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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

mich gegen Vorschläge wenden, denen ich jetzt
schon mehrfach in der Presse begegnet bin,
Vorschläge, die dahin lauten: man möge in
der dramatischen Dichtkunst gewissermaßen eine
für das Volk besonders zugeschnittene Kunst
schaffen. Solches Kunstwerk zu bringen, dein
Volke verständlich bis in seine untersten
Schichten, der gebildeten Welt aber als gesunde
Kost für ihre überreizten Nerven dienlich, wurde
als Patriotisches Verdienst gepriesen für einen
deutschen Dichter, denn, so hieß es weiter,
"unsere deutschen Dichter kümmern sich nicht
um ihr Volk". Dieser Vorschlag ähnelt in
gewissem Sinne einem, der fast zu derselben
Zeit erschien und die Bekämpfung der Schund¬
literatur behandelte. Während aber letzterer
sicher angebracht gewesen sein wird, glaube
ich solches von dem ersteren nicht behaupten
zu sollen. Es liegt hier ein zweifacher Irrtum
vor, meine ich: nämlich in Hinsicht auf die
Kunst selbst und dann auch in derJdeeiiber das
Volk. Eine mit dieser TendenzgeschasfeiieKnnst
wäre dann keine echte Kunst mehr, denn das
ist für sie tödliches Gift. Wo eine Absicht
beginnt, hört Kunst schon auf, Kunst zu sein.
Was man beabsichtigte, ist schon in der Wirkung
jeder echten Kunst enthalten: Moral. In der
Absicht aber verstimmt sie, und gerade dafür
hat meiner Erfahrung nach unser Volk eine
bis zur äußersten Grenze gesteigerte Empfäng¬
lichkeit. Man könnte sie beinah schon Empfind¬
lichkeit nennen. Sein ganzer Stolz geht dahin,
teilzunehmen um dem, was wir als hohe echte
.Kunst verehren, kennen zu lernen, was uns
eine Feststunde unserer Seele bedeutet, bliebe
es auch tausendfach unverständlich. Das würde
ja mit der Zeit sich verringern. Die Weihe
eines Augenblicks reiner, wenn auch unbe¬
wußter Erhebung nur, wirkt wie märchenhafter
Zunder. Die Schwierigkeit liegt nicht in der
Kunst, sondern in der äußeren Form, wie sie
dem Volke darzubringen ist. Sobald wir
eingestehen müssen, daß' unsere Kunst nichts
fürs Volk taugt, sprechen wir das Todesurteil
gegen unsere Gesellschaft aus.

Immer wird es Kunstwerke geben, welche
sich nur an einen besonders reifen, durch¬
geistigten Teil der Menschheit oder an Fein¬
schmecker des Lebens wenden wollen. Was
für alle taugt, was nicht, wird in jedem ein¬
zelnen Falle sich von selbst leicht ergeben.

[Spaltenumbruch]

Das Problem der Volkskunst halte ich im
Grunde darum weniger für ein künstlerisches,
als ein gesellschaftliches, Praktisches. Solange
dieses nicht gelöst, wird man sich wie bisher
behelfen müssen. Von Dauer wird bleiben,
was aus der Gewalt des Geistes gezeugt,
nicht auf den lärmenden Erfolg der Gegen¬
wart nur spekulierend, geschaffen wurde.

Lgbcrt v. Frankenberg-
Bildungsfragen
Kampf aegen die Schundliteratur.

Man
muß die Augen nicht allzu offen halten, um
die Gefahr der Zehn-Pfennig-Hefte mit den
abscheulichen, aufdringlichen Titelbildern als
eineBolksgefahr zu empfinden und zu erkennen.
Nicht nur die eigentlichen Herde des Übels,
die zahllosen kleinen Geschäfte und Kioske,
die sie feilbieten und aushängen--der Kutscher
auf dem Bock, die Dienstmagd in der Küche,
der Handwerker in der Arbeitspause oder noch
schnell unterwegs, während er zur Arbeit geht,
der Schuljunge unter der Schulbank, das Kind
in seinen Spielen, der Kinematograph mit
seinen schreienden Plataeer und Reklame¬
zetteln, vor allem aber die Zeitung, die Zeitung
im Feuilleton, die Zeitung in- Gerichtsteil,
die Zeitung im Anzeigenteil: alles, alles be¬
weist uns, daß wir uns mitten im Gebiet
dieser Seuche befinden -- was soll uns da
noch eine Ausstellung gegen den Schund, wenn
sich alltäglich unser Leben gleichsam in solcher
"Ausstellung" abspielt!

Und doch darf man die Wandernnsstcllung
der Hamburger Dichter-Gedächtnis-Stiftung,
die über Bremen, Stettin, Hannover nach
Berlin kam und noch in einer großen Anzahl
von Städten des Reiches gezeigt werden soll,
als eine der hoffnungsvollsten Taten im Kampf
gegen diesen Feind bezeichnen. Denn gerade
die Alltäglichkeit der Gefahr, die schleichende
Art, mit der sich das Gift der Nie Carter-
Literntnr in der Phantasie naiver Menschen
festsetzt, das Nach-und-Nach, mit dem der
scheinbar billige Kaufpreis langsam Tausende
auffrißt... das Heimtückische der Not macht
es notwendig, daß man die Einzelfälle zu gro¬
tesken Wirkungen aneinanderreiht: die Gefahr
ist nicht kleiner, als der Gesnmteindruck, den
der zwingende Anschauungsunterricht dieser
Ausstellung darbietet.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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mich gegen Vorschläge wenden, denen ich jetzt
schon mehrfach in der Presse begegnet bin,
Vorschläge, die dahin lauten: man möge in
der dramatischen Dichtkunst gewissermaßen eine
für das Volk besonders zugeschnittene Kunst
schaffen. Solches Kunstwerk zu bringen, dein
Volke verständlich bis in seine untersten
Schichten, der gebildeten Welt aber als gesunde
Kost für ihre überreizten Nerven dienlich, wurde
als Patriotisches Verdienst gepriesen für einen
deutschen Dichter, denn, so hieß es weiter,
„unsere deutschen Dichter kümmern sich nicht
um ihr Volk". Dieser Vorschlag ähnelt in
gewissem Sinne einem, der fast zu derselben
Zeit erschien und die Bekämpfung der Schund¬
literatur behandelte. Während aber letzterer
sicher angebracht gewesen sein wird, glaube
ich solches von dem ersteren nicht behaupten
zu sollen. Es liegt hier ein zweifacher Irrtum
vor, meine ich: nämlich in Hinsicht auf die
Kunst selbst und dann auch in derJdeeiiber das
Volk. Eine mit dieser TendenzgeschasfeiieKnnst
wäre dann keine echte Kunst mehr, denn das
ist für sie tödliches Gift. Wo eine Absicht
beginnt, hört Kunst schon auf, Kunst zu sein.
Was man beabsichtigte, ist schon in der Wirkung
jeder echten Kunst enthalten: Moral. In der
Absicht aber verstimmt sie, und gerade dafür
hat meiner Erfahrung nach unser Volk eine
bis zur äußersten Grenze gesteigerte Empfäng¬
lichkeit. Man könnte sie beinah schon Empfind¬
lichkeit nennen. Sein ganzer Stolz geht dahin,
teilzunehmen um dem, was wir als hohe echte
.Kunst verehren, kennen zu lernen, was uns
eine Feststunde unserer Seele bedeutet, bliebe
es auch tausendfach unverständlich. Das würde
ja mit der Zeit sich verringern. Die Weihe
eines Augenblicks reiner, wenn auch unbe¬
wußter Erhebung nur, wirkt wie märchenhafter
Zunder. Die Schwierigkeit liegt nicht in der
Kunst, sondern in der äußeren Form, wie sie
dem Volke darzubringen ist. Sobald wir
eingestehen müssen, daß' unsere Kunst nichts
fürs Volk taugt, sprechen wir das Todesurteil
gegen unsere Gesellschaft aus.

Immer wird es Kunstwerke geben, welche
sich nur an einen besonders reifen, durch¬
geistigten Teil der Menschheit oder an Fein¬
schmecker des Lebens wenden wollen. Was
für alle taugt, was nicht, wird in jedem ein¬
zelnen Falle sich von selbst leicht ergeben.

[Spaltenumbruch]

Das Problem der Volkskunst halte ich im
Grunde darum weniger für ein künstlerisches,
als ein gesellschaftliches, Praktisches. Solange
dieses nicht gelöst, wird man sich wie bisher
behelfen müssen. Von Dauer wird bleiben,
was aus der Gewalt des Geistes gezeugt,
nicht auf den lärmenden Erfolg der Gegen¬
wart nur spekulierend, geschaffen wurde.

Lgbcrt v. Frankenberg-
Bildungsfragen
Kampf aegen die Schundliteratur.

Man
muß die Augen nicht allzu offen halten, um
die Gefahr der Zehn-Pfennig-Hefte mit den
abscheulichen, aufdringlichen Titelbildern als
eineBolksgefahr zu empfinden und zu erkennen.
Nicht nur die eigentlichen Herde des Übels,
die zahllosen kleinen Geschäfte und Kioske,
die sie feilbieten und aushängen—der Kutscher
auf dem Bock, die Dienstmagd in der Küche,
der Handwerker in der Arbeitspause oder noch
schnell unterwegs, während er zur Arbeit geht,
der Schuljunge unter der Schulbank, das Kind
in seinen Spielen, der Kinematograph mit
seinen schreienden Plataeer und Reklame¬
zetteln, vor allem aber die Zeitung, die Zeitung
im Feuilleton, die Zeitung in- Gerichtsteil,
die Zeitung im Anzeigenteil: alles, alles be¬
weist uns, daß wir uns mitten im Gebiet
dieser Seuche befinden — was soll uns da
noch eine Ausstellung gegen den Schund, wenn
sich alltäglich unser Leben gleichsam in solcher
„Ausstellung" abspielt!

Und doch darf man die Wandernnsstcllung
der Hamburger Dichter-Gedächtnis-Stiftung,
die über Bremen, Stettin, Hannover nach
Berlin kam und noch in einer großen Anzahl
von Städten des Reiches gezeigt werden soll,
als eine der hoffnungsvollsten Taten im Kampf
gegen diesen Feind bezeichnen. Denn gerade
die Alltäglichkeit der Gefahr, die schleichende
Art, mit der sich das Gift der Nie Carter-
Literntnr in der Phantasie naiver Menschen
festsetzt, das Nach-und-Nach, mit dem der
scheinbar billige Kaufpreis langsam Tausende
auffrißt... das Heimtückische der Not macht
es notwendig, daß man die Einzelfälle zu gro¬
tesken Wirkungen aneinanderreiht: die Gefahr
ist nicht kleiner, als der Gesnmteindruck, den
der zwingende Anschauungsunterricht dieser
Ausstellung darbietet.

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[0261] Maßgebliches und Unmaßgebliches mich gegen Vorschläge wenden, denen ich jetzt schon mehrfach in der Presse begegnet bin, Vorschläge, die dahin lauten: man möge in der dramatischen Dichtkunst gewissermaßen eine für das Volk besonders zugeschnittene Kunst schaffen. Solches Kunstwerk zu bringen, dein Volke verständlich bis in seine untersten Schichten, der gebildeten Welt aber als gesunde Kost für ihre überreizten Nerven dienlich, wurde als Patriotisches Verdienst gepriesen für einen deutschen Dichter, denn, so hieß es weiter, „unsere deutschen Dichter kümmern sich nicht um ihr Volk". Dieser Vorschlag ähnelt in gewissem Sinne einem, der fast zu derselben Zeit erschien und die Bekämpfung der Schund¬ literatur behandelte. Während aber letzterer sicher angebracht gewesen sein wird, glaube ich solches von dem ersteren nicht behaupten zu sollen. Es liegt hier ein zweifacher Irrtum vor, meine ich: nämlich in Hinsicht auf die Kunst selbst und dann auch in derJdeeiiber das Volk. Eine mit dieser TendenzgeschasfeiieKnnst wäre dann keine echte Kunst mehr, denn das ist für sie tödliches Gift. Wo eine Absicht beginnt, hört Kunst schon auf, Kunst zu sein. Was man beabsichtigte, ist schon in der Wirkung jeder echten Kunst enthalten: Moral. In der Absicht aber verstimmt sie, und gerade dafür hat meiner Erfahrung nach unser Volk eine bis zur äußersten Grenze gesteigerte Empfäng¬ lichkeit. Man könnte sie beinah schon Empfind¬ lichkeit nennen. Sein ganzer Stolz geht dahin, teilzunehmen um dem, was wir als hohe echte .Kunst verehren, kennen zu lernen, was uns eine Feststunde unserer Seele bedeutet, bliebe es auch tausendfach unverständlich. Das würde ja mit der Zeit sich verringern. Die Weihe eines Augenblicks reiner, wenn auch unbe¬ wußter Erhebung nur, wirkt wie märchenhafter Zunder. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Kunst, sondern in der äußeren Form, wie sie dem Volke darzubringen ist. Sobald wir eingestehen müssen, daß' unsere Kunst nichts fürs Volk taugt, sprechen wir das Todesurteil gegen unsere Gesellschaft aus. Immer wird es Kunstwerke geben, welche sich nur an einen besonders reifen, durch¬ geistigten Teil der Menschheit oder an Fein¬ schmecker des Lebens wenden wollen. Was für alle taugt, was nicht, wird in jedem ein¬ zelnen Falle sich von selbst leicht ergeben. Das Problem der Volkskunst halte ich im Grunde darum weniger für ein künstlerisches, als ein gesellschaftliches, Praktisches. Solange dieses nicht gelöst, wird man sich wie bisher behelfen müssen. Von Dauer wird bleiben, was aus der Gewalt des Geistes gezeugt, nicht auf den lärmenden Erfolg der Gegen¬ wart nur spekulierend, geschaffen wurde. Lgbcrt v. Frankenberg- Bildungsfragen Kampf aegen die Schundliteratur. Man muß die Augen nicht allzu offen halten, um die Gefahr der Zehn-Pfennig-Hefte mit den abscheulichen, aufdringlichen Titelbildern als eineBolksgefahr zu empfinden und zu erkennen. Nicht nur die eigentlichen Herde des Übels, die zahllosen kleinen Geschäfte und Kioske, die sie feilbieten und aushängen—der Kutscher auf dem Bock, die Dienstmagd in der Küche, der Handwerker in der Arbeitspause oder noch schnell unterwegs, während er zur Arbeit geht, der Schuljunge unter der Schulbank, das Kind in seinen Spielen, der Kinematograph mit seinen schreienden Plataeer und Reklame¬ zetteln, vor allem aber die Zeitung, die Zeitung im Feuilleton, die Zeitung in- Gerichtsteil, die Zeitung im Anzeigenteil: alles, alles be¬ weist uns, daß wir uns mitten im Gebiet dieser Seuche befinden — was soll uns da noch eine Ausstellung gegen den Schund, wenn sich alltäglich unser Leben gleichsam in solcher „Ausstellung" abspielt! Und doch darf man die Wandernnsstcllung der Hamburger Dichter-Gedächtnis-Stiftung, die über Bremen, Stettin, Hannover nach Berlin kam und noch in einer großen Anzahl von Städten des Reiches gezeigt werden soll, als eine der hoffnungsvollsten Taten im Kampf gegen diesen Feind bezeichnen. Denn gerade die Alltäglichkeit der Gefahr, die schleichende Art, mit der sich das Gift der Nie Carter- Literntnr in der Phantasie naiver Menschen festsetzt, das Nach-und-Nach, mit dem der scheinbar billige Kaufpreis langsam Tausende auffrißt... das Heimtückische der Not macht es notwendig, daß man die Einzelfälle zu gro¬ tesken Wirkungen aneinanderreiht: die Gefahr ist nicht kleiner, als der Gesnmteindruck, den der zwingende Anschauungsunterricht dieser Ausstellung darbietet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/261>, abgerufen am 27.12.2024.