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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Zwischen Alt- und Neu-Micr

erhebliche Vorteile haben würde? Mit den ängstlichen, in kleinlichen Partikularismus
befangenen Gemütern, welche in jeder Stärkung der preußischen Macht beinahe
eine Gefahr für das Reich und in der größtmöglichen Zahl und Selbständigkeit
der Bundesstaaten die Rettung Deutschlands vor der schrecklichen Gefahr der
"Verpreußung" erblicken, will ich nicht rechnen. Aber auch sie werden wohl
zugeben müssen, daß der jetzige Zustand für das Reich eher ein Moment der
Schwäche als eine Stärkung bedeutet.

Der gegenwärtige Zustand des Reichslandes: nicht eigentliche Reichsprovinz
und doch auch wieder nicht vollberechtigter Bundesstaat, ist tatsächlich (freilich
nicht im Sinne der elsaß-lothringischen Autonomisten) auf die Dauer unhaltbar.
Schneller und besser als irgendeine andere Lösung der elsaß-lothringischen Frage
würde dessen Zuteilung zu Preußen diesem unklaren, unbefriedigender Zustande
ein Ende machen.

Weit wichtiger aber als dieser mehr formale Gewinn ist, daß die gespannten
Verhältnisse in Elsaß-Lothringen endlich einmal aufhören müssen; es gilt, sie
baldigst zu beseitigen, und das kann, wie ich gezeigt zu haben glaube, nicht
von der Gewährung der Autonomie in irgendeiner mit den Interessen des Reichs
vereinbaren Form, sondern nur von der vorgeschlagenen Neuordnung der Dinge
erhofft werden. Wenn wir nicht wieder zu dem von Bismarck einmal so
benannten "Glacisstandpunkt" zurückkehren, d. i. auf die moralische Eroberung der
elsaß-lothringischen Bevölkerung verzichten und uns mit der tatsächlichen
Eroberung des elsaß-lothringischen Gebietes als eines uns gegen französische
Angriffe schützenden Vorlandes begnügen wollen, bleibt uns eigentlich kein anderer
Weg.




Zwischen Alt- und Neu-Wien
von Victor Alcmpcrür

ur den 11. Juli 1871 werden die Wiener auf ein Ereignis hin¬
gewiesen, dem alle weitere Bedeutung fehle, das aber doch "halb
Wien auf die Beine bringen dürfte". Das Infanterieregiment
"Hoch- und Deutschmeister Ur. 4", ganz aus "Wiener Kindern"
rekrutiert, aber längst nicht mehr in der Hauptstadt selbst beherbergt,
weil "die vielen Amour- und Kameradschaften im eigenen Neste" von Übel¬
stand -- dies in manchen Kämpfen ausgezeichnete Wiener "Leibregiment" wird
am erwähnten Tage auf der Reise von einem Quartier ius andere etliche
Stunden in der Vaterstadt verbringen. Der bevorstehende Durchmarsch versetzt
den Lokalchronisten des "Neuen Wiener Tagblatts", Friedrich Schlögl, in mächtige


Zwischen Alt- und Neu-Micr

erhebliche Vorteile haben würde? Mit den ängstlichen, in kleinlichen Partikularismus
befangenen Gemütern, welche in jeder Stärkung der preußischen Macht beinahe
eine Gefahr für das Reich und in der größtmöglichen Zahl und Selbständigkeit
der Bundesstaaten die Rettung Deutschlands vor der schrecklichen Gefahr der
„Verpreußung" erblicken, will ich nicht rechnen. Aber auch sie werden wohl
zugeben müssen, daß der jetzige Zustand für das Reich eher ein Moment der
Schwäche als eine Stärkung bedeutet.

Der gegenwärtige Zustand des Reichslandes: nicht eigentliche Reichsprovinz
und doch auch wieder nicht vollberechtigter Bundesstaat, ist tatsächlich (freilich
nicht im Sinne der elsaß-lothringischen Autonomisten) auf die Dauer unhaltbar.
Schneller und besser als irgendeine andere Lösung der elsaß-lothringischen Frage
würde dessen Zuteilung zu Preußen diesem unklaren, unbefriedigender Zustande
ein Ende machen.

Weit wichtiger aber als dieser mehr formale Gewinn ist, daß die gespannten
Verhältnisse in Elsaß-Lothringen endlich einmal aufhören müssen; es gilt, sie
baldigst zu beseitigen, und das kann, wie ich gezeigt zu haben glaube, nicht
von der Gewährung der Autonomie in irgendeiner mit den Interessen des Reichs
vereinbaren Form, sondern nur von der vorgeschlagenen Neuordnung der Dinge
erhofft werden. Wenn wir nicht wieder zu dem von Bismarck einmal so
benannten „Glacisstandpunkt" zurückkehren, d. i. auf die moralische Eroberung der
elsaß-lothringischen Bevölkerung verzichten und uns mit der tatsächlichen
Eroberung des elsaß-lothringischen Gebietes als eines uns gegen französische
Angriffe schützenden Vorlandes begnügen wollen, bleibt uns eigentlich kein anderer
Weg.




Zwischen Alt- und Neu-Wien
von Victor Alcmpcrür

ur den 11. Juli 1871 werden die Wiener auf ein Ereignis hin¬
gewiesen, dem alle weitere Bedeutung fehle, das aber doch „halb
Wien auf die Beine bringen dürfte". Das Infanterieregiment
„Hoch- und Deutschmeister Ur. 4", ganz aus „Wiener Kindern"
rekrutiert, aber längst nicht mehr in der Hauptstadt selbst beherbergt,
weil „die vielen Amour- und Kameradschaften im eigenen Neste" von Übel¬
stand — dies in manchen Kämpfen ausgezeichnete Wiener „Leibregiment" wird
am erwähnten Tage auf der Reise von einem Quartier ius andere etliche
Stunden in der Vaterstadt verbringen. Der bevorstehende Durchmarsch versetzt
den Lokalchronisten des „Neuen Wiener Tagblatts", Friedrich Schlögl, in mächtige


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[0228] Zwischen Alt- und Neu-Micr erhebliche Vorteile haben würde? Mit den ängstlichen, in kleinlichen Partikularismus befangenen Gemütern, welche in jeder Stärkung der preußischen Macht beinahe eine Gefahr für das Reich und in der größtmöglichen Zahl und Selbständigkeit der Bundesstaaten die Rettung Deutschlands vor der schrecklichen Gefahr der „Verpreußung" erblicken, will ich nicht rechnen. Aber auch sie werden wohl zugeben müssen, daß der jetzige Zustand für das Reich eher ein Moment der Schwäche als eine Stärkung bedeutet. Der gegenwärtige Zustand des Reichslandes: nicht eigentliche Reichsprovinz und doch auch wieder nicht vollberechtigter Bundesstaat, ist tatsächlich (freilich nicht im Sinne der elsaß-lothringischen Autonomisten) auf die Dauer unhaltbar. Schneller und besser als irgendeine andere Lösung der elsaß-lothringischen Frage würde dessen Zuteilung zu Preußen diesem unklaren, unbefriedigender Zustande ein Ende machen. Weit wichtiger aber als dieser mehr formale Gewinn ist, daß die gespannten Verhältnisse in Elsaß-Lothringen endlich einmal aufhören müssen; es gilt, sie baldigst zu beseitigen, und das kann, wie ich gezeigt zu haben glaube, nicht von der Gewährung der Autonomie in irgendeiner mit den Interessen des Reichs vereinbaren Form, sondern nur von der vorgeschlagenen Neuordnung der Dinge erhofft werden. Wenn wir nicht wieder zu dem von Bismarck einmal so benannten „Glacisstandpunkt" zurückkehren, d. i. auf die moralische Eroberung der elsaß-lothringischen Bevölkerung verzichten und uns mit der tatsächlichen Eroberung des elsaß-lothringischen Gebietes als eines uns gegen französische Angriffe schützenden Vorlandes begnügen wollen, bleibt uns eigentlich kein anderer Weg. Zwischen Alt- und Neu-Wien von Victor Alcmpcrür ur den 11. Juli 1871 werden die Wiener auf ein Ereignis hin¬ gewiesen, dem alle weitere Bedeutung fehle, das aber doch „halb Wien auf die Beine bringen dürfte". Das Infanterieregiment „Hoch- und Deutschmeister Ur. 4", ganz aus „Wiener Kindern" rekrutiert, aber längst nicht mehr in der Hauptstadt selbst beherbergt, weil „die vielen Amour- und Kameradschaften im eigenen Neste" von Übel¬ stand — dies in manchen Kämpfen ausgezeichnete Wiener „Leibregiment" wird am erwähnten Tage auf der Reise von einem Quartier ius andere etliche Stunden in der Vaterstadt verbringen. Der bevorstehende Durchmarsch versetzt den Lokalchronisten des „Neuen Wiener Tagblatts", Friedrich Schlögl, in mächtige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/228>, abgerufen am 27.12.2024.