Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Homosexualität und "euer Strafgcsctzeiitwurf ist nur belustigt, nur angeregt, man wird nicht warm, und da bleibt denn auch Homosexualität und neuer Strafgesetzentwurf I. v, Pflugk-Harttung von WUmeer diesem Titel brachte Geheimer Medizinalrat Professor Homosexualität und »euer Strafgcsctzeiitwurf ist nur belustigt, nur angeregt, man wird nicht warm, und da bleibt denn auch Homosexualität und neuer Strafgesetzentwurf I. v, Pflugk-Harttung von WUmeer diesem Titel brachte Geheimer Medizinalrat Professor <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317853"/> <fw type="header" place="top"> Homosexualität und »euer Strafgcsctzeiitwurf</fw><lb/> <p xml:id="ID_1146" prev="#ID_1145"> ist nur belustigt, nur angeregt, man wird nicht warm, und da bleibt denn auch<lb/> schließlich die Anregung aus. Über Chiavciccis naive Weichherzigkeit lächelt<lb/> man bisweilen, über Schlögls starres Festhalten an dem einen Gesichtspunkt<lb/> ist man wohl auch gelegentlich verdrießlich — aber man spürt immer aufs<lb/> wohltätigste bei beiden volle Lebenswärme. Bei dem beweglicheren, welt¬<lb/> männischeren Pötzl nicht so. Den Grund hierfür fand ich nach der Lektüre einer<lb/> kleinen Parodie: „Die Waldschnepfe; frei nach der .Wildente'". — Eduard Pötzl<lb/> ist mit demselben „Herrn von Ibsen" unzufrieden, der auch Frau Sopherls<lb/> Unwillen erregt. So modern ist er doch nicht, daß ihm Ibsens bohrendes<lb/> Wesen zusagte. Das geht ihm geradeso gegen seine persönliche Gemütlichkeit,<lb/> wie die ernsthaftere Beschäftigung mit sozialen oder politischen Dingen. Und<lb/> hierin glaube ich den eigentlichen Mangel Pötzls zu sehen. Er hat sich von<lb/> dem schlichten Darstellen des Typus, wie es Schlögl und Chiavacci üben, los¬<lb/> sagen wollen und mit dem Individualisieren doch noch nicht rechten Ernst<lb/> zu machen gewußt. Er hat sozusagen zwischen die Zeiten gegriffen, die einfache<lb/> ältere Kunst losgelassen und die kompliziertere neue nicht fest erfaßt. Liest man<lb/> Schlögl und Chiavacci, so ist man wie in einem alten Haus, liest man Pötzl.<lb/> so steht man auf der Schwelle eines neuen. Das Verlangen hineinzukommen<lb/> wird rege; da heißt es denn Pötzls Schriften fortlegen und Bahrs und<lb/> Schnitzlers zur Hand nehmen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Homosexualität und neuer Strafgesetzentwurf<lb/><note type="byline"> I. v, Pflugk-Harttung</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_1147" next="#ID_1148"> WUmeer diesem Titel brachte Geheimer Medizinalrat Professor<lb/> Dr. A. Eulenburg in der Deutschen Montagszeitung vom<lb/> 1!). Dezember v. Is. einen Aufsatz, worin er ausführt: Gegen<lb/> den § 175, „den berühmten oder berüchtigten Homosexualitäts¬<lb/> paragraphen", onde seit fast zwei Dezennien ein heftiger Kampf.<lb/> Dieser begann eigentlich schon, ehe das heute geltende Recht geschaffen wurde,<lb/> und gipfelte in dem Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das<lb/> Medizinalwesen von? 24. März 1869. welches wider die in jenem Paragraphen<lb/> enthaltenen Strafbestimmungen entschiedene Einsprache erhob. Als die Wissen¬<lb/> schaft dann zu einem erweiterten und vertieften Verständnis des Wesens, der<lb/> Ursachen und der Verbreitung der Homosexualität gelangte, da entwickelte sich<lb/> auch der Kampf gegen jenen inzwischen zum Gesetz gewordenen Paragraphen<lb/> auf der ganzen Linie. Es waren Leute der verschiedensten Lebensberufe, die<lb/> frei von jedem persönlichen Interesse, nur von Gerechtigkeits- und Humanitäts-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
Homosexualität und »euer Strafgcsctzeiitwurf
ist nur belustigt, nur angeregt, man wird nicht warm, und da bleibt denn auch
schließlich die Anregung aus. Über Chiavciccis naive Weichherzigkeit lächelt
man bisweilen, über Schlögls starres Festhalten an dem einen Gesichtspunkt
ist man wohl auch gelegentlich verdrießlich — aber man spürt immer aufs
wohltätigste bei beiden volle Lebenswärme. Bei dem beweglicheren, welt¬
männischeren Pötzl nicht so. Den Grund hierfür fand ich nach der Lektüre einer
kleinen Parodie: „Die Waldschnepfe; frei nach der .Wildente'". — Eduard Pötzl
ist mit demselben „Herrn von Ibsen" unzufrieden, der auch Frau Sopherls
Unwillen erregt. So modern ist er doch nicht, daß ihm Ibsens bohrendes
Wesen zusagte. Das geht ihm geradeso gegen seine persönliche Gemütlichkeit,
wie die ernsthaftere Beschäftigung mit sozialen oder politischen Dingen. Und
hierin glaube ich den eigentlichen Mangel Pötzls zu sehen. Er hat sich von
dem schlichten Darstellen des Typus, wie es Schlögl und Chiavacci üben, los¬
sagen wollen und mit dem Individualisieren doch noch nicht rechten Ernst
zu machen gewußt. Er hat sozusagen zwischen die Zeiten gegriffen, die einfache
ältere Kunst losgelassen und die kompliziertere neue nicht fest erfaßt. Liest man
Schlögl und Chiavacci, so ist man wie in einem alten Haus, liest man Pötzl.
so steht man auf der Schwelle eines neuen. Das Verlangen hineinzukommen
wird rege; da heißt es denn Pötzls Schriften fortlegen und Bahrs und
Schnitzlers zur Hand nehmen.
Homosexualität und neuer Strafgesetzentwurf
I. v, Pflugk-Harttung von
WUmeer diesem Titel brachte Geheimer Medizinalrat Professor
Dr. A. Eulenburg in der Deutschen Montagszeitung vom
1!). Dezember v. Is. einen Aufsatz, worin er ausführt: Gegen
den § 175, „den berühmten oder berüchtigten Homosexualitäts¬
paragraphen", onde seit fast zwei Dezennien ein heftiger Kampf.
Dieser begann eigentlich schon, ehe das heute geltende Recht geschaffen wurde,
und gipfelte in dem Gutachten der wissenschaftlichen Deputation für das
Medizinalwesen von? 24. März 1869. welches wider die in jenem Paragraphen
enthaltenen Strafbestimmungen entschiedene Einsprache erhob. Als die Wissen¬
schaft dann zu einem erweiterten und vertieften Verständnis des Wesens, der
Ursachen und der Verbreitung der Homosexualität gelangte, da entwickelte sich
auch der Kampf gegen jenen inzwischen zum Gesetz gewordenen Paragraphen
auf der ganzen Linie. Es waren Leute der verschiedensten Lebensberufe, die
frei von jedem persönlichen Interesse, nur von Gerechtigkeits- und Humanitäts-
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