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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der rote Rausch

erreichen den Feind nicht. Es wäre ein Schwertkampf zweier Gegner mit zu
weiter Distanz, als daß die Schwerter sich berühren könnten.

Wir lehnen von vornherein jeden Versuch ab, lediglich mit den in aller
dem natürlichen Leben zugewandten Wissenschaft geübten und genügenden
Methoden an die Geschichte des Heils heranzutreten. Die Analogie mit dem
zu jeder Zeit und von jedem, der an der allgemeinen natürlichen Vernunft Anteil
hat, Erfahrbaren betrachten wir als einen zu kurzen Maßstab, um die christliche
Wahrheit auszumessen. Nur der begreift den Dichter ganz, der ihm kongenial
ist, nicht die Menge. Nicht jedem sind die Schönheiten eines Kunstwerks zu¬
gänglich, der sich betrachtend vor dasselbe hinstellt, sondern nur dem, der die
Wunderblume eines künstlerisch empfindenden Gemütes als Schlüssel mit sich
trägt. Keine wissenschaftliche Methode kann den Mangel dieser Grundvoraus¬
setzung ersetzen. So muß auch im Menschen ein Neues gegeben, müssen neue
Tiefen des Gemütes aufgeschlossen, muß, nach christlicher Ausdrucksweise, Gnade
wirksam sein, wenn die Gottestat des Evangeliums das rechte Verständnis
finden soll.




Der rote Rausch
Joseph Aug. Lux Roman von
II.
Der Tempel des Götzen.

Gaston hatte, mit guten Empfehlungen in der Tasche, Glück in Paris. Weil
er sich auf Weinwirtschaft verstand, hatte er in den Kellereien des Weinfabrikanten
Jules L6fövre eine Stelle gefunden mit der Aussicht, einst Kellermeister in dem
berühmten Hause zu werden. War es nicht eine der bekannten Ironien des
Schicksals, daß Gaston gerade an diesen Mann geriet, der Präsident des Syndikats
der Pariser Weinindustriellen war und als solcher den Krieg mit den Winzern
aus dem Süden führte, mit denselben Winzern, die, von Marcellin geleitet,
entschlossen waren, bis ans Messer zu gehen?

Auch Jules Löfövre war einst als armer Kellnerbnrsche aus dem Süden nach
Paris gekommen. Er besaß damals kaum so viel wie Gaston, und heute war er
ein König der Börse, einer, der über ungezählte Millionen gebot, ein ungekrönter
Herrscher, der die Weinprovinzen Südfrankreichs glücklich machen oder, wenn es
ihn gelüstete, sie mit einem Schlag vernichten konnte. Jetzt besaß er ein vornehmes
Hotel in den Champs Elysses; in seinen Salons war man den Finanzminister
(Löfövres intimen Freund), den Ministerpräsidenten, viele Deputierte, Gebmtsadel,
Finanzaristvkratie, militärische Würdenträger zu sehen gewohnt. Und er war es,
der ganz Paris, -- ach, nicht nur Paris! -- mit billigem Rotwein versorgte und
dessen Name täglich ans ungezählten Hunderttausenden Etiketten bis zum ärmsten
Mittagtisch des Pariser Arbeiters herunter zu lesen war:


Der rote Rausch

erreichen den Feind nicht. Es wäre ein Schwertkampf zweier Gegner mit zu
weiter Distanz, als daß die Schwerter sich berühren könnten.

Wir lehnen von vornherein jeden Versuch ab, lediglich mit den in aller
dem natürlichen Leben zugewandten Wissenschaft geübten und genügenden
Methoden an die Geschichte des Heils heranzutreten. Die Analogie mit dem
zu jeder Zeit und von jedem, der an der allgemeinen natürlichen Vernunft Anteil
hat, Erfahrbaren betrachten wir als einen zu kurzen Maßstab, um die christliche
Wahrheit auszumessen. Nur der begreift den Dichter ganz, der ihm kongenial
ist, nicht die Menge. Nicht jedem sind die Schönheiten eines Kunstwerks zu¬
gänglich, der sich betrachtend vor dasselbe hinstellt, sondern nur dem, der die
Wunderblume eines künstlerisch empfindenden Gemütes als Schlüssel mit sich
trägt. Keine wissenschaftliche Methode kann den Mangel dieser Grundvoraus¬
setzung ersetzen. So muß auch im Menschen ein Neues gegeben, müssen neue
Tiefen des Gemütes aufgeschlossen, muß, nach christlicher Ausdrucksweise, Gnade
wirksam sein, wenn die Gottestat des Evangeliums das rechte Verständnis
finden soll.




Der rote Rausch
Joseph Aug. Lux Roman von
II.
Der Tempel des Götzen.

Gaston hatte, mit guten Empfehlungen in der Tasche, Glück in Paris. Weil
er sich auf Weinwirtschaft verstand, hatte er in den Kellereien des Weinfabrikanten
Jules L6fövre eine Stelle gefunden mit der Aussicht, einst Kellermeister in dem
berühmten Hause zu werden. War es nicht eine der bekannten Ironien des
Schicksals, daß Gaston gerade an diesen Mann geriet, der Präsident des Syndikats
der Pariser Weinindustriellen war und als solcher den Krieg mit den Winzern
aus dem Süden führte, mit denselben Winzern, die, von Marcellin geleitet,
entschlossen waren, bis ans Messer zu gehen?

Auch Jules Löfövre war einst als armer Kellnerbnrsche aus dem Süden nach
Paris gekommen. Er besaß damals kaum so viel wie Gaston, und heute war er
ein König der Börse, einer, der über ungezählte Millionen gebot, ein ungekrönter
Herrscher, der die Weinprovinzen Südfrankreichs glücklich machen oder, wenn es
ihn gelüstete, sie mit einem Schlag vernichten konnte. Jetzt besaß er ein vornehmes
Hotel in den Champs Elysses; in seinen Salons war man den Finanzminister
(Löfövres intimen Freund), den Ministerpräsidenten, viele Deputierte, Gebmtsadel,
Finanzaristvkratie, militärische Würdenträger zu sehen gewohnt. Und er war es,
der ganz Paris, — ach, nicht nur Paris! — mit billigem Rotwein versorgte und
dessen Name täglich ans ungezählten Hunderttausenden Etiketten bis zum ärmsten
Mittagtisch des Pariser Arbeiters herunter zu lesen war:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/585>, abgerufen am 27.12.2024.