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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Ein ""gedruckter Brief Hebbels

"Was ist das? Von wem?"

"Ich habe nur den Auftrag, es Ihnen zu übergeben, und zwar heute am
Morgen. Darum nahm ich mir die Freiheit, Sie zu stören."

Der Aufseher warf das Handtuch über die Schulter und nahm das Kuvert
näher an das Fenster.

"Vom Staatsanwalt! Gleich zu öffnen! Woher haben Sie das?"

Okolitsch befolgte buchstäblich, was der Staatsanwalt angeordnet hatte. Er
zuckte die Achseln.

"Mir ist Schweigen geboten."

Der Beamte öffnete und las.

"Da haben wir die Geschichte!" rief er. "Morgen um zehn Uhr! Ja, sagen
Sie mir, liebster Freund, wie soll ich alles das bis morgen um zehn Uhr zustande
bringen? Und ich mußte eben in den Bezirk fahren. Ich bitte Sie um alles in
der Welt, erklären Sie mir . . ."

"Herr Aufseher, ich versichere Sie, ich weiß nichts von dem, was im Schreiben
steht. Ich sollte es Ihnen übergeben und schweigen."

"Aber tun Sie mir die Gnade, teilen Sie mir . . ."

Okolitsch zuckte nochmals die Achseln, verbeugte sich und verließ den Raum.

(Fortsetzung folgt.)




Gin ungedruckter Brief Hebbels
Hermann Bräuning-Vktavio- Mitgeteilt von

er folgende Brief Friedrich Hebbels, den der Geheime Kirchenrat
Professor I)r. Gustav Krüger zu Gießen in seiner prächtigen Auto¬
graphensammlung verwahrt, ist an den bekannten Shakespeare-
Kritiker Professor Delius zu Bonn gerichtet und berührt Hebbels
literarische Fehde mit F. Bodenstedt, dem Verfasser des dreibändigen
Werkes: "Shakespeares Zeitgenossen und ihre Werke. In Charakteristiken und
Übersetzungen" (Berlin 1858--60), die hervorgerufen worden war durch Hebbels
Kritik des ersten Bandes ("John Webster") in der Wiener Zeitung 1858; vgl.
Fr. Hebbels sämtliche Werke, hist.-trie. Ausgabe von N. M. Werner, Bd. XII
(Berlin 1903) S. 189--164"), Hesse, Bd. XI S. 7--27.

Hebbel beugt sich in seiner ausführlichen Besprechung zwar vor dem "respek¬
tablen" Übersetzertalent Bodenstedts, aber seinen ästhetisch-kritischen Ansichten wider¬
spricht er. Bodenstedt wollte, nach seiner Vorrede zum ersten Bande, durch ver¬
gleichende Charakteristiken der hervorragendsten Zeitgenossen Shakespeares und
Übertragung ihrer eigentümlichsten dramatischen Schöpfungen neue Beiträge zur



") Ich zitiere im folgenden nach dieser großen Ausgabe, füge aber in Klammern die
Stellen der bei Hesse, Leipzig, erschienenett zwvlfbättdigcn Ausgabe an.
Ein »»gedruckter Brief Hebbels

„Was ist das? Von wem?"

„Ich habe nur den Auftrag, es Ihnen zu übergeben, und zwar heute am
Morgen. Darum nahm ich mir die Freiheit, Sie zu stören."

Der Aufseher warf das Handtuch über die Schulter und nahm das Kuvert
näher an das Fenster.

„Vom Staatsanwalt! Gleich zu öffnen! Woher haben Sie das?"

Okolitsch befolgte buchstäblich, was der Staatsanwalt angeordnet hatte. Er
zuckte die Achseln.

„Mir ist Schweigen geboten."

Der Beamte öffnete und las.

„Da haben wir die Geschichte!" rief er. „Morgen um zehn Uhr! Ja, sagen
Sie mir, liebster Freund, wie soll ich alles das bis morgen um zehn Uhr zustande
bringen? Und ich mußte eben in den Bezirk fahren. Ich bitte Sie um alles in
der Welt, erklären Sie mir . . ."

„Herr Aufseher, ich versichere Sie, ich weiß nichts von dem, was im Schreiben
steht. Ich sollte es Ihnen übergeben und schweigen."

„Aber tun Sie mir die Gnade, teilen Sie mir . . ."

Okolitsch zuckte nochmals die Achseln, verbeugte sich und verließ den Raum.

(Fortsetzung folgt.)




Gin ungedruckter Brief Hebbels
Hermann Bräuning-Vktavio- Mitgeteilt von

er folgende Brief Friedrich Hebbels, den der Geheime Kirchenrat
Professor I)r. Gustav Krüger zu Gießen in seiner prächtigen Auto¬
graphensammlung verwahrt, ist an den bekannten Shakespeare-
Kritiker Professor Delius zu Bonn gerichtet und berührt Hebbels
literarische Fehde mit F. Bodenstedt, dem Verfasser des dreibändigen
Werkes: „Shakespeares Zeitgenossen und ihre Werke. In Charakteristiken und
Übersetzungen" (Berlin 1858—60), die hervorgerufen worden war durch Hebbels
Kritik des ersten Bandes („John Webster") in der Wiener Zeitung 1858; vgl.
Fr. Hebbels sämtliche Werke, hist.-trie. Ausgabe von N. M. Werner, Bd. XII
(Berlin 1903) S. 189—164"), Hesse, Bd. XI S. 7—27.

Hebbel beugt sich in seiner ausführlichen Besprechung zwar vor dem „respek¬
tablen" Übersetzertalent Bodenstedts, aber seinen ästhetisch-kritischen Ansichten wider¬
spricht er. Bodenstedt wollte, nach seiner Vorrede zum ersten Bande, durch ver¬
gleichende Charakteristiken der hervorragendsten Zeitgenossen Shakespeares und
Übertragung ihrer eigentümlichsten dramatischen Schöpfungen neue Beiträge zur



") Ich zitiere im folgenden nach dieser großen Ausgabe, füge aber in Klammern die
Stellen der bei Hesse, Leipzig, erschienenett zwvlfbättdigcn Ausgabe an.
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[0154] Ein »»gedruckter Brief Hebbels „Was ist das? Von wem?" „Ich habe nur den Auftrag, es Ihnen zu übergeben, und zwar heute am Morgen. Darum nahm ich mir die Freiheit, Sie zu stören." Der Aufseher warf das Handtuch über die Schulter und nahm das Kuvert näher an das Fenster. „Vom Staatsanwalt! Gleich zu öffnen! Woher haben Sie das?" Okolitsch befolgte buchstäblich, was der Staatsanwalt angeordnet hatte. Er zuckte die Achseln. „Mir ist Schweigen geboten." Der Beamte öffnete und las. „Da haben wir die Geschichte!" rief er. „Morgen um zehn Uhr! Ja, sagen Sie mir, liebster Freund, wie soll ich alles das bis morgen um zehn Uhr zustande bringen? Und ich mußte eben in den Bezirk fahren. Ich bitte Sie um alles in der Welt, erklären Sie mir . . ." „Herr Aufseher, ich versichere Sie, ich weiß nichts von dem, was im Schreiben steht. Ich sollte es Ihnen übergeben und schweigen." „Aber tun Sie mir die Gnade, teilen Sie mir . . ." Okolitsch zuckte nochmals die Achseln, verbeugte sich und verließ den Raum. (Fortsetzung folgt.) Gin ungedruckter Brief Hebbels Hermann Bräuning-Vktavio- Mitgeteilt von er folgende Brief Friedrich Hebbels, den der Geheime Kirchenrat Professor I)r. Gustav Krüger zu Gießen in seiner prächtigen Auto¬ graphensammlung verwahrt, ist an den bekannten Shakespeare- Kritiker Professor Delius zu Bonn gerichtet und berührt Hebbels literarische Fehde mit F. Bodenstedt, dem Verfasser des dreibändigen Werkes: „Shakespeares Zeitgenossen und ihre Werke. In Charakteristiken und Übersetzungen" (Berlin 1858—60), die hervorgerufen worden war durch Hebbels Kritik des ersten Bandes („John Webster") in der Wiener Zeitung 1858; vgl. Fr. Hebbels sämtliche Werke, hist.-trie. Ausgabe von N. M. Werner, Bd. XII (Berlin 1903) S. 189—164"), Hesse, Bd. XI S. 7—27. Hebbel beugt sich in seiner ausführlichen Besprechung zwar vor dem „respek¬ tablen" Übersetzertalent Bodenstedts, aber seinen ästhetisch-kritischen Ansichten wider¬ spricht er. Bodenstedt wollte, nach seiner Vorrede zum ersten Bande, durch ver¬ gleichende Charakteristiken der hervorragendsten Zeitgenossen Shakespeares und Übertragung ihrer eigentümlichsten dramatischen Schöpfungen neue Beiträge zur ") Ich zitiere im folgenden nach dieser großen Ausgabe, füge aber in Klammern die Stellen der bei Hesse, Leipzig, erschienenett zwvlfbättdigcn Ausgabe an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/154>, abgerufen am 27.12.2024.