des wichtigsten Roggenproduktionslandes Rußland, deren Ergebnis nicht ohne Einfluß auf den Weltmarkt und damit aus den deutschen Markt bleiben konnte. Auch die Noggenpreise bleiben jedoch erheblich unter der z. B. im Herbst 1907 erreichten Höhe. Ebensowenig liegen abnorme Ausfuhr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/365>, abgerufen am 03.07.2024.