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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Aolonialfragen

Ostafrikanische Verkehrspolitik -- Reform der Eingeboreneilbesteuerung -- Zentralbahn
und Kongostaat -- Belgische "Reformen" im Kongostaat -- Spaltung im südwest-
afrikcmischen Farmerbuud -- Farmerbund und Bund der Landwirte

Unsere ostafrikanische Verkehrspolitik ist augenblicklich auf einem toten
Punkt angelangt. Die Zentralbahn erreicht in nächster Zeit Tabora und die
Nordbahn den Kilimandjaro. normalerweise müßte man sich nun über den
Weiterbau der beiden Linien klar sein, die natürlich nicht in der Mitte des
Landes endigen dürfen, sondern das wichtigste Wirtschaftsgebiet der Kolonie, das
Gebiet der großen zentralafrikanischen Seen, erreichen müssen.

Hinsichtlich der Zentralbahn scheint man sich, nach der Stellungnahme
des Reichstages und allerlei amtlichen Auslassungen zu schließen, zum Weiter¬
bau nach Udjidji am Tanganjikasee entschlossen zu haben. Aber das ist offen¬
sichtlich mit zitternden: Herzen geschehen. Wenn man die wirtschaftliche Wirkung
der beiden Linien vergleicht, so müßte man eigentlich, um möglichst große
Erfolge zu erzielen, zuerst an den Ausbau der Nordbahn denken, denn sie hat
dem von ihr durchquerten Gebiet einen bedeutenden Aufschwung gebracht,
während die Zentralbahn bis jetzt gar nichts geleistet hat. Aber so dürfen wir leider
im vorliegenden Falle nicht denken. Die Nordbahn wird, auch wenn sie vorläufig
am Kilimandjaro stehen bleibt, dein Lande nützen. Die Zentralbahn bis Tabora
aber ist ein Torso, der sich in alle Ewigkeit weder direkt noch indirekt rentieren
würde, weil sie eben auf zwei Drittel ihres Verlaufs menschenarme, wenig oder gar
nicht entwicklungsfähige Steppenlandschaften durchzieht. Von den Wunder¬
dingen, die uns Dernburg seinerzeit über die Wirkung der Zentralbahn erzählte,
konnte daher nichts eintreffen. Eingeweihte haben dies damals vergeblich
prophezeit, Dernburg hat seinen Willen durchgesetzt, und die Suppe, die er
uns eingebrockt hat, gilt es jetzt aufzuessen. Den maßgebenden Leuten wird
der Kopf warm, wenn sie an die Verzinsung der Anleihen denken, welche die
Kolonie in den nächsten Jahren selbst aufzubringen hat. Das Gebiet der
Zentralbahn wird dazu vorläufig so gilt wie nichts beitragen können. Die
vorwiegend unter dein Druck der öffentlichen Meinung zustande gekommene
Nordbahn dagegen wird die Sitttation retten helfen. So liegen die Verhältnisse
augenblicklich. Und es bleibt der Regierung vorläufig kein anderer Ausweg,
als ihr Heil im Anziehen der Steuerschraube bei den Eingeborenen zu suchen.
Wir haben an dieser Stelle seit Jahren immer wieder eine Reform der
Eingeborenenbesteuerung empfohlen, und zwar die Umwandlung der im
wesentlichen veralteten Hüttensteuer in die ergiebigere und gerechtere Kopfsteuer.
Zu einer solchen Reform hat sich die Regierung jetzt entschlossen, und dieser
Schritt ist geeignet, ihr die Sorgen der Anleihenverzinsnng bis zu einem
gewissen Grade abzunehmen, ohne jedoch an der Tatsache etwas zu ändern,
daß die Verkehrsentwicklung der Kolonie in absehbarer Zeit ein langsameres
Tempo annehmen dürfte, als man vom Zustandekommen der Zentralbahn
seinerzeit irrtümlich erwmtete.


Reichsspiegel

Aolonialfragen

Ostafrikanische Verkehrspolitik — Reform der Eingeboreneilbesteuerung — Zentralbahn
und Kongostaat — Belgische „Reformen" im Kongostaat — Spaltung im südwest-
afrikcmischen Farmerbuud — Farmerbund und Bund der Landwirte

Unsere ostafrikanische Verkehrspolitik ist augenblicklich auf einem toten
Punkt angelangt. Die Zentralbahn erreicht in nächster Zeit Tabora und die
Nordbahn den Kilimandjaro. normalerweise müßte man sich nun über den
Weiterbau der beiden Linien klar sein, die natürlich nicht in der Mitte des
Landes endigen dürfen, sondern das wichtigste Wirtschaftsgebiet der Kolonie, das
Gebiet der großen zentralafrikanischen Seen, erreichen müssen.

Hinsichtlich der Zentralbahn scheint man sich, nach der Stellungnahme
des Reichstages und allerlei amtlichen Auslassungen zu schließen, zum Weiter¬
bau nach Udjidji am Tanganjikasee entschlossen zu haben. Aber das ist offen¬
sichtlich mit zitternden: Herzen geschehen. Wenn man die wirtschaftliche Wirkung
der beiden Linien vergleicht, so müßte man eigentlich, um möglichst große
Erfolge zu erzielen, zuerst an den Ausbau der Nordbahn denken, denn sie hat
dem von ihr durchquerten Gebiet einen bedeutenden Aufschwung gebracht,
während die Zentralbahn bis jetzt gar nichts geleistet hat. Aber so dürfen wir leider
im vorliegenden Falle nicht denken. Die Nordbahn wird, auch wenn sie vorläufig
am Kilimandjaro stehen bleibt, dein Lande nützen. Die Zentralbahn bis Tabora
aber ist ein Torso, der sich in alle Ewigkeit weder direkt noch indirekt rentieren
würde, weil sie eben auf zwei Drittel ihres Verlaufs menschenarme, wenig oder gar
nicht entwicklungsfähige Steppenlandschaften durchzieht. Von den Wunder¬
dingen, die uns Dernburg seinerzeit über die Wirkung der Zentralbahn erzählte,
konnte daher nichts eintreffen. Eingeweihte haben dies damals vergeblich
prophezeit, Dernburg hat seinen Willen durchgesetzt, und die Suppe, die er
uns eingebrockt hat, gilt es jetzt aufzuessen. Den maßgebenden Leuten wird
der Kopf warm, wenn sie an die Verzinsung der Anleihen denken, welche die
Kolonie in den nächsten Jahren selbst aufzubringen hat. Das Gebiet der
Zentralbahn wird dazu vorläufig so gilt wie nichts beitragen können. Die
vorwiegend unter dein Druck der öffentlichen Meinung zustande gekommene
Nordbahn dagegen wird die Sitttation retten helfen. So liegen die Verhältnisse
augenblicklich. Und es bleibt der Regierung vorläufig kein anderer Ausweg,
als ihr Heil im Anziehen der Steuerschraube bei den Eingeborenen zu suchen.
Wir haben an dieser Stelle seit Jahren immer wieder eine Reform der
Eingeborenenbesteuerung empfohlen, und zwar die Umwandlung der im
wesentlichen veralteten Hüttensteuer in die ergiebigere und gerechtere Kopfsteuer.
Zu einer solchen Reform hat sich die Regierung jetzt entschlossen, und dieser
Schritt ist geeignet, ihr die Sorgen der Anleihenverzinsnng bis zu einem
gewissen Grade abzunehmen, ohne jedoch an der Tatsache etwas zu ändern,
daß die Verkehrsentwicklung der Kolonie in absehbarer Zeit ein langsameres
Tempo annehmen dürfte, als man vom Zustandekommen der Zentralbahn
seinerzeit irrtümlich erwmtete.


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[0386] Reichsspiegel Aolonialfragen Ostafrikanische Verkehrspolitik — Reform der Eingeboreneilbesteuerung — Zentralbahn und Kongostaat — Belgische „Reformen" im Kongostaat — Spaltung im südwest- afrikcmischen Farmerbuud — Farmerbund und Bund der Landwirte Unsere ostafrikanische Verkehrspolitik ist augenblicklich auf einem toten Punkt angelangt. Die Zentralbahn erreicht in nächster Zeit Tabora und die Nordbahn den Kilimandjaro. normalerweise müßte man sich nun über den Weiterbau der beiden Linien klar sein, die natürlich nicht in der Mitte des Landes endigen dürfen, sondern das wichtigste Wirtschaftsgebiet der Kolonie, das Gebiet der großen zentralafrikanischen Seen, erreichen müssen. Hinsichtlich der Zentralbahn scheint man sich, nach der Stellungnahme des Reichstages und allerlei amtlichen Auslassungen zu schließen, zum Weiter¬ bau nach Udjidji am Tanganjikasee entschlossen zu haben. Aber das ist offen¬ sichtlich mit zitternden: Herzen geschehen. Wenn man die wirtschaftliche Wirkung der beiden Linien vergleicht, so müßte man eigentlich, um möglichst große Erfolge zu erzielen, zuerst an den Ausbau der Nordbahn denken, denn sie hat dem von ihr durchquerten Gebiet einen bedeutenden Aufschwung gebracht, während die Zentralbahn bis jetzt gar nichts geleistet hat. Aber so dürfen wir leider im vorliegenden Falle nicht denken. Die Nordbahn wird, auch wenn sie vorläufig am Kilimandjaro stehen bleibt, dein Lande nützen. Die Zentralbahn bis Tabora aber ist ein Torso, der sich in alle Ewigkeit weder direkt noch indirekt rentieren würde, weil sie eben auf zwei Drittel ihres Verlaufs menschenarme, wenig oder gar nicht entwicklungsfähige Steppenlandschaften durchzieht. Von den Wunder¬ dingen, die uns Dernburg seinerzeit über die Wirkung der Zentralbahn erzählte, konnte daher nichts eintreffen. Eingeweihte haben dies damals vergeblich prophezeit, Dernburg hat seinen Willen durchgesetzt, und die Suppe, die er uns eingebrockt hat, gilt es jetzt aufzuessen. Den maßgebenden Leuten wird der Kopf warm, wenn sie an die Verzinsung der Anleihen denken, welche die Kolonie in den nächsten Jahren selbst aufzubringen hat. Das Gebiet der Zentralbahn wird dazu vorläufig so gilt wie nichts beitragen können. Die vorwiegend unter dein Druck der öffentlichen Meinung zustande gekommene Nordbahn dagegen wird die Sitttation retten helfen. So liegen die Verhältnisse augenblicklich. Und es bleibt der Regierung vorläufig kein anderer Ausweg, als ihr Heil im Anziehen der Steuerschraube bei den Eingeborenen zu suchen. Wir haben an dieser Stelle seit Jahren immer wieder eine Reform der Eingeborenenbesteuerung empfohlen, und zwar die Umwandlung der im wesentlichen veralteten Hüttensteuer in die ergiebigere und gerechtere Kopfsteuer. Zu einer solchen Reform hat sich die Regierung jetzt entschlossen, und dieser Schritt ist geeignet, ihr die Sorgen der Anleihenverzinsnng bis zu einem gewissen Grade abzunehmen, ohne jedoch an der Tatsache etwas zu ändern, daß die Verkehrsentwicklung der Kolonie in absehbarer Zeit ein langsameres Tempo annehmen dürfte, als man vom Zustandekommen der Zentralbahn seinerzeit irrtümlich erwmtete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/386>, abgerufen am 29.06.2024.