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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der rote Rausch

Der rote Rausch
Joseph Aug, Lux Roman von
I.
Die Hand Gottes

>s war die Zeit, von der der Prophet verkündete: "Es werden
die Berge triefen von Most und in Milch die Hügel schwimmen,
und das Joch der Arbeit wird von jedem genommen sein!"

Das Geschmetter des Winzerhorns, ein gelber Messingvogel, hing
Im der blauen Luft über den schwellenden Bergen.

Man rüstete zum Weinlesefest. So groß war der Segen, daß die ältesten
Leute sich nicht einer solchen lastenden Fülle entsinnen konnten.

So groß war er, daß den Winzern bang vor Freude wurde. Das Glück warf
einen Schatten voraus, die Lebenslust schien furchtbefallen; ein Seher deutete den
Segen als übles Zeichen. Seine Stimme erhob sich in dem dionysischen Jubel
der Weinlese. Der Ruf des Schicksals? Die Geburt der Tragödie?

Es war der blinde Joachim, den die Leute seines Ortes als Propheten verehren.
Die Haut liegt pergamentartig um seine riesigen Knochen, er hält das Gesicht aufwärts,
als ob er beständig in die Sonne schauen würde. Er hat so viel gesehen und weissagt
aus der Vergangenheit die Zukunft. Scharen von Kindern und Weiber sind um ihn
her. Er soll sagen, ob dieser Weinsegen auch in den kommenden Jahren bestehen
und demnach der einstige Reichtum wieder aufblühen werde.

Der Alte erhebt die Hand und ruft mit sonnenwärts gewendetem Antlitz-
"Die Flüsse und Bäche und Brunnen werden rot fließen, rot vom roten Blut!
Alles Blut I"

"Das wird der Wein sein, der rote Wein, Joachim!" riefen die Leute zugleich.

Und auf all diesen sanft gereihten Hügeln schlief der junge Wein, von Blätter-
fingern behütet, von der warmen Herbstsonne auf die rot und röter werdenden
Wangen geküßt, und von den sanften Winden geschaukelt, die von dem nahen blauen
Meer geschickt waren, und von den leise murmelnden Wellen der Flüsse und Bäche
eingesungen, die mit silbernen Füßen in den Talfurchen hinuntersprangen.

Und das rote Blut der Erde stieg in die Wangen des jungen, stirnbekränzten
Weingottes, der sich reckte und streckte, sich die Augen rieb und auf diesen wohligen
Hügeln wie auf weichen Pfühlen erwachen wollte.

Der süße Rausch!

Noch liegt er glühend und gefangen in den fest verschlossenen Kelchen, die
dicht nebeneinander all die Hänge hinauf und hinab gereiht sind, und er blickt mit
hunderttausend Nebenaugen traumhaft in die Welt. Bald, aber bald wird er seine
Wände sprengen und die Herzen der Menschen erfüllen mit Kraft, Begeisterung,
Glück, mit all dem namenlosen Glück, das noch geheimnisvoll und verheißend auf
allen diesen Höhen leuchtet.

Weinlesezeit!

Tausende von Arbeitshänden kribbeln zwischen den Weinstöcken, aber es ist,
wie der Prophet gesagt hat, das Joch der Arbeit von allen genommen. Denn
was sonst Arbeit heißt als Last und Lebensmühe, ist um diese Zeit verwandelt in.


Der rote Rausch

Der rote Rausch
Joseph Aug, Lux Roman von
I.
Die Hand Gottes

>s war die Zeit, von der der Prophet verkündete: „Es werden
die Berge triefen von Most und in Milch die Hügel schwimmen,
und das Joch der Arbeit wird von jedem genommen sein!"

Das Geschmetter des Winzerhorns, ein gelber Messingvogel, hing
Im der blauen Luft über den schwellenden Bergen.

Man rüstete zum Weinlesefest. So groß war der Segen, daß die ältesten
Leute sich nicht einer solchen lastenden Fülle entsinnen konnten.

So groß war er, daß den Winzern bang vor Freude wurde. Das Glück warf
einen Schatten voraus, die Lebenslust schien furchtbefallen; ein Seher deutete den
Segen als übles Zeichen. Seine Stimme erhob sich in dem dionysischen Jubel
der Weinlese. Der Ruf des Schicksals? Die Geburt der Tragödie?

Es war der blinde Joachim, den die Leute seines Ortes als Propheten verehren.
Die Haut liegt pergamentartig um seine riesigen Knochen, er hält das Gesicht aufwärts,
als ob er beständig in die Sonne schauen würde. Er hat so viel gesehen und weissagt
aus der Vergangenheit die Zukunft. Scharen von Kindern und Weiber sind um ihn
her. Er soll sagen, ob dieser Weinsegen auch in den kommenden Jahren bestehen
und demnach der einstige Reichtum wieder aufblühen werde.

Der Alte erhebt die Hand und ruft mit sonnenwärts gewendetem Antlitz-
„Die Flüsse und Bäche und Brunnen werden rot fließen, rot vom roten Blut!
Alles Blut I"

„Das wird der Wein sein, der rote Wein, Joachim!" riefen die Leute zugleich.

Und auf all diesen sanft gereihten Hügeln schlief der junge Wein, von Blätter-
fingern behütet, von der warmen Herbstsonne auf die rot und röter werdenden
Wangen geküßt, und von den sanften Winden geschaukelt, die von dem nahen blauen
Meer geschickt waren, und von den leise murmelnden Wellen der Flüsse und Bäche
eingesungen, die mit silbernen Füßen in den Talfurchen hinuntersprangen.

Und das rote Blut der Erde stieg in die Wangen des jungen, stirnbekränzten
Weingottes, der sich reckte und streckte, sich die Augen rieb und auf diesen wohligen
Hügeln wie auf weichen Pfühlen erwachen wollte.

Der süße Rausch!

Noch liegt er glühend und gefangen in den fest verschlossenen Kelchen, die
dicht nebeneinander all die Hänge hinauf und hinab gereiht sind, und er blickt mit
hunderttausend Nebenaugen traumhaft in die Welt. Bald, aber bald wird er seine
Wände sprengen und die Herzen der Menschen erfüllen mit Kraft, Begeisterung,
Glück, mit all dem namenlosen Glück, das noch geheimnisvoll und verheißend auf
allen diesen Höhen leuchtet.

Weinlesezeit!

Tausende von Arbeitshänden kribbeln zwischen den Weinstöcken, aber es ist,
wie der Prophet gesagt hat, das Joch der Arbeit von allen genommen. Denn
was sonst Arbeit heißt als Last und Lebensmühe, ist um diese Zeit verwandelt in.


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[0490] Der rote Rausch Der rote Rausch Joseph Aug, Lux Roman von I. Die Hand Gottes >s war die Zeit, von der der Prophet verkündete: „Es werden die Berge triefen von Most und in Milch die Hügel schwimmen, und das Joch der Arbeit wird von jedem genommen sein!" Das Geschmetter des Winzerhorns, ein gelber Messingvogel, hing Im der blauen Luft über den schwellenden Bergen. Man rüstete zum Weinlesefest. So groß war der Segen, daß die ältesten Leute sich nicht einer solchen lastenden Fülle entsinnen konnten. So groß war er, daß den Winzern bang vor Freude wurde. Das Glück warf einen Schatten voraus, die Lebenslust schien furchtbefallen; ein Seher deutete den Segen als übles Zeichen. Seine Stimme erhob sich in dem dionysischen Jubel der Weinlese. Der Ruf des Schicksals? Die Geburt der Tragödie? Es war der blinde Joachim, den die Leute seines Ortes als Propheten verehren. Die Haut liegt pergamentartig um seine riesigen Knochen, er hält das Gesicht aufwärts, als ob er beständig in die Sonne schauen würde. Er hat so viel gesehen und weissagt aus der Vergangenheit die Zukunft. Scharen von Kindern und Weiber sind um ihn her. Er soll sagen, ob dieser Weinsegen auch in den kommenden Jahren bestehen und demnach der einstige Reichtum wieder aufblühen werde. Der Alte erhebt die Hand und ruft mit sonnenwärts gewendetem Antlitz- „Die Flüsse und Bäche und Brunnen werden rot fließen, rot vom roten Blut! Alles Blut I" „Das wird der Wein sein, der rote Wein, Joachim!" riefen die Leute zugleich. Und auf all diesen sanft gereihten Hügeln schlief der junge Wein, von Blätter- fingern behütet, von der warmen Herbstsonne auf die rot und röter werdenden Wangen geküßt, und von den sanften Winden geschaukelt, die von dem nahen blauen Meer geschickt waren, und von den leise murmelnden Wellen der Flüsse und Bäche eingesungen, die mit silbernen Füßen in den Talfurchen hinuntersprangen. Und das rote Blut der Erde stieg in die Wangen des jungen, stirnbekränzten Weingottes, der sich reckte und streckte, sich die Augen rieb und auf diesen wohligen Hügeln wie auf weichen Pfühlen erwachen wollte. Der süße Rausch! Noch liegt er glühend und gefangen in den fest verschlossenen Kelchen, die dicht nebeneinander all die Hänge hinauf und hinab gereiht sind, und er blickt mit hunderttausend Nebenaugen traumhaft in die Welt. Bald, aber bald wird er seine Wände sprengen und die Herzen der Menschen erfüllen mit Kraft, Begeisterung, Glück, mit all dem namenlosen Glück, das noch geheimnisvoll und verheißend auf allen diesen Höhen leuchtet. Weinlesezeit! Tausende von Arbeitshänden kribbeln zwischen den Weinstöcken, aber es ist, wie der Prophet gesagt hat, das Joch der Arbeit von allen genommen. Denn was sonst Arbeit heißt als Last und Lebensmühe, ist um diese Zeit verwandelt in.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/490>, abgerufen am 27.12.2024.