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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Rethcl -- Feuerbach -- Marües

"Marja Titownal Es muß heraus, es schnürt mir sonst die Kehle zu. Ich
muß eS Ihnen sagen: Ich liebe Sie, liebe Sie über alles auf Erden. Ich bitte
Sie, Maschenka, Täubchen, sagen Sie mir, ob Sie mir gut sein können, ob Sie
mit mir zusammen unter die Kirchen-Kronen treten wollen. Ja? können Sie,
wollen Sie?"

Er hielt noch immer die ausgebreiteten Arme ihr entgegen und blickte sie
mit feurigen, verlangenden Augen an.

Marja hatte sich von ihrem Stuhl erhoben. Es lag etwas wie Triumph in
ihren Blicken, mit denen sie den Polizeiaufseher hochmütig maß. Es schossen ihr
im Augenblick alle die erniedrigenden Einzelheiten durch den Kopf, die seine
UnHöflichkeit sie damals auf der Straße erfahren ließ, und ein Gefühl der Genug¬
tuung durchwärmte sie. Dann aber wich der Ernst auf ihrem Gesicht einem
gleichgültigen Lächeln. Sie warf den Kopf kokett zur Seite und sagte leichthin:

"Nein, nein, Herr Polizeimeister. Es tut mir leid, das geht nicht mehr.
Das würde mein Bräutigam Pawel Kusmitsch Räbzow wohl nicht freundlich auf¬
nehmen. Seltsam, seltsam, daß die hohe Polizei immer ein wenig zu spät kommt."

Sie hatte die letzten Worte in einem nachlässigen, ja verächtlichen Tone hin¬
geworfen und wandte den Kopf von ihm ab.

Wolski stand mit tiefgerötetem Gesicht und hämmernden Pulse da und bohrte
verletzt den Blick in den Boden. Er richtete sich jedoch gleich wieder auf und
preßte mit eisiger Zurückhaltung und scharf akzentuiertem Tone nur die Worte heraus:

"Pardon, MadameI"

Dann schlug er die Hacken wieder laut zusammen und eilte nach einer
gemessenen Verbeugung mit festen Schritten zum Tor hinaus.

Marja hatte ihm einen Augenblick nachgesehen und lachte, als er die Tür
hinter sich geschlossen hatte, hell aus.

Wolski war unterdessen die Straße entlang ins Freie gestürzt. Dort draußen
auf einsamem Felde machte er Halt und ließ sich am Chausseegraben nieder. Es
arbeitete noch heftig in seiner Brust. Marja Titowncis Spott hatte ihn bis tief
ins Innerste getroffen, und er schämte sich jetzt noch nachträglich der kläglichen
Rolle, die er vor ihr gespielt hatte. (Fortsetzung folgt.)




Rethel Feuerbach Marees
lvilhelm Micßncr von

le drei Namen bedeuten drei Tragödien der deutschen Kunstgeschichte
des neunzehnten Jahrhunderts, eine Prometheustrilvgie des
schöpferischen Menschen, eine Auflehnung gegen den "göttlichen"
Willen des Volkes und der Kritik. Starr und widerspenstig sind
alle drei Künstler an dem Unverstand der Masse zugrunde ge¬
gangen, um endlich in ihren Werken eine Auferstehung zu feiern, die wie ein
Gericht wirkt. Die Romantik der Tieck, Novalis, Brentano, der Overbeck,
Cornelius, Schadow ist der Ausgangspunkt für Rethel, und die Romantik WagnersM


Rethcl — Feuerbach — Marües

„Marja Titownal Es muß heraus, es schnürt mir sonst die Kehle zu. Ich
muß eS Ihnen sagen: Ich liebe Sie, liebe Sie über alles auf Erden. Ich bitte
Sie, Maschenka, Täubchen, sagen Sie mir, ob Sie mir gut sein können, ob Sie
mit mir zusammen unter die Kirchen-Kronen treten wollen. Ja? können Sie,
wollen Sie?"

Er hielt noch immer die ausgebreiteten Arme ihr entgegen und blickte sie
mit feurigen, verlangenden Augen an.

Marja hatte sich von ihrem Stuhl erhoben. Es lag etwas wie Triumph in
ihren Blicken, mit denen sie den Polizeiaufseher hochmütig maß. Es schossen ihr
im Augenblick alle die erniedrigenden Einzelheiten durch den Kopf, die seine
UnHöflichkeit sie damals auf der Straße erfahren ließ, und ein Gefühl der Genug¬
tuung durchwärmte sie. Dann aber wich der Ernst auf ihrem Gesicht einem
gleichgültigen Lächeln. Sie warf den Kopf kokett zur Seite und sagte leichthin:

„Nein, nein, Herr Polizeimeister. Es tut mir leid, das geht nicht mehr.
Das würde mein Bräutigam Pawel Kusmitsch Räbzow wohl nicht freundlich auf¬
nehmen. Seltsam, seltsam, daß die hohe Polizei immer ein wenig zu spät kommt."

Sie hatte die letzten Worte in einem nachlässigen, ja verächtlichen Tone hin¬
geworfen und wandte den Kopf von ihm ab.

Wolski stand mit tiefgerötetem Gesicht und hämmernden Pulse da und bohrte
verletzt den Blick in den Boden. Er richtete sich jedoch gleich wieder auf und
preßte mit eisiger Zurückhaltung und scharf akzentuiertem Tone nur die Worte heraus:

„Pardon, MadameI"

Dann schlug er die Hacken wieder laut zusammen und eilte nach einer
gemessenen Verbeugung mit festen Schritten zum Tor hinaus.

Marja hatte ihm einen Augenblick nachgesehen und lachte, als er die Tür
hinter sich geschlossen hatte, hell aus.

Wolski war unterdessen die Straße entlang ins Freie gestürzt. Dort draußen
auf einsamem Felde machte er Halt und ließ sich am Chausseegraben nieder. Es
arbeitete noch heftig in seiner Brust. Marja Titowncis Spott hatte ihn bis tief
ins Innerste getroffen, und er schämte sich jetzt noch nachträglich der kläglichen
Rolle, die er vor ihr gespielt hatte. (Fortsetzung folgt.)




Rethel Feuerbach Marees
lvilhelm Micßncr von

le drei Namen bedeuten drei Tragödien der deutschen Kunstgeschichte
des neunzehnten Jahrhunderts, eine Prometheustrilvgie des
schöpferischen Menschen, eine Auflehnung gegen den „göttlichen"
Willen des Volkes und der Kritik. Starr und widerspenstig sind
alle drei Künstler an dem Unverstand der Masse zugrunde ge¬
gangen, um endlich in ihren Werken eine Auferstehung zu feiern, die wie ein
Gericht wirkt. Die Romantik der Tieck, Novalis, Brentano, der Overbeck,
Cornelius, Schadow ist der Ausgangspunkt für Rethel, und die Romantik WagnersM


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[0254] Rethcl — Feuerbach — Marües „Marja Titownal Es muß heraus, es schnürt mir sonst die Kehle zu. Ich muß eS Ihnen sagen: Ich liebe Sie, liebe Sie über alles auf Erden. Ich bitte Sie, Maschenka, Täubchen, sagen Sie mir, ob Sie mir gut sein können, ob Sie mit mir zusammen unter die Kirchen-Kronen treten wollen. Ja? können Sie, wollen Sie?" Er hielt noch immer die ausgebreiteten Arme ihr entgegen und blickte sie mit feurigen, verlangenden Augen an. Marja hatte sich von ihrem Stuhl erhoben. Es lag etwas wie Triumph in ihren Blicken, mit denen sie den Polizeiaufseher hochmütig maß. Es schossen ihr im Augenblick alle die erniedrigenden Einzelheiten durch den Kopf, die seine UnHöflichkeit sie damals auf der Straße erfahren ließ, und ein Gefühl der Genug¬ tuung durchwärmte sie. Dann aber wich der Ernst auf ihrem Gesicht einem gleichgültigen Lächeln. Sie warf den Kopf kokett zur Seite und sagte leichthin: „Nein, nein, Herr Polizeimeister. Es tut mir leid, das geht nicht mehr. Das würde mein Bräutigam Pawel Kusmitsch Räbzow wohl nicht freundlich auf¬ nehmen. Seltsam, seltsam, daß die hohe Polizei immer ein wenig zu spät kommt." Sie hatte die letzten Worte in einem nachlässigen, ja verächtlichen Tone hin¬ geworfen und wandte den Kopf von ihm ab. Wolski stand mit tiefgerötetem Gesicht und hämmernden Pulse da und bohrte verletzt den Blick in den Boden. Er richtete sich jedoch gleich wieder auf und preßte mit eisiger Zurückhaltung und scharf akzentuiertem Tone nur die Worte heraus: „Pardon, MadameI" Dann schlug er die Hacken wieder laut zusammen und eilte nach einer gemessenen Verbeugung mit festen Schritten zum Tor hinaus. Marja hatte ihm einen Augenblick nachgesehen und lachte, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, hell aus. Wolski war unterdessen die Straße entlang ins Freie gestürzt. Dort draußen auf einsamem Felde machte er Halt und ließ sich am Chausseegraben nieder. Es arbeitete noch heftig in seiner Brust. Marja Titowncis Spott hatte ihn bis tief ins Innerste getroffen, und er schämte sich jetzt noch nachträglich der kläglichen Rolle, die er vor ihr gespielt hatte. (Fortsetzung folgt.) Rethel Feuerbach Marees lvilhelm Micßncr von le drei Namen bedeuten drei Tragödien der deutschen Kunstgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, eine Prometheustrilvgie des schöpferischen Menschen, eine Auflehnung gegen den „göttlichen" Willen des Volkes und der Kritik. Starr und widerspenstig sind alle drei Künstler an dem Unverstand der Masse zugrunde ge¬ gangen, um endlich in ihren Werken eine Auferstehung zu feiern, die wie ein Gericht wirkt. Die Romantik der Tieck, Novalis, Brentano, der Overbeck, Cornelius, Schadow ist der Ausgangspunkt für Rethel, und die Romantik WagnersM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/254>, abgerufen am 27.12.2024.