Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel Reichsspiegel Politik Herrn v. Bethmnims Regierungskunst -- Die elsasz-lothringische Aersassungsfrage in der Sackgasse -- Nationalliberale und Deutschkonservative -- Aus der Gedankenwelt der Nation -- Niedergang der konservativen Parteien -- Adolf Grabowskys Knltnr- konservatismns -- Kaiser und Kanzler im Lnndwirtschaftsrat, Die Regierungskunst des fünften Reichskanzlers hat wieder eine Grenzvoten I 1911 SV
Reichsspiegel Reichsspiegel Politik Herrn v. Bethmnims Regierungskunst — Die elsasz-lothringische Aersassungsfrage in der Sackgasse — Nationalliberale und Deutschkonservative — Aus der Gedankenwelt der Nation — Niedergang der konservativen Parteien — Adolf Grabowskys Knltnr- konservatismns — Kaiser und Kanzler im Lnndwirtschaftsrat, Die Regierungskunst des fünften Reichskanzlers hat wieder eine Grenzvoten I 1911 SV
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Reichsspiegel
Reichsspiegel
Politik
Herrn v. Bethmnims Regierungskunst — Die elsasz-lothringische Aersassungsfrage in
der Sackgasse — Nationalliberale und Deutschkonservative — Aus der Gedankenwelt
der Nation — Niedergang der konservativen Parteien — Adolf Grabowskys Knltnr-
konservatismns — Kaiser und Kanzler im Lnndwirtschaftsrat,
Die Regierungskunst des fünften Reichskanzlers hat wieder eine
Reihe von Mißerfolgen zu verzeichnen. Das ist so etwa die unerfreuliche
Signatur der abgelaufenen vierzehn Tage. Am 14. d. Mes. zerschnitt Herr
v. Hendebrand rücksichtslos das Tischtuch zwischen Konservativen und Liberalen,
und am 16. sah sich der Staatssekretär des Innern, Herr Dr. Delbrück, genötigt,
den Negierungsentwurf für eine neue Verfassung in den Reichslanden aus der
21. Kommission des Reichstages zurückzuziehen. Vom Gerichtsverfassuugsgesetz
wollen wir ebensowenig sprechen wie von dem Entwurf über Arbeitskammern:
beide Entwürfe befinden sich auf dem toten Strange. Wer sich nicht von vorn¬
herein darüber Rechenschaft gegeben hat, der wird wohl nun zur Überzeugung
kommen, daß sich die Formel des Herrn Reichskanzlers, die Parteien durch Arbeit
zusammenzuführen, als unwirksam erwiesen hat. Ist es ein Wunder? Ist
sie auf nichtbureaukratische Organismen, wie es gewählte Volksvertretungen nun
einmal sind, überhaupt anzuwenden und noch dazu einem vor der Auflösung
stehenden Reichstage gegenüber? So sehr die Formel den Menschen und Beamten,
der sie aufstellt, ehrt, so sehr muß sie deu Staatsmann, dessen Aufgaben nicht
in erster Linie im „Erziehen", sondern im „Ausnutzen" bestehen, verkleinern. Es
läßt sich denken, daß der Chef einer verlotterten Behörde seine Beamten zur
Pflicht „erziehen" kann, indem er sie vor große und schwierige, ihren Ehrgeiz
weckende Aufgaben stellt, unerreichbar oder doch kaum erreichbar aber erscheint
das Ziel einer Volksvertretung gegenüber, die so viele Einzelinteressen nationaler,
wirtschaftlicher, sozialer und partikulärer Art zu vertreten hat, wie die deutsche
und in der jeder einzelne Abgeordnete unzähligen Einflüsse« und Ansprüchen unter¬
worfen ist. Hier kämpfen nicht nur drei Weltanschauungen gegeneinander an, die
der Reichskanzler dem Staatswohl nutzbar zu machen hat. Die Landwirtschaft ist in
Grundbesitzer und Bauern gespalten; die übrigen Gewerbe ringen in schweren
Kämpfen nach einer einigenden Parole; die Liberalen suchen eine Schutzwehr
gegen die triumphierende Demokratie zu errichten; die Mehrheit der Konservativen
aber hält sich je länger um so mehr von der politischen Betätigung zurück, um
der durch den Bund der Landwirte aufgesogenen deutschkonservativen Partei
nicht in den Rücken fallen zu müssen. Zu allein diesen: Durcheinander von
Sonderbestrebungen tritt dann noch hemmend für die guten Absichten des Kanzlers
die Nähe der Neuwahlen. Das Scheitern der Neichsfinanzreform — die Reform,
d. h. die beabsichtigte großzügige, gründliche Reform, ist gescheitert, trotz allen
gegenteiligen Behauptungen von rechts und trotz allen Beschönigungsversuchen
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