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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Liebe gesehen und wirken in all ihren Ab¬
stufungen zum Bilde eines gemeinsamen
Schicksals zusammen. In der Notwehr um
die Wahrheit, die über die Seele innerste
Macht gewonnen hat, und um die Treue des
Gewissens gegen sich selbst scheiden sich die
Geister und ein jeder läßt seines Wesens Art
offenbar werden. Neben den Aufrechten,
Trotzige" und Geduldigen stehen Wankende
und Gebrochene, Unbewegte und gleichmütig
Kluge, lind auch denen, die am alten Glauben
hängen und ihm zu dienen bermeinen mit
Gewalt und Blutvergießen, hat der Dichter
gerecht zu werden versucht --- freilich ist ihm
der Reitermöuch, der in inbrünstiger Hingabe
bor dem Bilde der heiligen Jungfrau seine
Hände wäscht, nicht voll überzeugend gelungen.
Die Deutlichkeit seiner Gestalt ist zu kurz ge¬
kommen, bei der sonst so bcwundernswert
sicheren Sparsamkeit in der Charakteristik,

Was in Schnuherrs neuem Werk so be¬
zwingend wahr und so voll lebendig wirkt,
das erwächst ihm aus dem Schoß der Heimat¬
erde, aus dem Volkstum seines StnuuneS,
mit dem er sich zu innerst eins fühlt. Aber
so hoch emporgereckt über alle örtliche und
zeitliche Bedingtheit haben sich doch seine
Menschen noch nie znbor. Seine Dichtung
bedeutet einen neuen kräftigen Schritt dein
Drama entgegen, das aus der sicheren Wirk-
lichkeiiSbeherrschunguusererTngc ewig gültiges
Th, H. Seeleuschicksal gestalten wird.

Bildungsfragen

Prof. I)r. Otto Collatz: Die wahre
Konzentration in" Gymnasialunterricht. Zu¬
gleich ein Beitrag zur Uberbürduugsfrage.
Berlin Vortag von Wiegand u, Griebe",

Seit eine"! Jahrzehnt ist das Gymnasial-
monopvl beseitigt. Denjenigen Elementen,
welche für die humanistische Bildung un¬
geeignet oder ihr abhold sind, ist die Bahn
freigegeben worden, zahlreiche Möglichkeiten
der Fortbildung und der Praktischen Betätigung
auf Grund einer mit dem Leben der Gegen¬
wart unmittelbar und eng verknüpften Bildung
zu gewumen. Man hoffte, daß sich nunmehr-
eine kleinere, auserwählte Gemeinde im
Ghmnasium zusammenfinden würde, aber
dennoch macht sich hier eine gewisse Ver¬
drossenheit bemerkbar, und die Uberbürdungs-

[Spaltenumbruch]

klnge ist nicht verstummt. Selbst das von
der Unterrichtsvorwaltung gebilligte Prinzip,
durch eine freiere Gestaltung des Unterrichts
auf der Oberstufe der Individualität der
Schüler Rechnung zu tragen, scheint nicht die
erwünschten Aussichten auf eine weitgehende
Befriedigung der beteiligten Kreise zu ge¬
währen. In der vorliegenden Broschüre wird
auf deu Maugel an Konzentration im Unter¬
richt als auf eine" sehr wesentlichen Grund
des Mißbehagens hingewiesen und behufs
seiner Beseitigung der Vorschlag gemacht, die
übliche Behandlung beinahe aller Gymnasial¬
fächer in einem Nebeneinander, innerhalb
gewisser Grenzen durch ein Nacheinander zu
ersetzen, Collatz meint, daß es sehr Wohl
möglich sei, in jeder Klasse, abgesehen vom
technischen und fakultativen Unterricht, mit
fünf bis sechs verschiedenen Fächern auszu¬
kommen, wenn man sich dazu entschließt,
gewisse Lehrgegenstände (etwa Erdkunde,
Geschichte, Naturkunde, Französisch usw,) oder
ihre Teilgebiete in geeigneter Reihenfolge in
bestimmten Klassen voni Lehrplan verschwinde"
zu lasse", um sie zur geeigneten Zeit wieder
aufzunehmen. Den Einwurf, daß die Uiiter-
brechnug der Kontinuität des UuterrichK
Wege" der Gefahr des Vergessens eine
ungeheure, vou Lehrern und Schule'rü zu
leistende Mehrarbeit bedeuten würde, sucht
Collatz durch Bcvbcichtuugeu über Leistungen
des Gedächtnisses, insbesondere auch durch
Feststellungen der eKerimentell-Pstichologischen
Gedächtnisforschnng zu Widerlegen, In der
Tat erfordert das Wiedererlernen selbst vor
langer Zeit gelernter, scheinbar völlig ver¬
gessener Stoffe nur einen kleinen Bruchteil
der Zeit, der zur Aneignung neuer Stosse
nötig ist, Der Umstand, daß das Vergessen
eines erlernten Stoffes anfangs schnell, dann
immer langsamer erfolgt, läßt es, nach Colwv,
sogar sehr zweckmäßig erscheinen, die Be¬
handlung eines Lehrfachs zeitlich zusammen¬
zudrängen, denn dadurch wird eine größere
Befestigung der neuerworbenen, vom Ver¬
gessen am meisten bedrohten Burstellungen
erzielt und somit die nach längerer Pause
vorzunehmende Wiedererlernnng begünstigt.
Der Einwand, daß namhafte Vertreter der
Psychologie, z. B, Ebbinghaus, auf Grund
von Untersuchungen über die Ökonomie des

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Liebe gesehen und wirken in all ihren Ab¬
stufungen zum Bilde eines gemeinsamen
Schicksals zusammen. In der Notwehr um
die Wahrheit, die über die Seele innerste
Macht gewonnen hat, und um die Treue des
Gewissens gegen sich selbst scheiden sich die
Geister und ein jeder läßt seines Wesens Art
offenbar werden. Neben den Aufrechten,
Trotzige» und Geduldigen stehen Wankende
und Gebrochene, Unbewegte und gleichmütig
Kluge, lind auch denen, die am alten Glauben
hängen und ihm zu dienen bermeinen mit
Gewalt und Blutvergießen, hat der Dichter
gerecht zu werden versucht --- freilich ist ihm
der Reitermöuch, der in inbrünstiger Hingabe
bor dem Bilde der heiligen Jungfrau seine
Hände wäscht, nicht voll überzeugend gelungen.
Die Deutlichkeit seiner Gestalt ist zu kurz ge¬
kommen, bei der sonst so bcwundernswert
sicheren Sparsamkeit in der Charakteristik,

Was in Schnuherrs neuem Werk so be¬
zwingend wahr und so voll lebendig wirkt,
das erwächst ihm aus dem Schoß der Heimat¬
erde, aus dem Volkstum seines StnuuneS,
mit dem er sich zu innerst eins fühlt. Aber
so hoch emporgereckt über alle örtliche und
zeitliche Bedingtheit haben sich doch seine
Menschen noch nie znbor. Seine Dichtung
bedeutet einen neuen kräftigen Schritt dein
Drama entgegen, das aus der sicheren Wirk-
lichkeiiSbeherrschunguusererTngc ewig gültiges
Th, H. Seeleuschicksal gestalten wird.

Bildungsfragen

Prof. I)r. Otto Collatz: Die wahre
Konzentration in» Gymnasialunterricht. Zu¬
gleich ein Beitrag zur Uberbürduugsfrage.
Berlin Vortag von Wiegand u, Griebe»,

Seit eine»! Jahrzehnt ist das Gymnasial-
monopvl beseitigt. Denjenigen Elementen,
welche für die humanistische Bildung un¬
geeignet oder ihr abhold sind, ist die Bahn
freigegeben worden, zahlreiche Möglichkeiten
der Fortbildung und der Praktischen Betätigung
auf Grund einer mit dem Leben der Gegen¬
wart unmittelbar und eng verknüpften Bildung
zu gewumen. Man hoffte, daß sich nunmehr-
eine kleinere, auserwählte Gemeinde im
Ghmnasium zusammenfinden würde, aber
dennoch macht sich hier eine gewisse Ver¬
drossenheit bemerkbar, und die Uberbürdungs-

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klnge ist nicht verstummt. Selbst das von
der Unterrichtsvorwaltung gebilligte Prinzip,
durch eine freiere Gestaltung des Unterrichts
auf der Oberstufe der Individualität der
Schüler Rechnung zu tragen, scheint nicht die
erwünschten Aussichten auf eine weitgehende
Befriedigung der beteiligten Kreise zu ge¬
währen. In der vorliegenden Broschüre wird
auf deu Maugel an Konzentration im Unter¬
richt als auf eine» sehr wesentlichen Grund
des Mißbehagens hingewiesen und behufs
seiner Beseitigung der Vorschlag gemacht, die
übliche Behandlung beinahe aller Gymnasial¬
fächer in einem Nebeneinander, innerhalb
gewisser Grenzen durch ein Nacheinander zu
ersetzen, Collatz meint, daß es sehr Wohl
möglich sei, in jeder Klasse, abgesehen vom
technischen und fakultativen Unterricht, mit
fünf bis sechs verschiedenen Fächern auszu¬
kommen, wenn man sich dazu entschließt,
gewisse Lehrgegenstände (etwa Erdkunde,
Geschichte, Naturkunde, Französisch usw,) oder
ihre Teilgebiete in geeigneter Reihenfolge in
bestimmten Klassen voni Lehrplan verschwinde»
zu lasse», um sie zur geeigneten Zeit wieder
aufzunehmen. Den Einwurf, daß die Uiiter-
brechnug der Kontinuität des UuterrichK
Wege» der Gefahr des Vergessens eine
ungeheure, vou Lehrern und Schule'rü zu
leistende Mehrarbeit bedeuten würde, sucht
Collatz durch Bcvbcichtuugeu über Leistungen
des Gedächtnisses, insbesondere auch durch
Feststellungen der eKerimentell-Pstichologischen
Gedächtnisforschnng zu Widerlegen, In der
Tat erfordert das Wiedererlernen selbst vor
langer Zeit gelernter, scheinbar völlig ver¬
gessener Stoffe nur einen kleinen Bruchteil
der Zeit, der zur Aneignung neuer Stosse
nötig ist, Der Umstand, daß das Vergessen
eines erlernten Stoffes anfangs schnell, dann
immer langsamer erfolgt, läßt es, nach Colwv,
sogar sehr zweckmäßig erscheinen, die Be¬
handlung eines Lehrfachs zeitlich zusammen¬
zudrängen, denn dadurch wird eine größere
Befestigung der neuerworbenen, vom Ver¬
gessen am meisten bedrohten Burstellungen
erzielt und somit die nach längerer Pause
vorzunehmende Wiedererlernnng begünstigt.
Der Einwand, daß namhafte Vertreter der
Psychologie, z. B, Ebbinghaus, auf Grund
von Untersuchungen über die Ökonomie des

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[0357] Maßgebliches und Unmaßgebliches Liebe gesehen und wirken in all ihren Ab¬ stufungen zum Bilde eines gemeinsamen Schicksals zusammen. In der Notwehr um die Wahrheit, die über die Seele innerste Macht gewonnen hat, und um die Treue des Gewissens gegen sich selbst scheiden sich die Geister und ein jeder läßt seines Wesens Art offenbar werden. Neben den Aufrechten, Trotzige» und Geduldigen stehen Wankende und Gebrochene, Unbewegte und gleichmütig Kluge, lind auch denen, die am alten Glauben hängen und ihm zu dienen bermeinen mit Gewalt und Blutvergießen, hat der Dichter gerecht zu werden versucht --- freilich ist ihm der Reitermöuch, der in inbrünstiger Hingabe bor dem Bilde der heiligen Jungfrau seine Hände wäscht, nicht voll überzeugend gelungen. Die Deutlichkeit seiner Gestalt ist zu kurz ge¬ kommen, bei der sonst so bcwundernswert sicheren Sparsamkeit in der Charakteristik, Was in Schnuherrs neuem Werk so be¬ zwingend wahr und so voll lebendig wirkt, das erwächst ihm aus dem Schoß der Heimat¬ erde, aus dem Volkstum seines StnuuneS, mit dem er sich zu innerst eins fühlt. Aber so hoch emporgereckt über alle örtliche und zeitliche Bedingtheit haben sich doch seine Menschen noch nie znbor. Seine Dichtung bedeutet einen neuen kräftigen Schritt dein Drama entgegen, das aus der sicheren Wirk- lichkeiiSbeherrschunguusererTngc ewig gültiges Th, H. Seeleuschicksal gestalten wird. Bildungsfragen Prof. I)r. Otto Collatz: Die wahre Konzentration in» Gymnasialunterricht. Zu¬ gleich ein Beitrag zur Uberbürduugsfrage. Berlin Vortag von Wiegand u, Griebe», Seit eine»! Jahrzehnt ist das Gymnasial- monopvl beseitigt. Denjenigen Elementen, welche für die humanistische Bildung un¬ geeignet oder ihr abhold sind, ist die Bahn freigegeben worden, zahlreiche Möglichkeiten der Fortbildung und der Praktischen Betätigung auf Grund einer mit dem Leben der Gegen¬ wart unmittelbar und eng verknüpften Bildung zu gewumen. Man hoffte, daß sich nunmehr- eine kleinere, auserwählte Gemeinde im Ghmnasium zusammenfinden würde, aber dennoch macht sich hier eine gewisse Ver¬ drossenheit bemerkbar, und die Uberbürdungs- klnge ist nicht verstummt. Selbst das von der Unterrichtsvorwaltung gebilligte Prinzip, durch eine freiere Gestaltung des Unterrichts auf der Oberstufe der Individualität der Schüler Rechnung zu tragen, scheint nicht die erwünschten Aussichten auf eine weitgehende Befriedigung der beteiligten Kreise zu ge¬ währen. In der vorliegenden Broschüre wird auf deu Maugel an Konzentration im Unter¬ richt als auf eine» sehr wesentlichen Grund des Mißbehagens hingewiesen und behufs seiner Beseitigung der Vorschlag gemacht, die übliche Behandlung beinahe aller Gymnasial¬ fächer in einem Nebeneinander, innerhalb gewisser Grenzen durch ein Nacheinander zu ersetzen, Collatz meint, daß es sehr Wohl möglich sei, in jeder Klasse, abgesehen vom technischen und fakultativen Unterricht, mit fünf bis sechs verschiedenen Fächern auszu¬ kommen, wenn man sich dazu entschließt, gewisse Lehrgegenstände (etwa Erdkunde, Geschichte, Naturkunde, Französisch usw,) oder ihre Teilgebiete in geeigneter Reihenfolge in bestimmten Klassen voni Lehrplan verschwinde» zu lasse», um sie zur geeigneten Zeit wieder aufzunehmen. Den Einwurf, daß die Uiiter- brechnug der Kontinuität des UuterrichK Wege» der Gefahr des Vergessens eine ungeheure, vou Lehrern und Schule'rü zu leistende Mehrarbeit bedeuten würde, sucht Collatz durch Bcvbcichtuugeu über Leistungen des Gedächtnisses, insbesondere auch durch Feststellungen der eKerimentell-Pstichologischen Gedächtnisforschnng zu Widerlegen, In der Tat erfordert das Wiedererlernen selbst vor langer Zeit gelernter, scheinbar völlig ver¬ gessener Stoffe nur einen kleinen Bruchteil der Zeit, der zur Aneignung neuer Stosse nötig ist, Der Umstand, daß das Vergessen eines erlernten Stoffes anfangs schnell, dann immer langsamer erfolgt, läßt es, nach Colwv, sogar sehr zweckmäßig erscheinen, die Be¬ handlung eines Lehrfachs zeitlich zusammen¬ zudrängen, denn dadurch wird eine größere Befestigung der neuerworbenen, vom Ver¬ gessen am meisten bedrohten Burstellungen erzielt und somit die nach längerer Pause vorzunehmende Wiedererlernnng begünstigt. Der Einwand, daß namhafte Vertreter der Psychologie, z. B, Ebbinghaus, auf Grund von Untersuchungen über die Ökonomie des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/357>, abgerufen am 27.12.2024.