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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Glänl'igorl'snachtciligmig und Privatbcainte

Alles Anthropomorphische des Göttlichen lag Goethe fern. Genau ein Jahr
vor seinein Tode schrieb er seinem Freunde Boisseröe: "Des religiösen Gefühls
wird sich kein Mensch erwehren. Dabei aber ist es ihm unmöglich, solches in
sich allein zu verarbeiten. Deswegen sucht er oder macht sich Proselyten. Das
letztere ist meine Art nicht. Das erstere hab' ich treulich durchgeführt und von
Erschaffung der Welt an keine Konfession gefunden, zu der ich mich völlig hätte
bekennen mögen. Nun erfahr' ich aber in meinen alten Tagen von einer Sekte
der Hypsistarier, welche, zwischen Heiden, Juden und Christen geklemmt, sich
erklärten: das Beste, Vollkommenste, was zu ihrer Kenntnis käme, zu schätzen,
zu bewundern, zu verehren und, insofern es also mit der Gottheit im nahen
Verhältnis stehen müsse, anzubeten. Da ward mir auf einmal aus einem
dunklen Zeitalter her ein frohes Licht. Denn ich fühlte, daß ich zeitlebens
getrachtet hatte, mich zum Hnpsistarier zu qualifizieren."

Die Hypsistarier waren eine um die Wende des dritten und vierten Jahr¬
hunderts nach Christi Geburt in Kappadozien verbreitete Sekte. Sie nahmen
das Dasein eines höchsten Wesens an, ohne es jedoch als Vater oder Schöpfer
der Welt zu betrachten.

Also: das Beste, Vollkommenste zu schätzen, zu bewundern, zu verehren
und anzubeten -- das war Goethes Religion.




Gläubigerbenachteiligung und jDrivatbeamte
von Aammergcrichtsrat Dr. Boethke

!le Klagen über die Rechtspflege wollen nicht verstummen. Schon
viel ist über die Gründe der Unzufriedenheit und die Mittel zu
ihrer Beseitigung gesprochen und geschrieben worden, und der Gesetz¬
geber sowohl als auch die Gerichte arbeiten unablässig daran, die
Klagen zu vermindern. Ein Teil der Klagen ist aber in der Natur
der Sache und in den, einstweilen unabänderlichen, sozialen Verhältnissen begründet.
Wer einen Prozeß verliert, wird sicher seinen Richter nicht loben; wer den Prozeß
gewinnt, ist häufig ebenfalls nicht zufrieden, weil er meint, daß das Gericht ihm
schneller und weniger umständlich sein "klares" Recht hätte gewähren können, in
vielen Fällen aber auch deshalb, weil er das Urteil nicht vollstrecken kann und
obendrein noch seinen Rechtsanwalt und einen Teil der Gerichtskosten bezahlen
muß. Der in der Unzufriedenheit über das Gerichtskostenwesen liegende Zündstoff
ließe sich durch eine Gesetzesänderung leicht beseitigen. Anders verhält es sich mit
den Klagen, die sich auf die Unmöglichkeit der Vollstreckung beziehen. Hier kann
in den meisten Fällen weder der Gesetzgeber noch das Gericht helfen. Denn die
Vollstreckungsschwierigkeit hat oft in der sozialen Lage des Schuldners ihren Grund,
nicht selten aber auch in dessen Bestreben, dem Gläubiger widerrechtlich die Mittel


Glänl'igorl'snachtciligmig und Privatbcainte

Alles Anthropomorphische des Göttlichen lag Goethe fern. Genau ein Jahr
vor seinein Tode schrieb er seinem Freunde Boisseröe: „Des religiösen Gefühls
wird sich kein Mensch erwehren. Dabei aber ist es ihm unmöglich, solches in
sich allein zu verarbeiten. Deswegen sucht er oder macht sich Proselyten. Das
letztere ist meine Art nicht. Das erstere hab' ich treulich durchgeführt und von
Erschaffung der Welt an keine Konfession gefunden, zu der ich mich völlig hätte
bekennen mögen. Nun erfahr' ich aber in meinen alten Tagen von einer Sekte
der Hypsistarier, welche, zwischen Heiden, Juden und Christen geklemmt, sich
erklärten: das Beste, Vollkommenste, was zu ihrer Kenntnis käme, zu schätzen,
zu bewundern, zu verehren und, insofern es also mit der Gottheit im nahen
Verhältnis stehen müsse, anzubeten. Da ward mir auf einmal aus einem
dunklen Zeitalter her ein frohes Licht. Denn ich fühlte, daß ich zeitlebens
getrachtet hatte, mich zum Hnpsistarier zu qualifizieren."

Die Hypsistarier waren eine um die Wende des dritten und vierten Jahr¬
hunderts nach Christi Geburt in Kappadozien verbreitete Sekte. Sie nahmen
das Dasein eines höchsten Wesens an, ohne es jedoch als Vater oder Schöpfer
der Welt zu betrachten.

Also: das Beste, Vollkommenste zu schätzen, zu bewundern, zu verehren
und anzubeten — das war Goethes Religion.




Gläubigerbenachteiligung und jDrivatbeamte
von Aammergcrichtsrat Dr. Boethke

!le Klagen über die Rechtspflege wollen nicht verstummen. Schon
viel ist über die Gründe der Unzufriedenheit und die Mittel zu
ihrer Beseitigung gesprochen und geschrieben worden, und der Gesetz¬
geber sowohl als auch die Gerichte arbeiten unablässig daran, die
Klagen zu vermindern. Ein Teil der Klagen ist aber in der Natur
der Sache und in den, einstweilen unabänderlichen, sozialen Verhältnissen begründet.
Wer einen Prozeß verliert, wird sicher seinen Richter nicht loben; wer den Prozeß
gewinnt, ist häufig ebenfalls nicht zufrieden, weil er meint, daß das Gericht ihm
schneller und weniger umständlich sein „klares" Recht hätte gewähren können, in
vielen Fällen aber auch deshalb, weil er das Urteil nicht vollstrecken kann und
obendrein noch seinen Rechtsanwalt und einen Teil der Gerichtskosten bezahlen
muß. Der in der Unzufriedenheit über das Gerichtskostenwesen liegende Zündstoff
ließe sich durch eine Gesetzesänderung leicht beseitigen. Anders verhält es sich mit
den Klagen, die sich auf die Unmöglichkeit der Vollstreckung beziehen. Hier kann
in den meisten Fällen weder der Gesetzgeber noch das Gericht helfen. Denn die
Vollstreckungsschwierigkeit hat oft in der sozialen Lage des Schuldners ihren Grund,
nicht selten aber auch in dessen Bestreben, dem Gläubiger widerrechtlich die Mittel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/25>, abgerufen am 29.12.2024.