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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Bayreuchcr Festspielo

Die Vayreuther Testspiele von Prof. Dr. R, Freiherr von Lichtenberg

Weißt du, was du sahst?
Parsifal 1.
Heut hast du's erlebt.
Walküre 2.

lese beiden Aussprüche aus Werken Richard Wagners drängen sich
wohl jedem Empfindenden unmittelbar immer wieder in die Er¬
innerung, so oft er vom Festspielhügel herabsteigt. Sie drücken
die Gemütsstimmung aus, die den das Festspiel mit Ernst Ge¬
nießenden gefangen nimmt, ihm jedes weitere Wort zunächst
unmöglich macht, bis er zu weiterem Nachdenken über das Geschaute und Erlebte
gelangt, nachdem sich die gewaltige Spannung gelöst hat. Ein altes Wort sagt,
die Bibel sei so einfach, daß sie auch der Einfältigste verstehen müsse, aber auch
so tief, daß sie dennoch der Weiseste nie ganz ausdenken könne. Dasselbe läßt sich
wohl auch von dem Werke zu Bayreuth sagen. Wer sich liebevoll in das Werk
vertieft, wird bei jeder Bayreuther Aufführung neue tiefere Gedankengänge und
wunderbare Beziehungen entdecken, die es ihm im Geiste und Gemüte immer
wieder näher bringen, so daß schließlich das Gesamtwirken Wagners für viele
auch zu einem Führer im persönlichen Leben werden kann.

Seit langem ist es in Bayreuth feststehender Brauch, in jedem Festspieljahr
"Der Ring des Nibelungen" und "Parsifal" zur Darstellung zu bringen und
dazu noch eins der anderen Werke auszuwählen. In diesem Jahre sind es "Die
Meistersinger von Nürnberg", die sich in den Rahmen dieses künstlerischen Kultur¬
bildes einfügen. Der diesjährige Zyklus führt uns von den germanischen Urzeiten,
also gleichsam von der Entstehung unseres Weltbildes an, durch die Welt der alt¬
germanischen Götter bis in jene Zeiten, da die gereiften ethischen Anschauungen
in die germanischen Formen des Christentums übergehen. -- Wird uns dies
im Ring und Parsifal in überirdischer Gestalt, gleichsam symbolisch als Abglanz des
innersten Kernes deutschen Wesens und Empfindens vor Augen geführt, so
erkennen wir in den Meistersingern, wie sich eben dies selbe Wesen und Empfinden
im Leben unseres deutschen Volkes immer wieder offenbart und bis in unsere
Tage schaffend und kulturbildend am Werke ist.

Im "Nheingolde" sehen wir die Welt zunächst noch im Urzustande völliger
Unschuld. Wohl gibt es neben den Göttern auch schon dämonische Wesen wie
die Riesen und die Nibelungenzwcrge, aber der Egoismus und mit ihm die
verderblichen Leidenschaften sind noch nicht geweckt. Das Gold des Rheinstromes
ruht auf dem Grunde zum unschuldigen Spiele und Ergötzen der Rheintöchter; die
ihm seit je innewohnende Kraft, Sucht nach Reichtum und Macht zu erregen,
schlummert noch unerkannt. Aber als Alberich von den Rheintöchtern in seiner
Liebe verschmäht wird und von ihnen den geheimen Zauber des Goldes erfährt,
flucht er der Liebe, gewinnt das Gold und bringt so den Egoismus in seinen
beiden furchtbarsten Formen, der Lieblosigkeit gegen andere und der unersättlichen
Habgier, die Macht verleihen soll, in die Welt.


Die Bayreuchcr Festspielo

Die Vayreuther Testspiele von Prof. Dr. R, Freiherr von Lichtenberg

Weißt du, was du sahst?
Parsifal 1.
Heut hast du's erlebt.
Walküre 2.

lese beiden Aussprüche aus Werken Richard Wagners drängen sich
wohl jedem Empfindenden unmittelbar immer wieder in die Er¬
innerung, so oft er vom Festspielhügel herabsteigt. Sie drücken
die Gemütsstimmung aus, die den das Festspiel mit Ernst Ge¬
nießenden gefangen nimmt, ihm jedes weitere Wort zunächst
unmöglich macht, bis er zu weiterem Nachdenken über das Geschaute und Erlebte
gelangt, nachdem sich die gewaltige Spannung gelöst hat. Ein altes Wort sagt,
die Bibel sei so einfach, daß sie auch der Einfältigste verstehen müsse, aber auch
so tief, daß sie dennoch der Weiseste nie ganz ausdenken könne. Dasselbe läßt sich
wohl auch von dem Werke zu Bayreuth sagen. Wer sich liebevoll in das Werk
vertieft, wird bei jeder Bayreuther Aufführung neue tiefere Gedankengänge und
wunderbare Beziehungen entdecken, die es ihm im Geiste und Gemüte immer
wieder näher bringen, so daß schließlich das Gesamtwirken Wagners für viele
auch zu einem Führer im persönlichen Leben werden kann.

Seit langem ist es in Bayreuth feststehender Brauch, in jedem Festspieljahr
„Der Ring des Nibelungen" und „Parsifal" zur Darstellung zu bringen und
dazu noch eins der anderen Werke auszuwählen. In diesem Jahre sind es „Die
Meistersinger von Nürnberg", die sich in den Rahmen dieses künstlerischen Kultur¬
bildes einfügen. Der diesjährige Zyklus führt uns von den germanischen Urzeiten,
also gleichsam von der Entstehung unseres Weltbildes an, durch die Welt der alt¬
germanischen Götter bis in jene Zeiten, da die gereiften ethischen Anschauungen
in die germanischen Formen des Christentums übergehen. — Wird uns dies
im Ring und Parsifal in überirdischer Gestalt, gleichsam symbolisch als Abglanz des
innersten Kernes deutschen Wesens und Empfindens vor Augen geführt, so
erkennen wir in den Meistersingern, wie sich eben dies selbe Wesen und Empfinden
im Leben unseres deutschen Volkes immer wieder offenbart und bis in unsere
Tage schaffend und kulturbildend am Werke ist.

Im „Nheingolde" sehen wir die Welt zunächst noch im Urzustande völliger
Unschuld. Wohl gibt es neben den Göttern auch schon dämonische Wesen wie
die Riesen und die Nibelungenzwcrge, aber der Egoismus und mit ihm die
verderblichen Leidenschaften sind noch nicht geweckt. Das Gold des Rheinstromes
ruht auf dem Grunde zum unschuldigen Spiele und Ergötzen der Rheintöchter; die
ihm seit je innewohnende Kraft, Sucht nach Reichtum und Macht zu erregen,
schlummert noch unerkannt. Aber als Alberich von den Rheintöchtern in seiner
Liebe verschmäht wird und von ihnen den geheimen Zauber des Goldes erfährt,
flucht er der Liebe, gewinnt das Gold und bringt so den Egoismus in seinen
beiden furchtbarsten Formen, der Lieblosigkeit gegen andere und der unersättlichen
Habgier, die Macht verleihen soll, in die Welt.


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[0326] Die Bayreuchcr Festspielo Die Vayreuther Testspiele von Prof. Dr. R, Freiherr von Lichtenberg Weißt du, was du sahst? Parsifal 1. Heut hast du's erlebt. Walküre 2. lese beiden Aussprüche aus Werken Richard Wagners drängen sich wohl jedem Empfindenden unmittelbar immer wieder in die Er¬ innerung, so oft er vom Festspielhügel herabsteigt. Sie drücken die Gemütsstimmung aus, die den das Festspiel mit Ernst Ge¬ nießenden gefangen nimmt, ihm jedes weitere Wort zunächst unmöglich macht, bis er zu weiterem Nachdenken über das Geschaute und Erlebte gelangt, nachdem sich die gewaltige Spannung gelöst hat. Ein altes Wort sagt, die Bibel sei so einfach, daß sie auch der Einfältigste verstehen müsse, aber auch so tief, daß sie dennoch der Weiseste nie ganz ausdenken könne. Dasselbe läßt sich wohl auch von dem Werke zu Bayreuth sagen. Wer sich liebevoll in das Werk vertieft, wird bei jeder Bayreuther Aufführung neue tiefere Gedankengänge und wunderbare Beziehungen entdecken, die es ihm im Geiste und Gemüte immer wieder näher bringen, so daß schließlich das Gesamtwirken Wagners für viele auch zu einem Führer im persönlichen Leben werden kann. Seit langem ist es in Bayreuth feststehender Brauch, in jedem Festspieljahr „Der Ring des Nibelungen" und „Parsifal" zur Darstellung zu bringen und dazu noch eins der anderen Werke auszuwählen. In diesem Jahre sind es „Die Meistersinger von Nürnberg", die sich in den Rahmen dieses künstlerischen Kultur¬ bildes einfügen. Der diesjährige Zyklus führt uns von den germanischen Urzeiten, also gleichsam von der Entstehung unseres Weltbildes an, durch die Welt der alt¬ germanischen Götter bis in jene Zeiten, da die gereiften ethischen Anschauungen in die germanischen Formen des Christentums übergehen. — Wird uns dies im Ring und Parsifal in überirdischer Gestalt, gleichsam symbolisch als Abglanz des innersten Kernes deutschen Wesens und Empfindens vor Augen geführt, so erkennen wir in den Meistersingern, wie sich eben dies selbe Wesen und Empfinden im Leben unseres deutschen Volkes immer wieder offenbart und bis in unsere Tage schaffend und kulturbildend am Werke ist. Im „Nheingolde" sehen wir die Welt zunächst noch im Urzustande völliger Unschuld. Wohl gibt es neben den Göttern auch schon dämonische Wesen wie die Riesen und die Nibelungenzwcrge, aber der Egoismus und mit ihm die verderblichen Leidenschaften sind noch nicht geweckt. Das Gold des Rheinstromes ruht auf dem Grunde zum unschuldigen Spiele und Ergötzen der Rheintöchter; die ihm seit je innewohnende Kraft, Sucht nach Reichtum und Macht zu erregen, schlummert noch unerkannt. Aber als Alberich von den Rheintöchtern in seiner Liebe verschmäht wird und von ihnen den geheimen Zauber des Goldes erfährt, flucht er der Liebe, gewinnt das Gold und bringt so den Egoismus in seinen beiden furchtbarsten Formen, der Lieblosigkeit gegen andere und der unersättlichen Habgier, die Macht verleihen soll, in die Welt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/326>, abgerufen am 29.12.2024.