Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Franziska von Hohenheim

Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden. Politisierende Weiber, Blau¬
strümpfe und Suffragetten sind ein Greuel, und zwar darum, weil sie den
aristokratischen Charakter der Weiblichkeit, der sich besonders sympathisch in der
Zurückhaltung, als "lieblich Schweigen", zeigt, ganzverloren haben. Es soll also gewiß
nichteinerpolitischenBetätigungderFraudasWortgeredetwerden. Aber dem Politiker
möchte geraten sein, ein wenig mehr die Kraft für seine Parteikämpfe in der
Familie zu stählen, aus den: neutralen Boden des Verkehrs mit der Weiblichkeit
einen festen Sinn für Maß und Ordnung zu ernten. Der Mann sollte ein
wenig mehr Weiblichkeit in sich aufnehmen, wenn es gilt, in dem Männerkampf
der Parteien zu bestehen.

Wir alle, "Aristokraten" und "Demokraten", meinetwegen auch "Sozial¬
demokraten" -- ob nicht manche von diesen, wie z. B. Briand und wohl auch
Bebel, Erzaristokraten sind? -- sollten auf dem Boden unseres politischen Lebens
einen versöhnlichen Zug willkommen heißen, wie er der Weiblichkeit zu eigen
ist, der uns dahin bringt, "den Nächsten zu tragen zum Guten, zur Besserung".
Das sei unser Aristokratismus, ein Aristokratismus, der mancherlei Konflikte
versöhnt und Gegensätze überbrückt, wo der starre Parteistandpunkt Abgründe
schafft, in denen Koriolansche Naturen zerschmettern müssen.




Franziska von Hohenheim
lZu ihrem hundertsten Todestage)
Siegfried Liede Von

in 2. Januar 1811 schrieb König Friedrich der Erste von Württem¬
berg seiner Tochter Katharina, der Gemahlin Jöromes von West¬
falen, daß gerade am Neujahrstage die "Herzogin Karl" einem
schweren inneren Leiden erlegen sei. Diese Herzogin Karl, die
einige Tage darauf in ihrem langjährigen Witwensttze Kirchheim
mit allen ihrem Stande gebührenden Ehren zu Grabe getragen wurde, war
keine andere als Franziska von Hohenheim, die bekannte Geliebte und spätere
Gemahlin des Herzogs Karl Eugen von Württemberg. Erst Mätresse, dann
Reichsgräfin, zuletzt durchlauchtige Herzogin und als solche von allen fürstlichen
Höfen anerkannt -- ein glänzender, fast märchenhaft scheinender Aufstieg und
doch in seiner ganzen Entwickelung so folgerichtig und selbstverständlich, daß das
Wunder zwar nicht seinen Reiz, aber alles Überraschende verliert.

Als Karl Eugen Franziska zu seiner Geliebten machte, dachte wohl mancher
wie der biedere Landschaftskonsulent Eisenbach, daß an Stelle der "vollgesogenen
Mücken" nun eine neue, eine "hungrige" getreten sei. Wer aber Franziska


Franziska von Hohenheim

Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden. Politisierende Weiber, Blau¬
strümpfe und Suffragetten sind ein Greuel, und zwar darum, weil sie den
aristokratischen Charakter der Weiblichkeit, der sich besonders sympathisch in der
Zurückhaltung, als „lieblich Schweigen", zeigt, ganzverloren haben. Es soll also gewiß
nichteinerpolitischenBetätigungderFraudasWortgeredetwerden. Aber dem Politiker
möchte geraten sein, ein wenig mehr die Kraft für seine Parteikämpfe in der
Familie zu stählen, aus den: neutralen Boden des Verkehrs mit der Weiblichkeit
einen festen Sinn für Maß und Ordnung zu ernten. Der Mann sollte ein
wenig mehr Weiblichkeit in sich aufnehmen, wenn es gilt, in dem Männerkampf
der Parteien zu bestehen.

Wir alle, „Aristokraten" und „Demokraten", meinetwegen auch „Sozial¬
demokraten" — ob nicht manche von diesen, wie z. B. Briand und wohl auch
Bebel, Erzaristokraten sind? — sollten auf dem Boden unseres politischen Lebens
einen versöhnlichen Zug willkommen heißen, wie er der Weiblichkeit zu eigen
ist, der uns dahin bringt, „den Nächsten zu tragen zum Guten, zur Besserung".
Das sei unser Aristokratismus, ein Aristokratismus, der mancherlei Konflikte
versöhnt und Gegensätze überbrückt, wo der starre Parteistandpunkt Abgründe
schafft, in denen Koriolansche Naturen zerschmettern müssen.




Franziska von Hohenheim
lZu ihrem hundertsten Todestage)
Siegfried Liede Von

in 2. Januar 1811 schrieb König Friedrich der Erste von Württem¬
berg seiner Tochter Katharina, der Gemahlin Jöromes von West¬
falen, daß gerade am Neujahrstage die „Herzogin Karl" einem
schweren inneren Leiden erlegen sei. Diese Herzogin Karl, die
einige Tage darauf in ihrem langjährigen Witwensttze Kirchheim
mit allen ihrem Stande gebührenden Ehren zu Grabe getragen wurde, war
keine andere als Franziska von Hohenheim, die bekannte Geliebte und spätere
Gemahlin des Herzogs Karl Eugen von Württemberg. Erst Mätresse, dann
Reichsgräfin, zuletzt durchlauchtige Herzogin und als solche von allen fürstlichen
Höfen anerkannt — ein glänzender, fast märchenhaft scheinender Aufstieg und
doch in seiner ganzen Entwickelung so folgerichtig und selbstverständlich, daß das
Wunder zwar nicht seinen Reiz, aber alles Überraschende verliert.

Als Karl Eugen Franziska zu seiner Geliebten machte, dachte wohl mancher
wie der biedere Landschaftskonsulent Eisenbach, daß an Stelle der „vollgesogenen
Mücken" nun eine neue, eine „hungrige" getreten sei. Wer aber Franziska


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317637"/>
          <fw type="header" place="top"> Franziska von Hohenheim</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_79"> Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden. Politisierende Weiber, Blau¬<lb/>
strümpfe und Suffragetten sind ein Greuel, und zwar darum, weil sie den<lb/>
aristokratischen Charakter der Weiblichkeit, der sich besonders sympathisch in der<lb/>
Zurückhaltung, als &#x201E;lieblich Schweigen", zeigt, ganzverloren haben. Es soll also gewiß<lb/>
nichteinerpolitischenBetätigungderFraudasWortgeredetwerden. Aber dem Politiker<lb/>
möchte geraten sein, ein wenig mehr die Kraft für seine Parteikämpfe in der<lb/>
Familie zu stählen, aus den: neutralen Boden des Verkehrs mit der Weiblichkeit<lb/>
einen festen Sinn für Maß und Ordnung zu ernten. Der Mann sollte ein<lb/>
wenig mehr Weiblichkeit in sich aufnehmen, wenn es gilt, in dem Männerkampf<lb/>
der Parteien zu bestehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_80"> Wir alle, &#x201E;Aristokraten" und &#x201E;Demokraten", meinetwegen auch &#x201E;Sozial¬<lb/>
demokraten" &#x2014; ob nicht manche von diesen, wie z. B. Briand und wohl auch<lb/>
Bebel, Erzaristokraten sind? &#x2014; sollten auf dem Boden unseres politischen Lebens<lb/>
einen versöhnlichen Zug willkommen heißen, wie er der Weiblichkeit zu eigen<lb/>
ist, der uns dahin bringt, &#x201E;den Nächsten zu tragen zum Guten, zur Besserung".<lb/>
Das sei unser Aristokratismus, ein Aristokratismus, der mancherlei Konflikte<lb/>
versöhnt und Gegensätze überbrückt, wo der starre Parteistandpunkt Abgründe<lb/>
schafft, in denen Koriolansche Naturen zerschmettern müssen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Franziska von Hohenheim<lb/>
lZu ihrem hundertsten Todestage)<lb/><note type="byline"> Siegfried Liede</note> Von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_81"> in 2. Januar 1811 schrieb König Friedrich der Erste von Württem¬<lb/>
berg seiner Tochter Katharina, der Gemahlin Jöromes von West¬<lb/>
falen, daß gerade am Neujahrstage die &#x201E;Herzogin Karl" einem<lb/>
schweren inneren Leiden erlegen sei. Diese Herzogin Karl, die<lb/>
einige Tage darauf in ihrem langjährigen Witwensttze Kirchheim<lb/>
mit allen ihrem Stande gebührenden Ehren zu Grabe getragen wurde, war<lb/>
keine andere als Franziska von Hohenheim, die bekannte Geliebte und spätere<lb/>
Gemahlin des Herzogs Karl Eugen von Württemberg. Erst Mätresse, dann<lb/>
Reichsgräfin, zuletzt durchlauchtige Herzogin und als solche von allen fürstlichen<lb/>
Höfen anerkannt &#x2014; ein glänzender, fast märchenhaft scheinender Aufstieg und<lb/>
doch in seiner ganzen Entwickelung so folgerichtig und selbstverständlich, daß das<lb/>
Wunder zwar nicht seinen Reiz, aber alles Überraschende verliert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_82" next="#ID_83"> Als Karl Eugen Franziska zu seiner Geliebten machte, dachte wohl mancher<lb/>
wie der biedere Landschaftskonsulent Eisenbach, daß an Stelle der &#x201E;vollgesogenen<lb/>
Mücken" nun eine neue, eine &#x201E;hungrige" getreten sei.  Wer aber Franziska</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] Franziska von Hohenheim Ich hoffe nicht mißverstanden zu werden. Politisierende Weiber, Blau¬ strümpfe und Suffragetten sind ein Greuel, und zwar darum, weil sie den aristokratischen Charakter der Weiblichkeit, der sich besonders sympathisch in der Zurückhaltung, als „lieblich Schweigen", zeigt, ganzverloren haben. Es soll also gewiß nichteinerpolitischenBetätigungderFraudasWortgeredetwerden. Aber dem Politiker möchte geraten sein, ein wenig mehr die Kraft für seine Parteikämpfe in der Familie zu stählen, aus den: neutralen Boden des Verkehrs mit der Weiblichkeit einen festen Sinn für Maß und Ordnung zu ernten. Der Mann sollte ein wenig mehr Weiblichkeit in sich aufnehmen, wenn es gilt, in dem Männerkampf der Parteien zu bestehen. Wir alle, „Aristokraten" und „Demokraten", meinetwegen auch „Sozial¬ demokraten" — ob nicht manche von diesen, wie z. B. Briand und wohl auch Bebel, Erzaristokraten sind? — sollten auf dem Boden unseres politischen Lebens einen versöhnlichen Zug willkommen heißen, wie er der Weiblichkeit zu eigen ist, der uns dahin bringt, „den Nächsten zu tragen zum Guten, zur Besserung". Das sei unser Aristokratismus, ein Aristokratismus, der mancherlei Konflikte versöhnt und Gegensätze überbrückt, wo der starre Parteistandpunkt Abgründe schafft, in denen Koriolansche Naturen zerschmettern müssen. Franziska von Hohenheim lZu ihrem hundertsten Todestage) Siegfried Liede Von in 2. Januar 1811 schrieb König Friedrich der Erste von Württem¬ berg seiner Tochter Katharina, der Gemahlin Jöromes von West¬ falen, daß gerade am Neujahrstage die „Herzogin Karl" einem schweren inneren Leiden erlegen sei. Diese Herzogin Karl, die einige Tage darauf in ihrem langjährigen Witwensttze Kirchheim mit allen ihrem Stande gebührenden Ehren zu Grabe getragen wurde, war keine andere als Franziska von Hohenheim, die bekannte Geliebte und spätere Gemahlin des Herzogs Karl Eugen von Württemberg. Erst Mätresse, dann Reichsgräfin, zuletzt durchlauchtige Herzogin und als solche von allen fürstlichen Höfen anerkannt — ein glänzender, fast märchenhaft scheinender Aufstieg und doch in seiner ganzen Entwickelung so folgerichtig und selbstverständlich, daß das Wunder zwar nicht seinen Reiz, aber alles Überraschende verliert. Als Karl Eugen Franziska zu seiner Geliebten machte, dachte wohl mancher wie der biedere Landschaftskonsulent Eisenbach, daß an Stelle der „vollgesogenen Mücken" nun eine neue, eine „hungrige" getreten sei. Wer aber Franziska

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/24>, abgerufen am 27.12.2024.